Gratwanderung

Ob Unternehmen ihren Mitarbeitern privates Surfen im Web und Verschicken von Mails gestatten oder nicht-dienstliche Anwendungen völlig verbieten - in beiden Fällen lauern juristische Fallstricke.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Joerg Heidrich
Inhaltsverzeichnis

Eigentlich hatte sich die Rezeptionistin einer internationalen Anwaltskanzlei gar nichts Böses gedacht, als sie den gerade von ihrer Tante erhaltenen Kettenbrief an ihre Kolleginnen und ein paar Freunde außerhalb der Kanzlei weiterleitete. Zwar hatte sie vor einiger Zeit mal ein internes Memo gelesen, nachdem private E-Mails nicht versandt werden sollten. Darin sah sie jedoch kein bindendes Verbot - schließlich hatte sie nicht den Betriebsablauf gestört oder gar Viren verbreitet. Jedenfalls hätte sie nie mit der fristlosen Kündigung gerechnet, die ihr die Kanzleioberen am nächsten Tag präsentierten. Diese sahen nämlich in der Weiterleitung der Mail eine potenzielle Bedrohung für den lebenswichtigen Datenbestand der Kanzlei und damit das Vertrauensverhältnis zu ihrer Angestellten erheblich gestört.

Das Beispiel zeigt die große Unsicherheit, die sowohl auf Seiten der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber bei der Nutzung des Internets in Betrieben herrscht. Eine aktuelle Studie der Jobsuchmaschine monster.de zeigt, dass rund 43 % der befragten Arbeitnehmer täglich private E-Mails versenden, immerhin 22 % tun dies mehrmals in der Woche. Gleiches gilt für die Nutzung des Web. Nur wenige Arbeitnehmer, die während der Fußballweltmeisterschaft die Ergebnisticker abgefragt oder digitale Moorhühner heruntergeladen haben, dürften dies aus beruflicher Notwendigkeit getan haben. Und die Zugriffszahlen vieler Erotikseiten weisen ihre Spitzenwerte eher während der üblichen Arbeitszeiten als in den geruhsamen Feierabendstunden auf.

Für Unternehmen ist das Dilemma nur schwer zu lösen: Auf der einen Seite wünscht sich jeder Arbeitgeber einen gut informierten, die Möglichkeiten des Internets für seine Aufgaben nutzenden Angestellten. Auf der anderen Seite belasten die durch Traffic und Arbeitsausfall verursachten Kosten die schmalen Budgets, und jede privat erhaltene E-Mail oder angesurfte unsichere Internetseite bringt die EDV-Infrastruktur des Unternehmens in Gefahr.

Darüber hinaus bestehen im Rahmen der Nutzung elektronischer Datendienste in Büros eine ganze Reihe von rechtlichen Problemen. Deren Nutzung und Überwachung befindet sich in einem Spannungsfeld zwischen dem grundgesetzlich garantierten Schutz des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers, das ebenso am Arbeitsplatz gilt, und der Verpflichtung des Arbeitenden, seine Aufgaben ordnungsgemäß und vertrauensvoll im Interesse seines Arbeitgebers zu erfüllen - wofür auch eine gewisse Kontrolle durch diesen erforderlich sein kann.

Hinsichtlich der rein geschäftlichen Nutzung von E-Mail und Web wiegt das Interesse des Unternehmens an der Aufrechterhaltung der betrieblichen Organisation und der geschäftlichen Kontakte schwerer als das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen. Daraus ergibt sich, dass eine Protokollierung der abgerufenen beruflichen Inhalte und Mails jederzeit zulässig ist. Das eigentliche Problem entsteht jedoch dadurch, dass häufig private Inhalte oder Mails über denselben Zugang empfangen werden. Dass der Arbeitgeber bei der Überprüfung der privaten Korrespondenz den Rahmen des Erlaubten verlässt, liegt auf der Hand, da hier ein schutzwürdiges Interesse des Unternehmens fehlt. Sofern sich also private und geschäftliche Nutzung der Dienste vermischen, ist eine Überwachung des Arbeitnehmers weitgehend ausgeschlossen.

Grundsätzlich hat ein Arbeitnehmer keinen Anspruch auf eine private Nutzung beruflicher Kommunikationseinrichtungen. Eine nur scheinbar einfache Lösung des beschriebenen Problems liegt im generellen Verbot der privaten Nutzung des Internets am Arbeitsplatz. In diesem Fall bestimmt sich die Frage, inwieweit der Arbeitgeber von den Verbindungs- und Inhaltsdaten Kenntnis nehmen darf, nach den allgemeinen Regeln des Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), das ebenfalls die beschriebene Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Interesse des Unternehmens vorsieht.

Ergebnis dieser Abwägung ist allerdings, dass auch bei einem Verbot privater Nutzung nur die äußeren Verbindungsdaten wie Zeit, IP- oder E-Mail-Adressen und allenfalls Mail-Header zur Kenntnis genommen werden dürfen. Denn auch wenn man davon ausgehen kann, dass nur dienstliche Inhalte abgerufen oder in Mails versendet werden, stellt die ohne Zustimmung des Betroffenen vorgenommene Überwachung des Datenverkehrs, ähnlich wie das unangekündigte Mithören eines dienstlichen Telefonats, einen durch nichts zu rechtfertigenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar. Allenfalls in Ausnahmefällen wie dem Verdacht auf eine Straftat überwiegt hier das Interesse des Arbeitgebers.

