Kanonisch

Ob es sich um den aktuellen Nobelpreisträger oder eine Übersicht zur Gruppe 47 handelt: Das Web bietet Literaturgeschichtssuchenden mehr, als sie erhofft haben mögen - und natürlich weniger, als sein könnte.

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Von
  • Henning Behme
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Schüler, Lehrer, Poeten und Wissenschaftlerinnen, die sich mit Belletristik beschäftigen und immer wieder gugeln, um nach neuen Erkenntnissen zu forschen, laufen entweder bei den üblichen Verdächtigen Google und Yahoo auf - oder aber bei Wikipedia, um sich von dort weiterzuhangeln. Leider schlägt ein Klick des Öfteren fehl, weil auf den Seiten von Google beziehungsweise Yahoo Bedeutungsloses neben Veraltetem stehen kann und auf denen von Wikipedia gehäuft Links erscheinen, die erst noch zu erzeugen/bearbeiten sind (auf der Seite zum Roman beispielsweise Entwicklungsroman, psychologischer und utopischer Roman). Bei DMOZ, dem Open Directory sieht es ähnlich mager aus: Die Genres-Seite enthält lediglich die Rubriken Dramatik, Fantastik und Krimi. Es gibt leider keine allgemeine Übersichtsseite in Richtung Literaturgeschichte, dafür aber verstreut fast alles, was der Lesehunger begehrt.

Websites, die sich Teilaspekten der Literaturgeschichte widmen, sind weltweit vorhanden (vor allem, wenn man außer Deutsch und Englisch weitere Sprachen wie Französisch oder Spanisch zu lesen in der Lage ist. Zu Krimis und Science-Fiction waren an dieser Stelle schon Fundstellen zu lesen, weswegen beide Genres hier fehlen. Diesmal ist nur das Wahre, Schöne, Gute dran.

Wer sich fürs 20. Jahrhundert interessiert und noch nicht beim lebendigen virtuellen Museum online gelandet ist, sollte das unbedingt nachholen. In 2D/3D ist es jedes Jahr als Chronik zu haben, und es existieren etwas über 800 Biographien, darunter eine Reihe von Autoren: von Wolfgang Koeppen und Sarah Kirsch bis Heinrich Böll und Wolfdietrich Schnurre - Ausländer und die ganz jungen fehlen allerdings. Bei AEIOU, dem annotierbaren elektronischen interaktiven oesterreichischen Universal-Informationssystem, handelt es sich um eine Art österreichisches Pendant zu Lemo. Es ist ähnlich breit angelegt und erlaubt ebenfalls die Suche nach Autoren, in diesem Fall solche wie Elias und Veza Canetti oder Elfriede Jelinek. Die Verlinkung zwischen Autoren könnte allerdings teilweise erheblich besser sein.

Dezidierte Autorensammlungen gibt es in unterschiedlicher Ausprägung. An der FU Berlin haben Wissenschaftler Verweise zu 5555 Autoren versammelt - entweder als einfache oder als kommentierte Linkliste. Ähnliches bietet die Universität Bielefeld. Circa 80 ausgewählten deutschsprachigen Autoren hat das Goethe-Institut Hong Kong recht ausführliche Seiten inklusive Links gewidmet. Ebenfalls ausführlich: Willi Vockes Sammlung, die zu etwa 100 - ebenfalls deutschsprachigen - Autoren Lebens- und Werkdaten enthält. Herbert Hubers circa 60 Autorenseiten drehen sich um so unterschiedliche wie Robert Sheckley (SF) und Adalbert Stifter, eine Systematik sollte man da nicht suchen.

Der in Italien ansässige Helmut Schulze hat zu über 1600 Autoren aus aller Welt Basisdaten zusammengetragen, vor allem kann man bei ihm nachlesen respektive durchklicken, welche Texte online verfügbar sind. Und der Verfasser dieses Beitrags unterhält eine eigene Autorensammlung mit Lebensdaten und Werken, die derzeit etwa 1300 zum Teil verlinkte Autor(inn)en umfasst, außerdem Preise, Linklisten und Jubiläen als Übersichten.

Zwischen all den Buchgeschäfts-URLs, die Google bei Literatursuchen zusätzlich zu den Sponsored Links immer wieder produziert (was nicht an Google, sondern an den vielen Verweisen zu Buchhandlungen liegt) finden sich vereinzelt richtig informative. An den Anfang sei hier die koreanische Kyung Sung Universität gestellt, deren Seminar für deutsche Landeskunde eine Übersicht über die literarischen Epochen mit Hinweisen zum Projekt Gutenberg zusammengestellt hat. Sie basiert auf den früher bei snafu.de beheimateten und mittlerweile wieder verfügbaren Seiten von Marc Altmann. Obwohl die Koreaner sich bei ihm ausdrücklich bedanken.

An der Universität Erlangen gibt es die Linkliste zu Epochen. Wolfgang Pohls zwei Projekte - Deutsche Literaturgeschichte und Studio für alte Literatur - bieten neben Kurzeinführungen in die unterschiedlichen Epochen ein paar Details zu den dazugehörigen Autoren. Und in seinem Studio für alte Literatur hat er eine umfassende Linkliste zu Aspekten von Mittelalter et cetera zusammengestellt, wobei er selbst einiges an Autorenseiten erstellt hat - von Hildegard von Bingen bis Christoph Martin Wieland.

Wenigstens vier der fremdsprachigen literarischen Sites, wie sie sich weltweit naturgemäß finden, seien hier erwähnt. The Victorian Web, ansässig an der Universität Singapur, bietet nicht nur, aber in großem Umfang Informationen zum 19. Jahrhundert in Großbritannien (auf Englisch). Wer etwas zu Charles Dickens oder den Brontës wissen will, ist hier goldrichtig. An der Universität von Nagoya in Japan hat Mitsuharu Matsuoka etwa 150 Links zum Viktorianischen zusammengetragen. Außerdem unterhält er ausgedehnte Linklisten zu britischen und irischen sowie nordamerikanischen Autoren.

Zu Recht mutet El Poder de la Palabra spanisch an. Denn „die Kraft des Wortes“ versammelt gut 1000 Autorenportäts in dieser Sprache - immerhin bis zu Javier Marías. Außer Kurzbiographien enthält die Site kurze Texte sowie Hinweise zu literarischen Preisen, die die Autoren erhalten haben. Wenig überraschend kommt Italia Libri italienisch daher: etwas über 100 Seiten zu italienischen Schriftstellern, von Italo Svevo bis Umberto Eco, aber anscheinend nicht bis zu den jüngeren Autoren. Wer bei den beiden letztgenannten Sites romanisch sprachungewandt ist, kommt naturgemäß nicht allzu weit. (hb)