Kartenspiele

Jahrelang galt Palm als die PDA-Firma: Ihre Organizer waren die ersten in großen Stückzahlen verkauften. Doch dann folgte ein langer Niedergang, den nun ein Smartphone mit neuer Technik beenden soll: der Palm Pre.

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Christian Kirsch
Inhaltsverzeichnis

Alle Versäumnisse der vergangenen Jahre scheint der PDA-Pionier Palm mit einem Schlag wettmachen zu wollen. Sein „Pre“ getauftes Smartphone verabschiedet sich fast komplett vom Konzept der nativen Anwendung: Ihm ist alles Web. Konsequenterweise heißt das Betriebssystem webOS. Wer Software für das Gerät schreibt, baut im Wesentlichen HTML, CSS und JavaScript zu einer Anwendung zusammen [1]. Die allerdings wird auf dem Pre installiert, nicht etwa bei jedem Aufruf auf einem Server gestartet.

Im Unterbau des Pre werkelt Linux, doch davon merkt man nichts. Wer unbedingt auf die Kommandozeile möchte, findet im Web Anleitungen dazu (s. untenstehenden iX-Link). Ungewöhnlicher als das Innere ist jedoch die Oberfläche: Sie stellt die Fenster laufender Anwendungen als „Karten“ dar. Zwischen den Programmen wechselt man durch Anklicken der gewünschten Karte. Hurtiges Schieben der Karte in Richtung oberer Bildschirmrand beendet das Programm.

Auf diese Handgriffe kann man sich schnell einstellen. Weniger leicht fällt das Gewöhnen an die auf verschiedene Teile des Bildschirms verstreute Gestensteuerung. Zum Zoomen einer Webseite tut man einerseits das seit dem ersten iPhone Übliche: zwei Finger über der Seite auseinanderziehen oder mit einem doppelt tippen. Andererseits muss man zum Anzeigen der Kartenansicht von unterhalb der Anzeige nach oben wischen – eigenwillig, aber leidlich konsistent. Außerdem hat Palm die übliche Menüsteuerung innerhalb einer Anwendung weitgehend eingespart, weshalb es für „eine Ebene zurück“ die Geste „unterhalb des Bildschirms von rechts nach links wischen“ gibt.

Wer jedoch genauso auf dem Bildschirm wischt, erzielt je nach Anwendung ein ganz anderes, möglicherweise unerwünschtes Ergebnis. Dort nämlich kann die Geste zum Auswählen von Objekten oder zum Verschieben führen. Es scheint, als wäre Palm beim weitgehenden Verzicht auf herkömmliche Bedienelemente wie Knöpfe und Menüs übers Ziel hinausgeschossen.

Wie es sich gehört für den PDA-Pionier, sind die üblichen Anwendungen „Kontakte“, „Termine“ und „Aufgaben“ vorhanden. Der Taschenrechner ist unterwältigend in seiner Einfachheit: vier Grundrechenarten, das war’s. Bei den Kontakten fehlt die Möglichkeit, Gruppen zu bilden. Das konnte PalmOS schon.

Per UMTS geladen, erinnerte die Website von Spiegel Online an ein Schnittmuster (Abb. 1).

Standard für Smartphones sind ebenfalls ein Browser und ein Mail-Client. Im Browser steckt wie in Apples Safari die freie WebKit-Engine, allerdings eine etwas ältere Version als in Apples iPhone. Das Alter dürfte jedoch nicht als Erklärung für die Leistungsunterschiede zwischen beiden Geräten reichen. Denn im Test lud der Palm Pre rund 1 MByte Webdaten über WLAN im Durchschnitt in 14,4, das iPhone in 8 Sekunden. Per UMTS war der Unterschied noch deutlicher: Das iPhone 3GS brauchte 11,4 Sekunden, der Pre doppelt so lange. Das könnte unter anderem daran liegen, dass das iPhone HSDPA mit dem doppelten Tempo unterstützt wie der Palm Pre.

Im Browser gab es bei Verwendung von UMTS merkwürdige visuelle Artefakte (siehe linke Abbildung). Einstellen lässt sich für ihn kaum etwas: JavaScript, Popups und Cookies kann der Anwender erlauben oder nicht. Eine Verwaltung für Benutzernamen und Passworte bietet der Browser nicht, das Übertragen von Grafiken kann man nicht unterbinden.

