Atempause

Ein gutes Stück Normalität hielt wieder Einzug in den Berufsalltag der IT-Profis. Sie müssen in Folge des Wachstumseinbruchs von den gewohnten Gehaltssprüngen Abschied nehmen. Zudem entpuppten sich die Jobs bei vielen einst als Börsenstar gefeierten Firmen nur bedingt als krisenfest.

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Von
  • Achim Born
Inhaltsverzeichnis

Die Gewerkschaften bekommen Oberwasser. ‘Wir werden uns in Zukunft auf bescheidene Zahlen bei der Beschäftigungsentwicklung einstellen müssen’, registriert der zweite Vorsitzender der IG Metall Jürgen Peters angesichts der Konjunkturschwäche des IT-Marktes nicht frei von Genugtuung das Ende des Hypes. Die aktuelle Gehaltsanalyse der Interessenvertretung offenbart zudem, dass der Rückgang der Konjunktur sich bei der Entwicklung der Gehälter niedergeschlagen hat. Mit mageren zwei bis zweieinhalb Prozent Gehaltssteigerung mussten sich im vergangenen Jahr folglich die IT-Spezialisten laut IGM begnügen. Für Peters steht zudem außer Frage: ‘Die Zeiten, wo durch Jobhopping exorbitante Gehaltssprünge realisierbar waren oder Absolventen sechsstellige (DM) Einstiegsgehälter erzielen konnten, sind vorbei’.

Nun ist es in heutigen Euro-Zeiten nahezu unmöglich, als Berufsanfänger ein sechsstelliges Jahresgehalt einzustreichen. Aber selbst die Grenze von 50 000 EUR erweist sich laut Gewerkschaftsstatistik für typische Einstiegsgehälter als unüberwindlich. Denn sie liegen für Informatiker, Ingenieure oder Naturwissenschaftler von Universitäten und Technischen Universitäten im Durchschnitt bei circa 41 500 EUR, während Absolventen von Fachhochschulen nach IGM-Analyse mit 3200 EUR weniger Jahresgehalt vorlieb nehmen müssen.

Jahresgesamtbezüge

(Bild: Kienbaum, 2002)

Die Werte der IG Metall liegen damit noch auf einem vergleichsweise hohen Anfangsniveau. Andere Gehaltsspiegel, etwa die ‘Vergütungsstudie 2002 Führungs- und Fachkräfte in der Informationstechnologie’ von Kienbaum, setzen nur 35 000 bis 38 000 EUR (Uni/TU) beziehungsweise 30 000 bis 33 000 EUR (FH) als typische Einstiegsgehälter an. Projektleiter Malte Brümmer beobachtete damit gegenüber dem Vorjahr einen Abschlag von 10 bis 15 Prozent. Insgesamt, so lautet das Ergebnis der Kienbaum-Untersuchung, sind die Grundgehälter von Führungskräften aber noch um durchschnittlich 3,3 Prozent und die der Fachkräfte um rund 3,5 Prozent gestiegen. Allerdings fiel der Zuwachs deutlich geringer als in den Vorjahren aus. Allein der dmmv-Spiegel 2002 des Deutschen Multimedia-Verbandes, der in Kürze veröffentlicht wird, gibt sich hier ein wenig freundlicher. Trotz der vielen Insolvenzen unter den multimedialen Softwareschmieden können qualifizierte Web-Designer und Internet-Spezialisten deutliche Gehaltszunahmen erwarten - wenn auch im einstelligen Prozentbereich.

Quintessenz der diversen Erhebungen: Der Marktmechanismus von Angebot&Nachfrage hat wieder die Richtung geändert. Denn jammerten Unternehmen und Branchenvertreter noch vor zwei Jahren über den exorbitanten Mangel an Fachkräften und stellten, ohne auf die Mark zu achten, jeden ein, der - so der Branchenjargon - selbstständig eine Tür öffnen konnte, deutete sich spätestens seit dem Sommer des vergangenen Jahres eine Trendwende an.

Einstiegsgehälter

(Bild: IG Metall, 2002)

Als Indiz für diese Entwicklung mag die Statistik der IT-Stellenanzeigen in 40 Tageszeitungen, Computerzeitschriften et cetera dienen, die laut Adecco/EMC für das erste Quartal 2002 gegenüber dem Vorjahreszeitraum einen Rückgang von 70 Prozent verzeichnet. In Zahlen ausgedrückt wurden statt für 29 000 IT-Stellen nur noch Bewerber für 8500 freie Stellen gesucht. Dass sich damit die Verhandlungsposition für IT-Experten verschlechtert hat, liegt auf der Hand.

