Dass mir daß nicht vorkommt

Wenn dpa, Spiegel und Stern, Zeit, Brigitte und Journalistenschulen sich dafür entscheiden, zum 1. August 1999 auf die neue Rechtschreibung umzustellen, ist das auch für iX der richtige Zeitpunkt - denn irgendwann muss es ja doch sein.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Henning Behme
Inhaltsverzeichnis

Geahnt haben es alle: wir kommen um die neue Rechtschreibung letztlich nicht herum; da mögen die Schleswig-Holsteiner sich noch so zieren. Und im Grunde hatte die Kommission ehrenwerte Ziele: Vieles soll einfacher werden. Gute Idee, zumindest im Großen und Ganzen. Der Teufel steckt, wen wunderts, im Detail.

Als Grundsatz könnte man festhalten: mehr Regeln, weniger Ausnahmen. Aber natürlich gibt es auch hierfür Ausnahmen. Wie es in der Online-Duden-Einführung zum neuen Deutsch [1] heißt, ging es unter inhaltlichem Gesichtspunkt darum, ‘die Systemhaftigkeit unserer Rechtschreibung und den Grad der Allgemeingültigkeit ihrer Regeln zu erhöhen’, und hinsichtlich der Präsentation sollte das Regelwerk ‘überschaubar, verständlich und handhabbar’ sein.

In einigen Bereichen ist das sicherlich gelungen - auch wenn sich den Puristen die Haare sträuben. Die Eindeutschung bestimmter Lautfolgen ist sicherlich alle hundert Jahre sinnvoll. Aus é wird ee wie in Exposee, und das ph gehört ab sofort in die Liste der bedrohten Buchstabenkombinationen. Wir werden es nach wie vor verwenden: dort, wo das f allzu sehr schmerzt. Man denke nur an Philosophie und andere Phänomene, die auch der Duden nicht angetastet hat.

c’t und iX werden gemeinsam versuchen, die neue Rechtschreibung möglichst weitgehend umzusetzen. Das heißt unter anderem, dass wir um der Einheitlichkeit willen sowohl über die Schatten einiger Redakteure springen müssen als auch einigen Einschränkungen, wie sie beispielsweise die Rechtschreib-Kommission von Gruner+Jahr vorgenommen hat, nicht folgen werden.

Zu ein paar Einzelheiten. Einfach ist es, das ß durch ein doppeltes s zu ersetzen (ß nur noch nach langem Vokal und Diphtongen) oder sich darauf einzurichten, dass jetzt viele Verben, die man als ein Wort kannte, aus zwei Wörtern bestehen (was zu seltsamen Konnotationen führt). Schwieriger sind da schon die Regeln und Ausnahmen zur Groß- und Kleinschreibung (siehe den Kasten ‘Getrennt schreiben, vereint buchstabieren’). Grundsätzlich heißt es zwar: ‘Getrenntschreibung gilt als Normalfall’, aber wann etwas als ein Wort zu schreiben ist, bedarf gesonderter Festlegungen.

Getrennt schreiben, vereint buchstabieren
getrennt zusammen
außer Stande sein Heavymetal
in Frage stehen Jaltaabkommen
zu Grunde liegen Wildcard
abhanden kommen bereithalten
fertig stellen handhaben
genau nehmen hochrechnen
stehen bleiben maßregeln
überhand nehmen schlussfolgern

Wer diese Regeln beherrscht, weiß, dass innerhalb des Verbs steigerbare Adjektive zum Getrenntschreiben führen (genau nehmen); solche, bei denen das nicht geht, aber zu einem Wort führen (hochrechnen). Bei Verbindungen einer Infinitivform und eines Verbs heißt es künftig: zwei Wörter (kennen lernen). Dagegen sind alle Verben, die mit ab, auf, aus, heraus und voraus beginnen, zusammenzuschreiben (herauskommen versus abhanden kommen).

Wählen dürfen Autoren künftig zwischen an Stelle/anstelle von und in Frage/infrage stellen. In diesen und anderen Fällen ist das Substantiv jeweils großzuschreiben. Wir allerdings streben an, durchgängig die getrennte Form zu verwenden.

Ein Sonderfall des Getrennt- oder Zusammenschreibens ist die Kupplung zweier Wörter durch den Bindestrich. Wir nutzen sie vor allem dann, wenn ein deutsches und ein englisches Wort verbunden werden: Default-Seite, aber Desktop Publishing (weil es so auf allen Packungen steht). In den Fällen, in denen Zusammensetzungen sich schnell zu eigenen Begriffen wandeln, entscheiden wir uns für Zusammenschreibung: Filesystem, Website, Webseite. Diese Entwicklung ist den Zeitschriften gleichsam im Jahresvergleich anzusehen.