Der Mail-Client bindet Konten bei Webdienstleistern sowie Exchange-, IMAP- und POP3-Server an. Am einfachsten gelingt das bei Google und Co: Mailadresse und Passwort eingeben, fertig. Wer seine Post auf einem IMAP-Server verwaltet, muss jedoch ein paar Details für das Einrichten des Kontos kennen: Spricht der Server TLS oder SSL, auf welchem Port lauscht er? Dasselbe gilt für die Parameter des Ausgangsservers. Obwohl diese Informationen korrekt eingetragen sind, kommt es beim Verbindungsaufbau mit dem IMAP- oder SMTP-Server unter Umständen zu schwer zu überwindenden Schwierigkeiten.

Verwendet der Server nämlich ein selbst signiertes oder aus anderen Gründen nicht perfektes SSL-Zertifikat, verweigert der Pre den Verbindungsaufbau mit einem entsprechenden Hinweis. Eine Option, das Zertifikat ein für alle Mal zu akzeptieren, fehlt jedoch. So muss der Anwender den lästigen Weg gehen: Root-Zertifikat vom Server beschaffen und im Anhang einer Mail an ein bereits vom Pre aus nutzbares Konto schicken. Nach dem Herunterladen des Anhangs und Antippen bietet das Handy an, das Zertifikat zu speichern, und fortan darf man IMAP/SSL betreiben. Wer jedoch die Internetverbindung per VPN sichern will, schaut in die Röhre: Einen Client dafür gibt es auf dem Pre nicht, nicht einmal für PPTP.

Für jeden Mail-Account kann man eine eigene Signatur vergeben, was bei vielen anderen Smartphones nicht möglich ist. Mails lassen sich in andere Ordner verschieben, allerdings nur auf demselben IMAP-Server. Eine Beschränkung der angezeigten IMAP-Ordner auf die abonnierten ist nicht möglich, der Pre zeigt stets sämtliche Folder.

Einen Weg zum Einrichten eines Root-Zertifikats gibt es immerhin per Mail. An anderer Stelle bietet Palm diese naheliegende Lösung nicht an – bei der Übernahme von Kontakten und Terminen von einem PC. Gut bedient sind Google- und Exchange-Nutzer, denn sie brauchen bloß ihre Anmeldedaten einzutragen. Schwupps lädt der Pre sämtliche Termine und Adressen herunter. Wer Apples iCal und Adressbuch verwendet, kann seine Daten dort zwar als ics- oder icv-Datei exportieren und diese Dateien auch per Mail verschicken. Nur der Pre versteht solche Anhänge nicht.

Für diese Fälle bietet Palm ein kostenfreies Transferprogramm in Windows- und Mac-Varianten an, das im Test anstandslos alle Daten von einem MacBook Pro zum Handy transferierte. Die Zuordnung von Terminen zu einzelnen Kalendern ging dabei jedoch verloren, obwohl das Smartphone unterschiedliche (Google-)Kalender durchaus kennt. Spaß (zumindest im Test) machte die Konvertierung ganztägiger Ereignisse. Die dauerten auf dem Handy nicht mehr von 0 bis 24 Uhr, sondern begannen um 15:39, mal auch um 15:43. Da hat wohl jemand vergessen, eine Variable zu initialisieren.

Noch kann der Kalender nicht an das Vorbild aus PalmOS-Tagen heranreichen. Es gibt zwar eine Tages-, Wochen- und Monatsansicht, doch für das Weiterblättern ist je nach Situation eine andere Geste nötig: Von Tag zu Tag sowie Woche zu Woche geht’s durch horizontales, zwischen Monaten jedoch navigiert durch vertikales Wischen. Das Antippen eines Termins in der Wochenansicht führt zunächst zum Tagesüberblick, wo man den Eintrag wiederum antippen muss, um ihn zu bearbeiten. Beim Erstellen neuer Termine zeigt sich eine weitere Schwäche des GUI: Der Verzicht auf „Abbrechen“- und „OK“-Knöpfe zwingt den Anwender zum Umweg über das Menü, will er den Vorgang abbrechen. Kontakte lassen sich einer Verabredung nicht zuordnen. Andererseits zeigt der Pre sie jedoch an, wenn man sie etwa in Googles Kalender eingetragen hat.

An anderer Stelle hat Palm mit seinem Neuling der Konkurrenz durchaus etwas voraus. So bietet das Gerät eine „Universelle Suche“, die zwar nicht allumfassend, aber leicht zu bedienen ist. Es reicht, bei geöffnetem Startbildschirm auf der Tastatur den Suchbegriff einzugeben. Während des Tippens zeigt das Gerät die dazu passenden Kontakte und Anwendungen an. Dabei sucht es nicht nur in den Namen, sondern auch in Firmen und im Web – nicht jedoch in den Kontaktnotizen oder Ortsnamen. Auch E-Mails und Termine bezieht der Pre bislang nicht in die Suche ein. Daran könnte sich aber mit der nächsten webOS-Version etwas ändern.