Es mehren sich die Mahnungen von Personalberatern, eine gewisse Vorsicht und Bescheidenheit bei Gehaltsforderungen walten zu lassen. Zumal der eine oder andere Chef, emotional noch aufgewühlt über die in der Vergangenheit zähneknirschend akzeptierten Gehaltszuwächse, sich heute in vagen Andeutungen gefällt, wessen Arbeitsplatz gegenwärtig am meisten wackle und/oder nicht ins Gehaltsgefüge passe.

Neben guten Nerven und dem deutschen Sozialrecht bieten selbstredend eine ausgewiesene Qualifikation und das Wissen über seinen Marktwert den besten Schutz im Arbeitsleben. Die Frage der gerechten Höhe des Salärs lässt sich allerdings kaum abschließend beantworten. Denn jenseits einer philosophisch angehauchten Grunddiskussion weisen die diversen Untersuchungen weiterhin große Gehaltsunterschiede für vergleichbare Tätigkeiten aus. Auch lassen sich die Erhebungen aufgrund unterschiedlicher Annahmen und Voraussetzungen nur bedingt vergleichen. Als Orientierungshilfe bieten sie aber zumindest einen Ansatzpunkt für den ersten Vergleich mit dem eigenen Gehaltszettel.

Die bereits erwähnte IGM-Analyse stützt sich auf Daten aus 31 Betrieben mit annähernd 50 000 Beschäftigen sowie 18 000 weiteren Nennungen und damit sicherlich auf das umfangreichste Datenmaterial. In 14 Job-Familien mit insgesamt 59 Jobs sind in der 120 Seiten starken Analyse die einzelnen Tätigkeiten zusammengefasst. Dabei gesellten sich im Vergleich zum Vorjahr neue Arbeitsfelder aus Call-Center, Fertigung (Hardware) sowie Kaufmännische Administration (wie Controller, Bearbeiter von Kundenanfragen) den Jobs hinzu. Tätigkeiten aus dem Bereich neuer Medien (Web-Designer) werden dagegen nach wie vor explizit ausgenommen oder sind in der Jobfamilie Software Engineering subsumiert.

Nach Gewerkschaftserkenntnis mussten die Vertriebsbeauftragten die stärksten Abstriche hinnehmen, deren Bruttogehälter immer stärker flexible Entgeltbestandteile dominieren. Die Einkommen bewegen sich heuer zwischen 39 000 und 83 000 EUR, während in der Analyse aus dem Vorjahr der Firmendurchschnitt zwischen 40 000 und 95 000 EUR lag. Bei Senior-VBs und Vertriebsleitern lässt sich diese Tendenz ebenfalls beobachten, wobei die Topverdiener unter Letztgenannten gegenüber dem Vorjahr Abstriche von rund einem Sechstel hinnehmen mussten.

Software-Spezialisten konnten dagegen im oberen Gehaltsbereich noch größere Zunahmen verzeichnen. Allerdings ist hier die größte Bandbreite innerhalb eines Arbeitsgebietes zu beobachten. Ein Juniorprogrammierer verdient laut Firmendurchschnitt beispielsweise zwischen rund 25 000 und 74 000 EUR. Bei einem Projektleiter kann die Differenz bis zu 47 000 EUR betragen. Diese Werte werden allein noch von den Unterschieden der Gehälter im Vertrieb übertroffen. Vergleicht man die Einzelgehälter, sind sogar noch größere Differenzen pro Job zu verzeichnen. Bei der ersten Führungsebene (Manager) werden hier zwischen 45 000 und 175 000 EUR genannt, für Projektleiter sogar zwischen 37 000 und 175 000 EUR.

Erklären lässt sich die große Diskrepanz sicherlich mit unterschiedlicher Firmen- und Branchenzugehörigkeit und den Grad der Verantwortung (Mitarbeiter et cetera). Hinzu gesellt sich die Eigenart der IGM-Analyse, sämtliche Werte auf eine Wochenarbeitszeit von 35 Stunden umzurechnen. Entsprechend mehr (14,3 Prozent) verzeichnet der theoretische Gehaltszettel, wenn die 40-Stunden-Woche die Norm im Unternehmen ist. Auch rechnet die Gewerkschaft zum effektiven Jahresbrutto allein die durch Arbeitsvertrag, Vertriebsvereinbarung oder Tarifvertrag abgesicherten Bestandteile wie zusätzliches Urlaubsgeld, 13. Monatseinkommen oder Jahressonderzahlungen. Andere variable Leistungen wie Firmenwagen, Aktien/Optionen et cetera weist die Untersuchung extra aus.

