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Kundenwunsch

Unterwegs im Kia Niro

Fahrberichte Christoph M. Schwarzer
Kia, Kia Niro

Das Rezept zum Verkaufserfolg in der Kompaktklasse hat Kia richtig umgesetzt. Ab September steht Kias neues Hybridmodell beim Händler. Wir stiegen ein, um einen ersten Fahreindruck zu bekommen. Er ist weitgehend positiv

Hamburg, 22. Juli 2016 – Das Rezept zum Verkaufserfolg in der Kompaktklasse lautet zur Zeit: Baue ein praktisches Auto. Am besten eine Art hoch gelegten Kombi, damit die Sitzposition stimmt. Versehe das Ganze mit zarten SUV-Designelementen. Verwende einen sparsamen Motor, aber bitte keinen Diesel, gute Verbrauchswerte bekommt ein Benzinhybrid auch hin. Dazu – besonders wichtig bei Privatkunden – noch üppige Garantieleistungen. Fertig ist der Kia Niro. Ab September steht der Neue aus Südkorea beim Händler. Unser erster Fahreindruck ist weitgehend positiv.

Schon vor zwei Wochen hatten wir Gelegenheit, den gleichen Antriebsstrang im Hyundai Ioniq auszuprobieren: Ein Benzindirekteinspritzer überträgt seine Kraft über ein selbst entwickeltes 6-Gang-Doppelkupplungsgetriebe auf die Räder. Zwischen Verbrennungsmotor und Übersetzung sitzt eine E-Maschine. Die Leistung des hybriden Antriebsstrangs erreicht maximal 104 kW (141 PS), das maximale Drehmoment liegt bei 265 Nm.

Extreme Verhältnisse

Der Ottomotor ist eine Ableitung der in vielen Hyundai- und Kia-Modellen verbreiteten 1,6-Liter-Maschine, die man allerdings auf ein recht radikales Bohrungs-Hub-Verhältnis von 72 x 97 Millimeter gebracht hat. Mit einer so extremen Geometrie kann das Expansionsverhältnis optimiert und damit die Arbeit der Ladung besser genutzt werden. Die mit 13:1 extrem hoch scheinende Verdichtung erklärt sich im Hinblick auf die Strategie, einen späten Einlassschluss zu fahren. Die Verbindung der drei Maßnahmen „Langer Hub“, „hohe Verdichtung“ und „Atkinson-Zyklus“ soll in diesem Motor den thermischen Wirkungsgrad auf hohe 40 Prozent bringen, knapp unterhalb des Toyota Prius. Das typischerweise recht große Drehmomentmanko bei dieser Betriebsstrategie gleicht die E-Maschine aus.

So weit die Theorie. Seinen vielversprechenden Daten zum Trotz reißt der Niro keine Bäume aus – beim Vollgassprint wirkt er zäher, als es die 11,5 Sekunden der Werksangabe vermuten lassen, und eine eingetragene Spitzengeschwindigkeit von 162 km/h könnte unter anderem das Ergebnis einer durchschnittlichen Aerodynamik sein (Cw 0,29, Stirnfläche nicht angegeben); der Hyundai Ioniq [1] jedenfalls kommt auf 185 km/h (Cw 0,24). Das Verbrauchsversprechen im Niro: Mit Leichtlaufreifen (16 Zoll) sollen es nach NEFZ 3,8 Liter (entsprechend 88 g CO2 / km) sein. Wir fuhren die Version mit 18-Zollfelgen; hier steigt der Normwert auf 4,4 Liter (101 g CO / km).

Verbrauchsgünstig, aber nicht rekordverdächtig

Im Duo mit einem Kollegen von der Offenbach Post lag der Realwert über eine Strecke von 66 km bei 5,1 Litern. Ist das viel oder wenig? Wenig, wenn man das Fahrzeugformat bedenkt. Viel, wenn man ihn mit einem Golf TSI 1.0 vergleicht. Gegen einen dank Hybrid Synergy Drive technisch deutlich einfacher aufgebauten Toyota Prius [2] muss sich der Kia bei der Effizienz geschlagen geben. Zwar hatten wir kein direktes Vergleichsfahrzeug – auf der gelassen gefahrenen Tour über lange Ausfallstraßen, das Umland und nur ein kurzes Autobahnstück hätten wir beim japanischen Konkurrenten aber höchstens eine Vier vorm Komma erwartet und eine Drei erhofft.

Für die meisten Kunden dürfte der nicht rekordverdächtige, für sich betrachtet aber niedrige Verbrauch des Kia Niro nicht der entscheidende Kaufgrund werden. Denn der Wagen gefällt einfach, weil er praktisch ist.

Der Kia ist mit 1,81 Meter für dieses Segment sehr breit, das Raumgefühl vorne ist entsprechend großzügig, und man sitzt hoch und bequem. Alle Passagiere reisen komfortabel und leise. Die Lenkung bietet eine direkte Rückmeldung, und selbst mit 18-Zoll-Rädern ist das Abrollverhalten gut. Gut gefällt auch die rätselfreie Bedienung und die gute Verarbeitung. Lobend erwähnt werden muss an dieser Stelle das Glasdach. Im Gegensatz zu vielen Autos der europäischen Konkurrenz lässt es sich nämlich (elektrisch) öffnen. Sein Aufpreis ist mit 600 Euro zudem vergleichsweise günstig. Der Pferdefuß dabei ist allerdings die Bindung an die teuerste Ausstattung „Spirit”. Sie kostet 30.390 euro.

Für den Absatz in Deutschland ist es sicher ein Vorteil, dass Peter Schreyer der Marke seinen Design-Stempel aufgedrückt hat: Niemand wird durch einen potenziell seltsamen Asienlook wie seit einiger Zeit bei Toyota oder Lexus abgeschreckt.

Praxisgerechte Anhängelast

Weiter zur Wirklichkeitstauglichkeit: Der Niro bietet gegen Aufpreis (300 Euro für die Vorbereitung, weitere 690 Euro für die Ausführung) eine abnehmbare Anhängekupplung für bis zu 1300 kg (gebremst). Einziger Abstrich im Alltag ist der Kofferraum, der mit 373 Litern (für „Vision“ und „Spirit“, Ausstattungsversion „Edition 7“: 427 Liter) zwar okay, aber nicht groß ist.

Die Preisliste beginnt bei 24.990 Euro und damit einen Tausender über dem Hyundai Ioniq mit dem gleichen Antriebsstrang. Die Optionsliste ist grundsätzlich kurz; natürlich ist die Farbe der Wahl möglich (Metalliclack 550 Euro), es gibt je nach Ausstattungslevel ein paar unterschiedliche Assistenz- der Luxuspakete. Das war es. Der von uns bewegte Niro Spirit (in Rot, was wirklich gut aussieht) dürfte rund 34.000 Euro kosten. Viel mehr geht nicht.

Wie immer bei Kia verdienen die Garantieleistungen eine gesonderte Erwähnung: Auf das Auto gibt es sieben Jahre oder bis zu 150.000 km. Auf Durchrostung sind es zwölf Jahre, auf den Lack sieben, und für das Navigationssystem werden ebenfalls sieben Jahre Updates zur Verfügung gestellt.

Die Klasse der SUV-artigen Kompaktautos wächst wie kaum eine andere. Der Kia Niro wird hier punkten. Er wird seinen Weg machen mit genau den Tugenden, die für das Gros der Kunden entscheidend ist: Praxisstärke, Langfristgarantie und Preiswürdigkeit.


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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Ausfahrt-im-Hyundai-Ioniq-3263382.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Unterwegs-im-Toyota-Prius-IV-3196839.html