Glacéhandschuhe abgelegt

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Von
  • André von Raison

Schon seit einem halben Jahr beschäftigt sich der Ältestenrat des Bundestags mit der Frage, wie die Zukunft der rund 5000 Rechner in der Bundestagsverwaltung aussehen wird. Zur Diskussion stehen Windows XP oder eine Open-Source-Lösung.

Derzeit laufen die Rechner weit gehend mit Windows NT 4, dessen Lebensdauer im Laufe des nächsten Jahres zu Ende geht, zumindest was die Unterstützung durch Microsoft betrifft. Bemühungen, den Bundestag zum Umdenken zu bewegen, existieren schon länger. Beispielsweise forderten die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bereits Anfang Februar: ‘Open Source sollte überall in der Verwaltung eingesetzt werden, wo damit Kosten gespart werden können.’

Mit dieser Formulierung haben die Politiker den wunden Punkt einer solchen Diskussion offen gelegt: Wie weit reicht das ‘T’ bei den TCO-Berechnungen? Lizenzkosten sind dabei zwar ein Faktor, spielen bei den Gesamtkosten aber eine untergeordnete Rolle.

Stärker schlagen Schulungskosten für die Mitarbeiter, die an den Systemen arbeiten, oder Folgekosten aufgrund erforderlicher oder erzwungener Updates und damit oft verbundener Systemaufrüstungen zu Buche. Faktisch nicht erfassbar sind Kosten, die in weiterer Zukunft entstehen können, wenn in proprietären Formaten gespeicherte Dokumente mit erheblichem Aufwand in eine lesbare Form konvertiert werden müssen.

Neben den rein monetären Aspekten stellt sich aber auch die Frage, ob Microsoft angesichts der in Sachen Monopolvorwürfen wohl kurz bevorstehenden Einigung mit dem amerikanischen Justizministerium wieder härtere Töne im Umgang mit ihren Kunden anschlagen wird. Bisher war es schon ein probates Mittel, die Anwender allein durch nicht abwärtskompatible Dateiformate mehr oder weniger sanft zum Kauf eines Updates zu bewegen.

Um unkalkulierbaren Folgekosten ein für alle Mal aus dem Wege zu gehen, wäre ein klarer Schnitt nach dem Motto ‘lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende’ eine denkbare Option. Doch da könnte die Abgeordneten schnell die Angst vor der eigenen Courage einholen. Denn sie sind sich der symbolischen Bedeutung einer eventuellen Entscheidung pro Linux durchaus bewusst.

Da wundert es nicht, dass Microsoft dem lästigen freien Betriebssystem die prestigeträchtige Installation nicht ohne weiteres überlässt. So meldet die Financial Times Deutschland am 12. Oktober, dass Microsoft eine für ihre guten Kontakte zu Regierungskreisen bekannte PR-Agentur mit einem Millionen-Etat für die ‘strategische Lobbyarbeit in Berlin’ gewonnen hat. Auch die Abgeordneten selbst bekamen vom deutschen Microsoft-Chef die Empfehlung, sie sollten ‘nicht in wirtschaftliche Angelegenheiten eingreifen’.

Hier sollte der mündige Bürger von seinen Möglichkeiten der Einflussnahme Gebrauch machen und seinem zuständigen Bundestagsabgeordneten sagen respektive schreiben, wie er dazu steht. Angesichts der im nächsten Jahr anstehenden Bundestagswahlen könnten die Ohren offener sein als üblich. (avr)