In dieser Hinsicht bietet die Kienbaum-Studie, an der sich 280 Unternehmen beteiligten und die Daten von 5500 IT-Führungs- und Fachkräften enthält, einen direkteren Blick auf das eigentliche Salär. Denn sie weist neben den Grundgehältern die um Sonderleistungen aufgepeppten Jahresgesamtbezüge für 35 Positionen und Funktionen auf. So kann beispielsweise eine Führungskraft 85 000 EUR im Jahr mit nach Haus nehmen, wobei das Grundgehalt 78 000 EUR beträgt. Bei den gewöhnlichen Fachkräften decken sich dagegen Grundgehalt (51 000 EUR) und Jahresgesamtbezüge (52 000 EUR) nahezu.

Ähnlich wie die IGM-Untersuchung registriert die Kienbaum-Studie eine große Bandbreite in der Vergütung für einzelne Jobs. ‘Mit welchen Bezügen IT-Manager rechnen können, hängt dabei von verschiedenen Faktoren ab’, erläutert Projektleiter Brümmer an einem Beispiel. Neben hierarchischer Stellung und Personalverantwortung sei die Unternehmensgröße entscheidend. Die Position eines Leiters IT in einer großen Gesellschaft könne deshalb doppelt so hoch dotiert sein wie in einer kleinen Gesellschaft. Durchschnittlich verdient der oberste IT-ler inklusive aller Zulagen laut Kienbaum 109 000 EUR jährlich. Der Leiter Informationstechnologie kommt auf 83 000 EUR, ein Systemgruppenleiter auf knapp 60 000 EUR und ein Systemprogrammierer auf ein Jahresgesamtgehalt von 57 000 EUR.

Allein das untere und obere Quartil in der Untersuchung (die jeweils ersten 25 Prozent der Werte um den Median) weist für einen Leiter Informationstechnologie eine Spannbreite von knapp 70 000 bis 100 000 EUR auf. Für einen Leiter Multimedia sind es 56 000 bis 85 000 EUR und für einen Anwendungsprogrammierer 37 000 bis 55 000 EUR.

Brümmer ist überzeugt, dass sich gerade in Zeiten unsicherer Märkte zunehmend die variable Vergütung durchsetzt und Gehälter über Zielvereinbarungen mit dem Erfolg des Unternehmens verknüpft werden. Nach seinem Kenntnisstand ist dies in diesem Jahr bei 64 Prozent der Führungskräfte unterhalb des Vorstandes der Fall. Sie bekommen - zusätzlich zum Festgehalt - durchschnittlich 17 000 EUR variabel vergütet. Auf der zweiten Führungsebene sollen es mittlerweile 61 Prozent sein, deren Gehalt einen variablen Anteil beinhaltet.

Spanne möglicher Jahresgehälter

(Bild: IG Metall, 2002)

Dagegen erhält lediglich ein gutes Drittel der Fachkräfte einen variablen Bonus in einer durchschnittlichen Höhe von 4000 EUR. ‘Vor allem die Ertragslage des Unternehmens spiegelt sich in den Bonuszahlungen wider. Bei einer überdurchschnittlich guten wirtschaftlichen Unternehmenssituation liegen die Erfolgsbeteiligungen deutlich höher als bei einer eher mäßigen Ertragslage. Je nach Unternehmenserfolg erhalten Führungskräfte zwischen 6 und 18 Prozent ihrer Vergütung auf variabler Basis’, erläutert der Gehaltsexperte von Kienbaum.

Angesichts der aktuellen Konjunkturlage empfehlen Personalberater wie Michael Neumann von Hager und Partner den IT-Fachleuten sogar explizit, sich in ihren Forderungen von der wirtschaftlichen Lage des eigenen Arbeitgebers leiten zu lassen. Simple Daumenregel: Je besser eine Firma verdient, desto besser verdienen in der Regel die Mitarbeiter. Ansonsten besitzen viele IT-Gehälter ihr ‘persönliches’ Antlitz, das neben eigenen Qualitäten wie Qualifikationen und Berufserfahrung zusätzlich durch Aspekte wie Region und Unternehmensgröße bestimmt wird.

Allgemein gilt beispielsweise, dass in der Bundeshauptstadt schlechter bezahlt wird als in der Stadt des bayrischen Kanzlerkandidaten. Ebenso zieren die neuen Bundesländer nach einer statistisch nicht abgesicherten Gehaltsumfrage unserer Schwesternzeitschrift c’t das untere Ende der Einkommensskala. Frauen bekommen danach im Schnitt ebenfalls weniger als Männer.

