Die Vorlieben der Freunde

Allmählich tauchen in Deutschland erste Konten auf, in denen Facebooks Graph Search aktiviert wurde. Die neue Suchfunktion ist unglaublich mächtig, mitunter datenschutzrechtlich bedenklich. In ihrem Fahrwasser könnte Microsofts Suchmaschine Bing mehr Bedeutung bekommen.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Frank Puscher
Inhaltsverzeichnis

Veröffentlichungen zu Facebooks im Januar angekündigter Graph Search in der ZEIT und der Frankfurter Rundschau enthalten das Wort „Rasterfahndung“, was für die kritische Haltung der Autoren zur neuen Suchfunktion steht beziehungsweise auf datenschutztechnisch Bedenkliches hinweist.

  • Welcher meiner verheirateten Freunde mag die Herbertstraße?
  • Welche Seiten mögen die Fans meiner Marke noch?
  • Wer hat mein urheberrechtlich geschütztes Foto geteilt?

Solche und ähnliche Fragen dürften die Nutzer in naher Zukunft an Facebook stellen. Nicht an den Kundendienst, sondern an Facebooks neue Suchfunktion Graph Search, die derzeit in den USA im Betastadium läuft. Experten erwarten, dass sie in zwei bis drei Monaten allen Amerikanern zur Verfügung stehen wird. Wann und in welcher Konfiguration sie nach Deutschland kommt, ist derzeit noch nicht klar. Absehbar ist hingegen, dass die Datenschützer dagegen Sturm laufen werden.

In den letzten Jahren hat Google einen Riesenaufwand betrieben, um die eigenen Suchergebnisseiten besser an die wirklichen Nutzerbedürfnisse anzupassen. Mit massiven Eingriffen in die Ranglisten (Panda-, Panda2- und Penguin-Update, siehe „Alle Links“) tastet sich der Suchmaschinenriese an die Nutzer heran. Jens Fauldrath, ehemaliger Teamleiter SEO bei der Deutschen Telekom, ist der Auffassung: „Inzwischen weiß Google manchmal genauer, was die Nutzer suchen, als die Nutzer selbst.“

Es geht um Relevanz. Welches Suchergebnis befriedigt die Bedürfnisse des Suchenden am besten? Google nutzt beispielsweise einen Abgleich zwischen Suchbegriff und Landeseite, um zu entscheiden, ob ein Angebot zu einer Suchanfrage passt. Google misst, wie häufig Nutzer blitzschnell den Back-Button des Browsers drücken und damit zu erkennen geben, dass ihnen die besuchte Seite nicht gefällt.

Und nun kommt Facebook und krempelt das Prinzip einfach um. Statt im Ausschlussverfahren die schlechten Seiten aus der Suche zu verbannen, erstellt Facebook eine Positivliste. Nur das, was andere Nutzer mit einem Like, einem Kommentar oder einem Check-in ausgezeichnet haben, wird zum potenziellen Ergebnis in der Graph Search. Das muss keineswegs auf den eigenen Freundeskreis oder die Fans einer Marke beschränkt sein. Mitunter traut man ja manchen Freunden keinen guten Kinogeschmack zu. Nein, mit Graph Search kann man jede Nutzergruppe definieren, über die man mehr wissen möchte. Einfaches Beispiel: Eine Präferenz definiert die Zielgruppe, die andere Präferenz bildet das Suchergebnis: „Welche Filme mögen User, denen der Film ,Life of Pi‘ gefallen hat?“ Facebook lässt demnach die eigenen Nutzer die Inhalte filtern und sucht primär innerhalb dieser Sortierungen. Ein System mit gewaltiger Kraft.

Noch sind in Deutschland offiziell nur wenige ausgewählte Konten für die neue Suche geöffnet. Eventuell schafft man die Registrierung mehreren Blogs zufolge durch einen kleinen Trick: Wenn man die Benutzersprache auf English (US) schaltet und seinen Wohnort kurzfristig nach Amerika verlegt, soll die Freischaltung nur 14 Tage dauern. Im Test funktionierte es aber nicht.

Ist die Suche da, merkt man als Nutzer davon zunächst nicht viel. Erst wenn man beginnt, Begriffe in den Suchschlitz zu tippen, ändert sich das Bild. Passend zur Eingabe bietet Facebook direkt ein paar Standard-Suchanfragen an. Klassische Begriffe sind „Movies liked by“, „Restaurants liked by“ – und Graph Search wartet nur noch auf die Spezifizierung der Zielgruppe.

Facebooks Graph Search listet Bing-Ergebnisse ohne Werbung auf; links dahinter das „normale“ Bing-Ergebnis.

Wird diese Vorschlagsfunktion im Facebook-Universum nicht fündig, bietet sie eine „Web Search“ für den genannten Suchbegriff an. Die führt Microsofts Bing durch. Die Ergebnisse sind praktisch die einer normalen Bing-Suche, allerdings mit einer Ausnahme. Noch erscheinen keine bezahlten Anzeigen (siehe Abb.). Zu Suchbegriffen, die in der normalen Suche bestens mit Anzeigen ausgestattet sind (etwa „Lenovo Yoga“), zeigt Facebook ebenfalls nur den organischen Index an. Heiko Eckert, ehemaliger Suchmaschinenexperte bei Bigmouthmedia und heute Leiter des Digitalmarketing beim Modehändler mytheresa, ist sicher: „Facebook macht das, um hier eigene Anzeigen vermarkten zu können.“ Schon heute kann man bestimmte Anzeigenformate buchen, die bei einer Facebook-Suche ganz oben erscheinen. Das funktioniert für die alte wie für die neue Suche. Mediamarkt steuert derzeit beispielsweise Anzeigen dort aus.

