Es begab sich aber ...

Was tun, wenn die Lieblingsfernsehserie plötzlich eingestellt wird? Wenn der Titelheld eines Todes stirbt, den er nicht verdient? Wie die Zeit bis zum Erscheinen des nächsten Bands des Lieblingsromans überbrücken? In all diesen Fällen heißt das Zauberwort „Fanfiction“.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Diane Sieger

Ob Lieblingsfernsehserie oder Kultroman - wer sich nicht damit begnügen will oder kann, auf die nächste Fortsetzung zu warten, greift selbst in das Geschehen ein. Geschichten, die Fans rund um einen bestehenden Plot verfassen, laufen unter dem Oberbegriff Fanfiction. Darunter fallen veränderte Abläufe oder zusätzliche Kapitel zu Fernsehserien, Filmen oder Büchern ebenso wie neue Handlungsstränge von Computerspielen.

Bei Wikipedia finden sich etliche Fakten zur Geschichte und Entwicklung dieser Gattung inklusive einer umfangreichen Liste von Akronymen und Ausdrücken. Wer sich eingehender mit Fangeschichten auseinander setzen möchte, ist gut beraten, diese Liste zumindest kurz zu überfliegen. Viele Geschichten werden durch Abkürzungen im Untertitel genauer bezeichnet, und bei der enormen Anzahl im Web verfügbarer Stories ist es sinnvoll, schon auf den ersten Blick beurteilen zu können, ob man Geschichten aus einem alternativen Universum (AU) oder über den Tod eines Hauptcharakters (death) überhaupt lesen möchte. Eine noch umfassendere Aufzählung gebräuchlicher Akronyme und Fachbegriffe enthält das Fanfiction Glossary.

In einer der umfangreichsten Fanfiction-Datenbanken schließlich findet der interessierte Leser alles, was sein Herz begehrt. Allerdings fällt es angesichts so vieler verlinkter Geschichten schwer, den Überblick zu behalten. Die Kategorien Anime, Books, Cartoons, Comics, Games, Movies und TV-Shows umfassen unzählige Einträge. Dabei fällt schon allein die Entscheidung zwischen „Herr der Ringe“ und „Herr der Fliegen“ schwer. Hat man das schließlich geschafft, darf man sich noch mal zwischen über 400 beziehungsweise knapp 40 000 gelisteten Einträgen entscheiden. Trotz eines Rating-Systems, das die Auswahl ein wenig erleichtern sollte, ist es so gut wie unmöglich, sich einen Überblick über die Qualität der Geschichten zu verschaffen. Zumal man Bewertungen anderer Leser häufig erst findet, wenn man sich durch die entsprechende Kategorie bis zum Autor durchgeklickt hat. Schade eigentlich, denn beim ersten Browsen bekommt man schon den Eindruck, dass hier eine große Anzahl der im Web befindlichen Stories gelistet wird. Aber zumindest für den Herrn der Ringe schafft die Tolkien Loving Comunity Abhilfe. Die Macher sind darauf bedacht, eine gewisse Qualität zu gewährleisten, was sich in der Übersichtlichkeit widerspiegelt.

Die ersten Fanfiction-Geschichten, die es zu einem breiten Publikum brachten, waren die rund um Star Trek, die in den späten 60er-, frühen 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts in Fanzines erschienen. Auch heute noch übt die Science-Fiction-Serie eine starke Anziehungskraft auf Fanfiction-Autoren aus, sodass sich im Web unzählige Stories über Kirk, Spock und Co. finden lassen. Viele gute Geschichten zu Raumschiff Enterprise, Voyager und mehr bietet TrekNation. Die Erzählungen sind übersichtlich präsentiert, und zu jedem Plot gibt es eine Art Filmposter mit Titel. Außerdem sind Altersbeschränkungen leicht erkennbar angegeben, und die Leser können zu jeder Geschichte eine Bewertung abgeben. Dieses Rating erleichtert es, sich für eine Geschichte zu entscheiden. Kein Rating bietet leider trekfanfiction.net. Dort gibt es zwar ebenfalls viele Geschichten zu allen Star-Trek-Serien, jedoch sind einige schlecht formatiert, sodass es wenig Spaß macht, sie zu lesen. Eine Leserbewertung mit dem Kriterium „Format“ könnte sich hier als hilfreich erweisen.

