Chip-Industrie: China hat Ambitionen zur Großmacht in der Halbleiterfertigung

Peking will mit aller Macht bei Halbleitern unabhängiger vom Ausland werden. Derzeit scheint China hinter Plan zu liegen – doch das ist eine Momentaufnahme.

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(Bild: muhammadtoqeer/Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Martin Kölling
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China hat bereits in mehreren Hightech-Industrien eine wichtige, wenn nicht dominante Stellung eingenommen. Ein Beispiel sind Solarzellen, ein anderes Autoakkus. In einem der wichtigsten Bereiche hinkt die Entwicklung allerdings dem Plan hinterher – und könnte es weiterhin tun: der Halbleiterindustrie.

Bereits seit etwa 20 Jahren gibt es Pläne, mehr Chips in China zu entwickeln. Im Juni 2014 veröffentlichte die chinesische Regierung dann die "Richtlinien zur Förderung der Entwicklung der nationalen Halbleiterindustrie". Die kommunistische Führung des Landes war in ihrer Vision nicht bescheiden: Das Ziel sei, "bis 2030 eine weltweit führende Halbleiterindustrie in allen Bereichen der Lieferkette für integrierte Schaltkreise aufzubauen".

Das Dokument ist Teil der Strategie "Made in China 2025", einer ehrgeizigen Wachstumstrategie in vielen Wirtschaftsbereichen, mit denen China sich unabhängiger von Technikimporten machen will. Bei Halbleitern sah die Regierung nun vor, bis 2025 70 Prozent der eigenen Chipnachfrage durch inländische Produktion zu decken.

Nach bewährter Manier trat und tritt der Staat als Großfinancier auf. Die Bedeutung der Investitionen brachte der US-Kongress im April in einem Bericht wie folgt auf den Punkt: "Chinas staatlich gelenkte Bemühungen, eine einheimische und vertikal integrierte Halbleiterindustrie zu entwickeln, sind in Umfang und Ausmaß beispiellos."

Zur Umsetzung seines Halbleiterplans hat China einen staatlichen Fonds – den China Integrated Circuit Investment Industry Fund (CICIIF) eingerichtet. Der Kongressreport berichtet, dass er Unternehmen schätzungsweise 150 Milliarden US-Dollar an staatlichen Mitteln zur Verfügung stellte. In den folgenden Jahren wurden mehr Gelder versprochen.

Damit will die Regierung den Unternehmen helfen, eigene Technologien zu entwickeln, im Land Fabriken zu bauen sowie im Ausland unter staatlicher Lenkung Unternehmen zu übernehmen und Produktionsanlagen zu kaufen. Doch trotz der Anstrengungen scheint die Wirklichkeit hinter dem Plan hinterherzuhinken.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Zwar ist Chinas Chipmarkt rapide gewachsen. Ende 2020 machte China Daten des Marktforschers IC Insight zufolge bereits 15,3 Prozent der globalen Produktionskapazität von Halbleitern aus. Damit lag das Land hinter Taiwan, Südkorea, Japan auf Platz 4 der Weltrangliste, just vor den USA. Doch trotz der Fortschritte sagen die Experten voraus, dass der Anteil im Lande produzierter Chips an der heimischen Nachfrage von 16 Prozent im Jahr 2020 bis 2025 nur auf 19,4 Prozent ansteigen wird. Und dieser Wert halbiert sich fast, wenn man die Produktion ausländischer Hersteller in China wie Samsung aus Südkorea oder TSMC aus Taiwan abzieht.

Der koreanische Wirtschaftsprofessor Lee Keun, der Vizevorsitzende des nationalen Wirtschaftsrats für Südkoreas Präsidenten, erklärte in einem Artikel für Project Syndicat, warum Chinas bewährte Jagdtricks bei Halbleitern bisher weniger gut funktionieren. So könne die typische Nachzügler-Strategie, die sich auf die Herstellung billigerer Produkte im unteren Preissegment konzentriere, bei Halbleitern nicht angewandt werden. Denn ein fortschrittlicherer Speicherchip der "nächsten Generation" koste in der Regel genauso viel oder weniger als seine Vorgänger. "Weniger fortschrittliche Chips sind daher praktisch wertlos", so der Experte.