Letztlich ist damit ein generelles Verbot der Nutzung elektronischer Datendienste rechtlich kaum oder nur unter ganz erheblichem, kaum zu leistenden Aufwand zu kontrollieren. Zudem dürfte es vielfach zu einer erheblichen Verunsicherung der Mitarbeiter führen und den produktiven Umgang mit dem für viele immer noch neuen Medium stark beeinträchtigen. Schließlich ist für etliche Berufe die uneingeschränkte Nutzung des Internets eine wichtige Voraussetzung, sodass eine scharfe Abgrenzung hier ohnehin kaum möglich ist.

Doch auch die Erlaubnis zur privaten Nutzung des Internets unter bestimmten Voraussetzungen und in Grenzen - etwa im Rahmen von Arbeitspausen - ist rechtlich problematisch. Soweit der Arbeitgeber diese private Nutzung nämlich gestattet, bietet er Telekommunikationsdienste im Sinne des § 3 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) an. In diesem Fall erbringt er ein ‘auf Dauer angelegtes Angebot von Telekommunikation einschließlich des Angebots von Übertragungswegen für Dritte’ seinen Arbeitnehmern.

Damit gelten aber in diesem Fall für einen Arbeitnehmer die gleichen Regeln hinsichtlich des Datenschutzes wie für jeden Kunden eines Telefon- oder Internetunternehmens. Insbesondere gilt das strenge Fernmeldegeheimnis des § 85 TKG für sämtliche Nutzerdaten, da dienstliche und private Nutzung aus technischen Gründen kaum unterschiedlich behandelt werden können. Daraus folgt, dass der Arbeitgeber grundsätzlich überhaupt keine E-Mails lesen und Verbindungsdaten speichern darf. In der Praxis resultieren aus diesen starken Einschränkungen erhebliche Probleme: So ist es beispielsweise für die Systemadministratoren erforderlich, Internetverbindungen oder Mail-Verbindungen zu protokollieren, was aber faktisch gesetzlich nur in sehr engem Rahmen und anonymisiert möglich ist. Auch das Lesen fremder Mails im Notfall, etwa bei einer Erkrankung des Mitarbeiters, wäre ohne vorherige Zustimmung des Betroffenen unzulässig.

Eine Lösung für dieses Dilemma liegt in der Festlegung eindeutiger Regelungen für die Internetnutzung im Unternehmen. Dabei muss vor allem geklärt werden, ob die private Nutzung von Web und E-Mail generell zulässig ist und wenn ja, in welchem Rahmen. Hier bietet sich das Abschließen einer Betriebsvereinbarung oder Internetrichtlinie an, in deren Gestaltung der Betriebsrat - soweit vorhanden - einzubeziehen ist. Eine solche Vereinbarung regelt aber nur die Rahmendaten für eine betriebliche Nutzung des Internets, etwa den Umfang, in dem eine private Nutzung zulässig ist (Beispielformulierung: ‘Soweit der Dienstbetrieb nicht gestört wird, dürfen Internet und E-Mail in geringem Umfang auch privat genutzt werden’).

Daneben ist ebenfalls das datenschutzrechtliche Problem des Zugriffs auf personenbezogene Daten des Arbeitnehmers, beispielsweise auf E-Mail zu lösen. Das kann und sollte durch individuelle Bestätigungen geschehen, in denen sich der Beschäftigte damit einverstanden erklärt, dass die ihm zugestandene private Nutzung elektronischer Datendienste wie die dienstliche zu behandeln ist. Dort sollte genau festgelegt werden, unter welchen Umständen zum Beispiel die persönliche Mailbox durch Dritte abgefragt werden kann oder welche Nutzungsdaten zu welchem Zweck protokolliert werden. Die Einwilligung des Arbeitnehmers zu derartigen betriebsbedingten Kontrollmaßnahmen kann das Unternehmen sinnvollerweise bereits im Arbeitsvertrag einholen. Verweigert der zukünftige Mitarbeiter seine Zustimmung, so bleibt nur ein striktes Verbot der Privatnutzung.

Im Fall der oben erwähnten Rezeptionistin, über den das Hessische Landesarbeitsgericht Ende 2001 zu entscheiden hatte, gab es derartige bindende Vereinbarungen nicht. Ein einfaches Memo reicht nach Ansicht der Richter hierfür bei weitem nicht aus. Damit war die ausgesprochene Kündigung wirkungslos, da in dem Verhalten der Angestellten keine schwerwiegende Pflichtverletzung, sondern allenfalls ein Grund für eine arbeitsrechtliche Abmahnung zu sehen ist, die jedoch nicht erfolgte. Das Ansehen pornografischer Websites im Büro kann hingegen grundsätzlich zu einer fristlosen Kündigung führen.

Ob eine private Nutzung des Internets in Betrieben erlaubt wird oder nicht - aus rechtlicher Perspektive sollte die Nutzung elektronischer Kommunikation im Büro in jedem Fall eindeutig geregelt werden, um juristischen Fallstricken zu entgehen und für alle Beteiligten klare Verhältnisse zu schaffen. Dabei empfiehlt sich, mit dem Abschluss einer Betriebsvereinbarung zugleich individuelle Vereinbarungen mit den Beschäftigten dahingehend zu schließen, welche Daten wie genutzt werden dürfen.

Joerg Heidrich
ist Justiziar des Heise Zeitschriften Verlages und Rechtsanwalt in Hannover.

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(ur)