Homosexuelle erotische Fanfiction wird im Allgemeinen als Slash bezeichnet, und gerade Star Trek scheint viele Schreiber zu Slash-Geschichten zu animieren. Ein Beispiel hierfür sind die mehrfach mit Awards ausgezeichneten TOS Twin, die auf ihrer Homepage auch zu anderen Star-Trek-Slash-Autoren verlinken. Die Seite ist nicht wirklich hübsch anzusehen, bietet aber ein Tor zu einigen recht guten Geschichten.

Netter präsentiert sich da der Deutsche Fanfiction Index. Hier gibt es zwar noch nicht viel zu lesen, aber die Seite bietet Potenzial. Die meisten Geschichten listet der DFFI übrigens rund um die Erlebnisse des Zauberschülers Harry Potter, der unter den Fanfic-Autoren so beliebt ist, dass es sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag dafür gibt. Dort findet sich auch der Link zu einem kreativ und übersichtlich gestalteten Portal, in dem es sich um die Helden aus Hogwarts dreht. Wer auf der Suche nach guten Geschichten ist, wird hier garantiert fündig. Egal, ob es sich um Romane oder Shortstories handeln oder ob eine bestimmte Figur Protagonist sein soll, hier ist für jeden etwas dabei. Das Fictionalley-Team ist darum bemüht, die Seite aktuell zu halten und nur Geschichten zu publizieren, die in sich stimmig sind und in den Details den Originalgeschichten entsprechen. Von daher kann man dort im Gegensatz zu vielen anderen Websites mit einem hohen Niveau der Erzählungen und einer geringen Fehlerquote beim Anklicken der gewünschten Seiten rechnen.

Wem das Ganze auf Englisch wenig zusagt, kann sich beim Übersetzungsprojekt Harry Potter auf Deutsch umschauen. Dort übersetzen Zauberschüler-Fans frisch erschienene Harry-Potter-Bände ins Deutsche und stellen zahlreiche Fanfiction-Geschichten auf Deutsch zur Verfügung. Und wem die normalen Potter-Stories nicht düster genug sind, wer Gewalt und Sex vermisst, sollte schnellstens zur Restricted Section übergehen. Dort gibt es die geistigen Ergüsse von Potter-Fans, die es nicht auf jugendfreie Webseiten geschafft haben. Ob zärtliche Romanzen zwischen Harry und Draco, zarte Anbandlungen des Geschwisterpärchens Ron und Ginny Weasley, aufregende Dreiecksgeschichten unter Hogwarts-Schülern und -lehrern, hier kann jeder Volljährige auf seine Kosten kommen. Harry-Potter-Fanfiction gibt es aber nicht nur zum Lesen: es bietet sich außerdem ein Harry-Podcast an.

All jene, deren Herz weniger für aktuelle Literatur als für nostalgische Fernsehserien schlägt, sind bei den Two Chickies bestens aufgehoben. Dort gibt es eine Auswahl an Fanfiction zu Serien der 70er- und 80er-Jahre. Von Bonanza über die Waltons bis zu Miami Vice und McGyver - hier schlägt das Herz des Nostalgikers höher. Wer dagegen von Disney-Filmen und -Büchern nicht genug bekommen kann, sollte unbedingt bei Christine Morgan vorbeisurfen. Sie verfasst dort neue Kapitel zu „König der Löwen“, „Die Schöne und das Biest“ und „Scooby Doo“. Nette Szenen, zum Teil mit Tiefgang.

Sollte jemand beim Schmökern Lust bekommen haben, selbst eine Story zu schreiben, empfiehlt es sich, zunächst den Artikel „Virtuelle Serien - oder das Glück ein Fan zu sein“ von Steffi Raatz zu lesen. Hier lernt man, wie aus einer vagen Idee eine fertige Geschichte wird, und erhält Tipps, wie man sie erfolgreich an den Mann bringt. Allerdings weist diese Site auch darauf hin, dass Autoren von Fanfiction niemals Geld mit ihren Werken verdienen werden, da die Rechte für die Figuren bei anderen liegen. Doch das hindert zum Glück die meisten nicht daran, ihre schönen, traurigen, spannenden oder erotischen Geschichten einer breiten Öffentlichkeit im Web zur Verfügung zu stellen. (ka)