Der Kaiser bleibt nackt

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Von
  • Christian Kirsch

Offenbar können sich ihre Gegner ins Zeug legen, wie sie wollen – die Softwarepatente kommen, und sei es durch die Hintertür. So hat der Bundesgerichtshof kürzlich entschieden, ein Programm müsse nur so ausgestaltet sein, „dass es auf die technischen Gegebenheiten der Datenverarbeitungsanlage Rücksicht nimmt“ (siehe iX 9/10, Seite 84). Vermutlich haben die hohen deutschen Richter im Alltag immer mit Programmen zu kämpfen, die rücksichtslos die technischen Gegebenheiten der Rechner ignorieren. Dann müssen sie eine funktionierende Anwendung selbstverständlich für umwerfend innovativ und patentwürdig halten.

Der bislang vom Deutschen Patentamt bewachte Damm hat also einen ersten Riss bekommen. Pessimisten könnte ein Blick auf das Verhalten der EU im Streit mit den USA um Passagier- und Bankdaten reichen, um die Entwicklung bei Softwarepatenten vorherzusagen. Denn schon in diesen Fällen kommen die europäischen Staaten den Wünschen des großen transatlantischen Bruders willfährig nach. Was also sollte sie hindern, den dortigen Regelungen hinsichtlich der Patentierbarkeit von Software zu folgen? Zumal sich sicherlich genügend Unternehmen finden, die mit dem Totschlagargument „Arbeitsplätze sichern“ dafür werben würden.

Dabei zeigen sowohl die gängige Praxis in den USA als auch die groteske Begründung des BGH, dass es keine Berechtigung für Softwarepatente gibt. Erinnert sei an Amazons berüchtigte Schutzschrift für den „Ein-Klick-Kauf“, an Microsofts Niederlage in der Auseinandersetzung mit i4i um in XML eingebettete Rohdaten und an Googles Patent auf die länderabhängige Anzeige von Suchergebnissen. Die jüngst von Apple in den USA gestellten Anträge für mobile Hotel-, Reise- und Mode-Anwendungen illustrieren einmal mehr, dass Softwarepatente nichts mit Erfindungen zu tun haben. Man bastelt hurtig aus dem Stand der Technik die Beschreibung von etwas, das es genau so noch nicht gibt, und flugs hat der Kaiser ein neues Kleid. Die Rufe, dass er so nackt dastehe wie immer, verhallten bislang von Gerichten und Behörden meist ungehört.

Wer Software patentieren lässt, dem geht es häufig darum, möglichst schnell eine Banalität zu schützen, um zu gegebener Zeit damit Geld zu verdienen – nicht etwa, indem er die Idee in die Tat umsetzen und das Produkt verkaufen würde. Er will einfach nur jeden bezahlen lassen, der in Zukunft auf dieselbe oder auch nur eine ähnliche Idee kommt und sie in ein Produkt gießt. Solches Parasitentum braucht keinen Schutz. (ck)