Mehrteilige Eigennamen, die bislang durch Großbuchstaben glänzten, verlieren eine Majuskel: etwa die boolesche Algebra. Der Urheber wird bei uns nur noch in der Form der Boole’schen Algebra mit einem Großbuchstaben in Erscheinung treten.

Nicht zum Gegenstandsbereich des Regelwerks gehören ferner Fachausdrücke beziehungsweise fachsprachlich gebrauchte Wörter, zum Beispiel die Terminologie der Chemie oder der Medizin.

Was die Duden-Redaktion in [1] so nonchalant formuliert, betrifft Linguisten anscheinend nur bedingt, denn die neue Schreibweise von Rechtschreibung bringt zwei der Regeln gleich gegenläufig in einem Wort unter: Orthografie (weg mit dem ph, das th darf bleiben) ist jetzt alternativ zu Orthographie möglich - immerhin ist die alte Schreibweise die im Duden erstgenannte.

Was Fremdwörter und Kombinationen mit ihnen angeht, dürfte dies am ehesten der Bereich sein, in dem wir vom Duden abweichen beziehungsweise auch in Zukunft dieses Feld beackern müssen, bevor diese Begriffe in die allgemeine Sprache eingehen. Ein Fall aus der Vergangenheit: jahrelang haben wir EMail geschrieben, um das Wort von Email abzugrenzen. Vorbei mit diesem minimalen Unterschied. Im Zuge der neuen Rechtschreibung werden wir künftig die Schreibweise des 1996er Dudens übernehmen und nur noch E-Mail verschicken.

Mehr Infos

Was der Duden noch nicht kennt

Addon, das
Array, das
Client/Server-Technik, die
Computerhaptik, die
E-Banking, das
E-Commerce, der
Emotikon, das
E-Shop, der
Filesystem, das
Host, der
lowcost
Mail, die (Kurzform von E-Mail)
Plugin, das
Site, die
Smiley, der
URL, die
Web, das
Webserver, der
Website, die
Webspace, der
WWW, das

Nicht alle Begriffe, die seit ein paar Jahren Eingang in die deutsche Sprache - genauer: die Computerfachsprache - gefunden haben, konnte und wollte die Duden-Redaktion in die 1996 erschienene Neuauflage von Band 1 (Rechtschreibung) aufnehmen. Das Internet und der Cyberspace haben es gerade noch geschafft, der Return ist immerhin als Tennisbegriff vorhanden. Aber selbst Wörter, die mittlerweile in aller Zeitschriften ‘Munde’ sind, wird man dort vergeblich suchen, weil es immer eine Weile dauert, bis eine Kommission sich zu einer Entscheidung durchgerungen hat. Beispielsweise dürfte zwischen ‘Sitar’ und ‘Sit-in’ in ferner Zukunft auch ‘Site’ stehen. Ob in der Schreibweise und mit dem grammatischen Geschlecht, die wir pflegen, sei dahingestellt. Der Kasten ‘Was der Duden noch nicht kennt’ ist deshalb auch nicht als Liste der Unterlassungen gedacht, sondern vielmehr als Auszug einer Liste von Begriffen, die wir in der dort zu findenden Schreibweise und dem angemerkten Genus verwenden.

Bei aller Versuchung, Häme über diese oder jene Wahl der Schreibweise auszugießen, sollte man nicht vergessen, dass eine Neuregelung immer die ästhetische Wahrnehmung des einen oder der anderen verletzt. Und eins der großen Themen ist die Kommission diesmal gar nicht angegangen: die Groß-/Kleinschreibung grundsätzlich neu zu regeln. Definitiv eine Aufgabe fürs nächste Jahrtausend.

Literatur

[1] Duden-Redaktion; Fragen im Zusammenhang mit der Neuregelung

[2] c’t/iX; Die neue Rechtschreibung bei c’t und iX

Mehr Infos

Vorsicht: Sprachabmahnung

Dass der Duden nicht schnell auf Veränderungen reagieren kann, hat teilweise kuriose Folgen. Wenn Wörter, meist aus dem Englischen, ins Deutsche gelangen, versuchen gelegentlich Firmen, sich einen solchen Begriff als Markenzeichen zu sichern. So geschehen mit dem Begriff ‘Webspace’, den die Kanzlei von Gravenreuth als Eigentum eines ihrer Mandanten betrachtet und dementsprechend Abmahnungen verschickt hat. Streitwert 50 000, Abmahnkosten 1300 Mark.

(hb)