Stattdessen müssten Unternehmen wie früher Samsung bei seiner Aufholjagd auf die Japaner eine Leapfrogging-Strategie anwenden, also fortschrittlichere Versionen entwickeln, bevor die etablierten Unternehmen dazu in der Lage sind. Und das ist China bisher nicht gelungen. Gerade die heimischen Hersteller produzieren bisher vor allem Chips mit relativ großen Nodes im 28-Nanometerbereich. Der Markt für Chips mit unter 10 Nanometer großen Strukturen wird von TSMC, Samsung und Intel beherrscht.

Das bedeutet nun nicht, das Chinas Wirtschaft die amtlichen Ambitionen niemals erreichen wird. Geld kann viele Hindernisse überwinden. So schütten Zentral- und Lokalregierungen weiterhin massiv Geld in den Sektor. Der Technik-Hub Shenzhen bei Hongkong hat gerade erklärt, den Ausstoß der lokalen Chipindustrie inklusive Packaging und Prüfung bis 2025 auf umgerechnet 37 Milliarden Dollar zu verdoppeln.

Auch heizen lokale Hersteller wie SMIC den globalen Riesen bei Chips für die Autoindustrie ein. Südkoreas Tageszeitung "JoongAng" sorgte sich bereits, dass China die Machtverhältnisse bei Low-End-Chips mit Korea umdrehen könnte. Chinas Probleme bei den modernsten Chips hätten dem Artikel zufolge dazu geführt, dass sich die Chipproduzenten im Reich der Mitte mit noch mehr Schwung auf Anwendungen wie Chips für Autos und künstliche Intelligenz stürzen, die sie mit ihrer derzeitigen Produktionstechnik herstellen können.

Mehr über China

Auch der deutsche Chemiekonzern Merck sieht Wachstum voraus. Im Mai kündigte das Unternehmen seine bisher größte chinesische Investition in seinem Elektronikbereich an. Unweit von Shanghai wird Merck in der Stadt Zhangjiagang für rund 82 Millionen Dollar ein Werk bauen, dass die chinesische Chipindustrie mit Halbleitermaterialien und Produktionsanlagen unterstützen soll.

Laut dem englischsprachigen Sprachrohr der kommunistischen Partei "China Daily" erklärte Kai Beckmann, der Chef von Mercks Elektroniksparte, dass Chinas Chipindustrie einer der wichtigsten Märkte des deutschen Unternehmens sei. Chinas 14. Fünf-Jahresplan wolle eine digitale Infrastruktur entwickeln, was eine anhaltende und starke Nachfrage der chinesischen Chipindustrie nahelege.

Die Frage ist nur, wie sehr die Nachfrage angesichts des anschwellenden Gegenwinds wachsen wird. Denn die Chancen steigen, dass der Schwung von Chinas Aufholjagd erlahmt. Erstens versuchen die USA in ihrem wachsenden Konflikt mit China, dem aufstrebenden Rivalen den Zugang zu moderner Technologie und den fortschrittlichsten Produktionsanlagen zu verbauen. Das erscheint schon jetzt Chinas technologische Aufholjagd zu erschweren.

Zweitens antworten die USA mit einer eigenen Industriepolitik, um daheim wieder mehr Chips zu produzieren. Und Konzerne wie Samsung und TSMC folgen, mit recht modernen Werken, die es in China noch nicht gibt.

Und drittens sind es längst nicht nur die USA, die sich plötzlich gegen Chinas Vorstoß in die Chipbranche wehren. Die Europäische Union, Südkorea und Japan fördern die Entwicklung der Chipindustrie in ihren Grenzen. Außerdem erschweren sie es chinesischen Firmen, Unternehmen zu kaufen und Personal anzuwerben. Und zu schlechter Letzt stellt sich Chinas Führung ihren eigenen Weltherrschaftsansprüchen gerade selbst Hürden in den Weg.

Der Versuch, heiße Luft aus der Blase im Immobilienmarkt zu lassen, hat nicht nur das Wachstum gebremst. Jetzt droht die Immobilienkrise auch auf den Bankensektor und die Finanzen der Lokalregierungen überzugreifen. Gleichzeitig treibt die harte Null-Covid-Strategie, die in diesem Jahr in mehreren Metropolen zu mehr oder weniger harten Lockdowns führt, das Wachstum nach unten und dringend benötigte ausländische Fachkräfte aus dem Land. Nun muss sich zeigen, ob das Land aus eigener Kraft eine weltführende Chipindustrie aufbauen kann – oder weiter von Chipimporten aus dem Ausland abhängen wird.

(jle)