Dasselbe Verfahren wie für die Suche kann man auch zum Anrufen benutzen: Einfach lostippen. Solange es eine Telefonnummer sein könnte, zeigt die Oberfläche die Eingabe einmal in diesem Format mit einem Telefonhörer daneben, einmal als Suchstring samt Lupe an. Tippen auf das jeweilige Symbol löst die gewünschte Aktion aus.

Die fipsige Tastatur verschwindet bei Nichtgebrauch unter dem Display. Ihre Tasten sind nur circa 4 x 4 mm groß. Damit kann man zwar mal eine URL oder eine Mailadresse eintippen, aber eine Nachricht dürfte viel Mühe bereiten. Denn selbst nicht besonders wurstige Finger verdecken ständig, worauf sie drücken sollen. Um den Cursor in einem Textfeld zu positionieren, tippt man nach einem Druck auf die orange Taste an die gewünschte Stelle.

Auf den Startbildschirmen finden sich die mitgelieferten und vom Anwender installierten Anwendungen. Horizontales Schieben mit dem Finger wechselt zwischen den Screens (Abb. 2).

Wer Copy & Paste nutzen will, braucht akrobatische Fähigkeiten: Ein Finger muss die Umschalttaste gedrückt halten, während der andere den Text markiert. Da ein Hilfsmittel wie die Lupe des iPhone fehlt, ist das fummelig und wenig exakt. Für das Kopieren und Einfügen kann man sich entweder des Menüs bedienen oder wieder zwei Finger einsetzen: Einer drückt auf den Gestenbereich, der andere C (Kopieren), X (Ausschneiden) oder V (Einfügen) auf der Tastatur. Bei alldem hat Palm jedoch ärgerlicherweise das Z für „Rückgängig“ vergessen.

Hat der Benutzer die Details der Kopier/Einfüge-Technik oder anderes vergessen, hilft die Onlinehilfe weiter. Den Begriff haben die Entwickler übertrieben wörtlich genommen: Antwort auf Fragen gibt es nur bei einer bestehenden Internetverbindung. Warum können die Texte und sehr hilfreichen Filmchen etwa zur Gestensteuerung nicht dauerhaft auf dem Gerät installiert sein?

Neben GSM/UMTS bietet der Pre WLAN als Zugang fürs Internet an. Tippen auf das Netzsymbol oben rechts öffnet ein Menü zum schnellen Ein- und Ausschalten von Funknetz, Bluetooth und Flugmodus. Wie von anderen Plattformen gewohnt, entscheidet sich das Gerät immer für WLAN, wenn es ein bekanntes Funknetz findet. Das spart Kosten, bietet in der Regel eine höhere Geschwindigkeit als die Mobilfunknetze und ermöglicht im Ausland den Internetzugang ohne hohe Roaming-Gebühren. Bluetooth ist zwar vorhanden, jedoch bislang nur für Audio-Profile nutzbar. Auch da war Palm schon einmal weiter – seinerzeit ließen sich Kontaktdaten und Ähnliches per Bluetooth und Infrarot versenden.

Mehr Infos

iX-Wertung

[+] diverse Server und Dienste für Mail und Kontakte

[+] integriertes Eingangspostfach

[+] vorbildliche Onlinehilfe

[–] kein VPN-Client

[–] beschränkte Bluetooth-Fähigkeiten

[–] PIM-Programme funktionsarm

Anders als früher liefert Palm kein Desktop-Programm für den Datenabgleich mehr. webOS synchronisiert mit Exchange-Servern und den Google-Diensten sowie mit dem hauseigenen „Synergy“. Mit Apple liefert sich der Hersteller seit Wochen einen Zickenkrieg: Mal funktioniert das Synchronisieren zwischen iTunes und dem Pre, dann unterbindet Apple es in der nächsten Version seiner Software wieder.

Palms webOS bringt frischen Wind in die Runde der Smartphones. Entwickler müssen kein völlig neues Framework erlernen, sondern verwenden die Standardtechniken HTML, CSS und JavaScript. Noch allerdings ist das Angebot an daraus gestrickten Anwendungen klein. Die vorinstallierten Programme erledigen das Nötige, erreichen aber bislang nicht das vom alten PalmOS gewohnte Niveau. Gesten scheinen als dominantes Mittel der GUI-Bedienung überstrapaziert. Für den Geschäftseinsatz fehlt unter anderem die VPN-Unterstützung.

[1] Nils Kassube, Alexander Köhn; Mobile Computing I; Der Glücksbringer; Softwareentwicklung für Palms webOS

iX-Link (ck)