Auf lange Sicht kann das für Bing einen Nachteil bedeuten; kurzfristig überwiegen auf jeden Fall die Vorteile. Wird die Graph Search flächendeckend ausgerollt, dürfte Bing einen deutlichen Traffic-Schub bekommen. Im Gegensatz zur Google-Suche hat der Nutzer ja beide Optionen unter seinen Fingerspitzen. Er kann ganz normal im Web suchen, aber er kann die Suche außerdem auf bestimmte Personenkreise einschränken. Google kann das nicht.

Der Anstieg an Traffic dürfte bedeuten, dass Unternehmen beginnen, ihre Seiten so zu optimieren, dass Bing sie besser findet. Ein Kriterium hierfür ist die Integration eines kleinen Facebook-Plug-ins. Das zeigt in den Suchergebnissen, wie viele Menschen eine Marke mit einem Like ausgestattet haben. Hier sieht man schon die enge Verzahnung von Bing und Facebook.

Aus Nutzersicht macht Graph Search vor allem eins: Es hält den Datenstrom kurzfristig an. Bisher rauschte der Nachrichtenstrom ungebremst an einem vorbei und man konnte gelegentlich mal etwas genauer hinschauen. Mit Graph Search lassen sich ältere Beiträge zu einem Thema finden. Bei einem Facebook-Freund, der Berufliches und Privates auf Facebook veröffentlicht, könnte man die beiden Welten durch die Suche trennen.

Bei der Optimierung der eigenen Seiten für Bing wird es nicht bleiben. Unternehmen tun gut daran, schon jetzt ihre Facebook-Präsenz aufzuräumen. Die Bilder sind mit Schlagwörtern auszustatten. Die grundlegenden Daten müssen stimmen und aktuell sein.

Eine grundsätzliche Überlegung könnte sein, zusätzlich zur Marken-Präsenz auf Facebook Themenpräsenzen auszubauen, die vor allem einen starken Titel haben. Entspricht der Titel der Suchanfrage, erscheint der Eintrag prominenter. Dasselbe Ritual haben die Suchmaschinenoptimierer schon bei Google durchexerziert. Wer beispielsweise nach „Tickets Robbie W“ sucht, bekommt als erstes Ergebnis die Seite „Robbie Williams Tickets“ angezeigt. Hier werden passende Links zu Konzertkartenangeboten gepostet.

Eine ähnliche, aber weniger aggressive Form des Content Marketing könnte ein Profil eines Reisenden sein, der in unterschiedlichen Regionen urlaubt und von dort Ausflugs- und Übernachtungstipps gibt. Hier hätte das Reisebüro die Chance, einzelne Mitarbeiter zu Regionsspezialisten auszurufen und via Social Media populär zu machen. Dasselbe gilt für den Themenexperten im Buchhandel.

Wer seine Kunden über Facebook näher kennenlernen will, kann die Graph Search zur Recherche benutzen. Hier erfährt man, welche anderen Seiten die Nutzer ebenfalls mögen. Grenzt man den Nutzerkreis mit der After Search Navigation auf der rechten Seite ein, so kann man die Gesamtheit in einzelne Zielgruppensegmente unterteilen und die Kommunikation an die (weiteren) Vorlieben der Nutzer anpassen. Freilich tauchen dort sogar Wettbewerber auf, die man eventuell gar nicht kannte.

Vermutlich ist die Präzision des Targeting ohnehin die große Stärke von Graph Search. Matt Owen, Social Media Manager von Econsultancy, sagt, dass es künftig weniger auf Geschlecht und Alter setzende Anzeigen und Posts geben werde, als vielmehr solche, die auf Vorlieben der Nutzer zielten.

Eine spannende Zielgruppe sieht Kelvin Newman (Strategiechef bei SiteVisibility.com): Wenn man die Nutzer anspreche, die das eigene Unternehmen mit einem Like versehen haben, erreiche man diejenigen, die seit dem Like inaktiv waren. Die sähen nach gewisser Zeit die normalen Postings nicht mehr. Beide Experten sind übrigens der Auffassung, dass Graph Search zu einem neuen Anstieg von Spam führen wird. Das gilt vor allem für Themen aus Human Ressources und Personalplanung, wie das schon bei LinkedIn geschehen ist.

Heiko Eckert gibt folgenden Tipp: „Wenn ich lokaler Player, also ein Restaurant, Hotel oder Dienstleister wäre, würde ich schleunigst mein Profil in Ordnung bringen und mit allen wichtigen Daten versorgen. Wenn ich Marke wäre, würde ich mich mithilfe von Graph Search auf die Suche nach Key-Influencern machen, die es zu umwerben gilt. Außerdem findet man tolle Testimonials zu den eigenen Produkten.“

arbeitet seit 20 Jahren als Berater, Autor und Journalist im Onlinemarketing. Er wohnt mit seiner Familie in Hamburg.

Alle Links: www.ix.de/ix1309090 (hb)