Guter Radschlag

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Henning Behme

Grund zum Jubeln findet sich immer. Im Spätsommer 2006 jährte sich die „Geburt“ des PCs zum 25. Mal, jetzt im Spätherbst/Winter könnte man versucht sein, gleich zweierlei zu feiern: das Ende des Browserkriegs 1996 (siehe dazu Seite 165 der Printausgabe) und die Vorstellung des ersten Entwurfs von XML auf einer SGML-Konferenz im Dezember desselben Jahres.

Zwar hat sich die Metasprache XML in vielen Bereichen durchgesetzt, aber vielleicht gerade im WWW nicht genug. Immer noch erzeugen Webautoren weltweit jenen HTML genannten Mischmasch aus Tags und Text, der seit der Freigabe von XHTML durch das World Wide Web Consortium im Jahre 2000 veraltet sein sollte. Um es mit den Worten von Tim Berners-Lee zu sagen: „Der Versuch, die Welt zum Umstieg auf XML zu bewegen, inklusive Anführungszeichen um Attributwerte, Schrägstrichen in leeren Elementen und Namensräumen - alles zur selben Zeit -, hat nicht funktioniert.“ 1 Deshalb hält er es für erforderlich, HTML inkrementell weiterzuentwickeln.

Dazu soll es eine neue Arbeitsgruppe im Konsortium geben, die (X)HTML erweitert. Außerdem wird eine weitere Gruppe sich um das künftige Schicksal von XHTML 2 kümmern, das momentan als achter Entwurf vorliegt - weit entfernt von der Verabschiedung. Beide Gruppen sollen ihre Arbeit völlig unabhängig voneinander erledigen. Nicht zuletzt soll eine dritte Arbeitsgruppe sich um Formulare kümmern - irgendwo zwischen den aus HTML bekannten und den XML-bezogenen XForms.

Dass der HTML-Erfinder und W3C-Chef den Blog-Text, aus dem obiges Zitat stammt, „Reinventing HTML“ genannt hat, könnte man als Sarkasmus verstehen, denn warum sollte man das Rad (Pardon: HTML) noch einmal erfinden - beziehungsweise mindestens einen Schritt zurück ins vorige Jahrhundert erwägen? Gründe dafür gibt es allerdings eine ganze Reihe.

Abgesehen davon, dass die Autoren von Millionen real existierenden Vor-XHTML-Webseiten sie trotz des schönen, guten, wahren Standards XHTML nicht aktualisieren wollen, haben in den vergangenen Jahren Weiterentwicklungen stattgefunden, die am Konsortium vorbei HTML längst verändert haben. Ajax beziehungsweise darin das ursprünglich von Microsoft stammende XMLHttpRequest-Objekt hat erst in diesem Jahr dazu geführt, dass ein entsprechender Entwurf im W3C vorliegt. Und die Tätigkeit der Arbeitsgruppe Web Hypertext Application Technology (WHATWG), in der die „kleineren“ Browserhersteller mitarbeiten, findet ebenfalls allmählich ihren Widerhall: Genannt sei hier nur XBL, die XML Binding Language, in der Version 2.

Das Web des Jahres 1996 hätte nach dem Browserkrieg noch lange weiterexistieren können, wäre da nicht jenes XML aufgetaucht und hätte alles verkompliziert. Der jetzige Entschluss, HTML weiterzuentwickeln, korrigiert im Grunde nur das Versäumnis der letzten fünf bis zehn Jahre, genau das zu tun.


1
dig.csail.mit.edu/breadcrumbs/node/166