IPv6 statt Y2K

Die Einführung von IPv6 sollte man ebenso systematisch angehen wie weiland die Lösung des Jahr-2000-Problems.

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Von
  • Jürgen Seeger

Sagt Ihnen das Kürzel Y2K noch etwas? Es steht für „Year 2 Kilo“, also das Jahr 2000. Der Y2K-Bug bezeichnete die mit diesem Datum erwarteten Computerprobleme; Stichwort: zweistellige Darstellung der Jahreszahl in Datumsformaten.

Wie so oft kam alles nicht so schlimm wie prophezeit. Sicherlich gab es auch im Zusammenhang mit dem Jahr-2000-Problem viel Panikmache und einen sich selbst nährenden Medien-Hype. Wichtiger aber: Es wurden Milliarden investiert, um die IT-Systeme Jahr-2000-fähig zu machen. Am Silvesterabend 1999 konnten so gut wie alle Computer mit vierstelligen Jahreszahlen umgehen.

Möglich war dies durch ein Problembewusstsein, das weit über die engere IT-Szene hinausging. Die Lösung des Jahr-2000-Problems wurde in den Firmen zur Chefsache, es gab Y2K-ready-Siegel und Garantieerklärungen. Vor allem: Nahezu jedes Stück Hard- und Software wurde untersucht.

Aufmerksamkeitspsychologisch hatten die Jahr-2000-Mahner leichtes Spiel – ein festes Datum bietet handfeste Vorteile. (Das wussten sogar die meisten Weltuntergangspropheten; und an das 2012er-Weltende glauben nur wenige, weil der 21.12. so schlecht zu merken ist. Aber das nur am Rande.)

Womit der Bogen zu IPv6 geschlagen wäre, das genau diesen Stichtags-Vorteil nicht hat. IPv4-Adressen versiegen nicht urplötzlich. Zwar vergab die IANA die letzten IPv4-Adressblöcke bereits im Februar dieses Jahres, aber die nationalen Organisationen haben noch freie Adressen. Außerdem gibt es Network Adress Translation als Work-around, und überhaupt: Das Internet läuft doch weiter, oder?

Wer trotzdem anfängt, IPv6 parallel in Betrieb zu nehmen, stößt auf eine Vielzahl kleiner Schwierigkeiten. (Es geht derzeit nicht um die Ablösung von IPv4, sondern um den sogenannten Dual-Stack-Betrieb.) Im Prinzip funktioniert es meistens, aber in einem Fall kann das Netzwerk-Monitoring nicht mit dem neuen Protokoll umgehen, in einem anderen soll ein IPv6-Upgrade Tausende kosten, in wieder einem anderen kümmert sich die Firewall nur um IPv4. Gerade die zutage tretenden Sicherheitsprobleme haben oft damit zu tun, dass das Protokoll zu lange in der Schublade lag und das Design die heutige Situation gar nicht berücksichtigen konnte.

Im Detail war das alles auf dem 3. IPv6-Kongress zu hören (siehe Seite 28 in iX 6/2011). Leider vermittelte diese Veranstaltung nicht den Eindruck, dass in Sachen IPv6-Fähigkeit von Hard- und Software alles in trockenen Tüchern ist. Beunruhigend, denn die Umstellung auf das neue Protokoll ist keine Frage des Ob mehr, sondern des Wann. Und des Wie. Man ist gut beraten, die IPv6-Einführung genauso systematisch anzugehen wie weiland das Y2K-Problem: seine IT-Landschaft lückenlos auf IPv6-Fähigkeit testen und diese bei Investitionen für obligatorisch erklären.

Eine gute Gelegenheit für einen ersten Test ist der World IPv6 Day (www.worldipv6day.org, siehe auch iX-Link). Für den 8. Juni hat die Internet Society (ISOC) dazu aufgerufen, für 24 Stunden den Dual-Stack-Betrieb einzuschalten. Knapp 200 Sites von AT&T über Facebook und Google bis Yahoo haben die Teilnahme bereits zugesagt, in Deutschland unter anderem Host Europe und T-Online. Je mehr Website-Betreiber und Provider teilnehmen, desto mehr Erfahrungen lassen sich sammeln.

heise online macht übrigens nicht mit. Heises IPv6 Day fand bereits am 16. September 2010 statt, die Site läuft seit dem 29. 9. 2010 im Dual-Stack-Betrieb.

PS: Wenn Sie vorab einschätzen wollen, wie Ihr Rechner mit IPv6 zurechtkommt, einfach http://test-ipv6.com/ aufrufen.

Alle Links: www.ix.de/ix1106003 (js)