Dies deckt sich mit den Ergebnissen der Gehaltsstudie der Computerwoche, für die die Prisma Prof. Scholz GmbH die Daten von insgesamt 5000 Stellen (800 Einzelpersonen sowie 20 Firmen) analysierte. Über alle Einkommensgruppen hinweg registrierte man bei Frauen 10 bis 15 Prozent weniger im Geldsäckel. Die über 360seitigen, für Privatpersonen für rund circa 50 EUR beziehbare Auswertung förderte außerdem zutage, dass langjährige Führungsverantwortung sich besonders stark auf die Gesamtvergütung auswirkt. Auch zahlen große Firmen etwas mehr als kleine. Gleiches gilt bis zu einem Faktor 2, wenn der Stellenwert der IT bedeutend oder sehr bedeutend ist.

Informatiker, so ein weiteres Ergebnis der Untersuchung, verdienen mehr als Wirtschaftsinformatiker, beide werden aber von Naturwissenschaftlern und Betriebswirten übertroffen. Die Unterschiede sind jedoch nicht überwältigend. Sie beruhen vermutlich weniger auf dem formellen Ausbildungsniveau denn auf anderen Faktoren wie Führungs- und Budget-Verantwortung. Bestätigt wird diese Annahme durch die Einkommensverteilung nach Schulabschluss. Während im unteren Bereich (dem ersten Viertel), die Bezahlung eindeutig mit der Ausbildung korrespondiert und MBAs mit Abstand am höchsten verdienen, wirkt sich der formale Ausbildungsabschluss bei den Top-Verdienern - den oberen 5 Prozent einer jeden Gruppe - kaum mehr aus. Fasst man die Gruppengröße dagegen weiter (Top 25 Prozent) scheint eine gute Ausbildung an einer Business-School oder Uni/FA beste Voraussetzungen für ein überdurchschnittliches Salär zu sein.

Finanzielle Konsequenz der Ausbildung
Abschluss untere 25% Mittel top 25% top 5%
Hauptschule 65 000 118 683 113 896 320 000
Mittlere Reife 70 000 118 013 148 500 241 400
Abitur 84 000 115 632 145 000 200 000
Lehre 76 650 113 349 145 064 192 800
Berufsakademie 92 600 124 224 150 000 223 300
Fachhochschule 78 000 131 935 156 750 250 000
Universität 95 875 127 706 148 000 220 000
MBA 146 550 203 525 260 500 320 000
Promo./Habil. 115 800 160 963 201 000 352 500
Alle Werte in DM
Quelle: Computerwoche Gehaltsstudie 2001

Gehaltsentwicklung ab 1999

Folgt man den Überlegungen von Brümmer, zählt im Gegensatz zur Jahrtausendwende heute eh wieder gutes Ausbildungsniveau zu den unabdingbaren Karrierefaktoren. ‘Die Unternehmen sind zunehmend kritischer, wer mit welchen Skills und Erfahrungen eingestellt wird. Die echte Qualifikation - nicht mehr die Seiteneinsteiger - ist gesucht’, steht für den Kienbaum-Mann fest. Wer ohne Abschluss oder als Quereinsteiger keine besondere IT-Qualifikation aufweisen kann, hat nach seiner Einschätzung kaum mehr eine Chance.

Bringt man diese Ausführungen mit den Meinungen des IGM-Vize Peters (‘Die beste Strategie gegen Arbeitsabbau und Einkommensverluste ist die Gründung von Betriebsräten’) sowie der Entwicklung zusammen, dass selbst in vielen IT-Unternehmen aufgrund der zunehmend unsicheren Lage Gewerkschaften an Akzeptanz zulegen, lässt sich eindeutig feststellen: der Mythos von IT-Jobs ist von dannen und ein Stück Normalität hat Einzug gehalten. Dies gilt auch für die Einkommensentwicklung in diesem Jahr, die Kienbaum bei bei guten 3 Prozent veranschlagt; mithin gerade etwas mehr als die Hälfte der aktuellen Tarifforderung der IG Metall.

Mehr Infos

iX-TRACT

  • Gerade Einstiegsgehältern - hier sind 50 000 EUR im Jahr realistisch nicht mehr zu erreichen - sind durch die verringerte Nachfrage der Unternehmen betroffen.
  • Unternehmen gehen dazu über, immer größere Teile des Gesamtgehaltes als variable Leistungsprämie zu vereinbaren.
  • Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern bekommen immer noch weniger als in den alten, Frauen verdienen weniger als Männer.

(wm)