Kein Platz für Vagabunden

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Von
  • Achim Born

Am Tag der Arbeit war es vollbracht. Lenovo und IBM gaben den Abschluss der Verkaufsformalitäten bekannt. Für einen Kaufpreis von 1,75 Milliarden Dollar, der sich aus Aktien, Barem und der Übernahme von Bilanzverpflichtungen zusammensetzt, übernimmt der chinesische Konzern die PC-Abteilung von Big Blue. Knapp 25 Jahre nach dem ersten Auftritt folgt der Ausstieg aus dem Geschäft, das IBM einst mit List entfachte und das zum Schluss doch nur noch als Last empfunden wurde.

Als IBM 1981 das erste eigene Produkt für den gerade einmal fünf Jahre alten PC-Markt vorstellte, war die Erleichterung von Apple, Atari, Commodore, Tandy & Co. übergroß. Denn die zum damaligen Zeitpunkt mit Abstand größte, wichtigste und am meisten gefürchtete IT-Firma der Welt hatte in den Augen der Konkurrenz bestenfalls Durchschnittsware erzeugt. Die aus dem Charly-Chaplin-Film entliehene Werbefigur des Little Tramp spiegelte die Seele des IBM-PC vielleicht noch trefflicher wider als vom Marketing ursprünglich geplant. Das Gerät - anspruchslos im Design, schmalbrüstig in der Technik und ausgestattet mit einem einfachen, aber unabhängig von der Hardware erhältlichen PC-DOS-Betriebssystem - wurde erst belächelt, um am Schluss über alle Spötter zu triumphieren.

Bereits ein Jahr später kürte das Wirtschaftsmagazin Fortune das Low-Tech-Gerät zum Produkt des Jahres und zu Beginn des Folgejahres, zierte der PC als „Mann des Jahres“ den Titel des Time Magazines. Innerhalb kürzester Zeit entstand weltweit eine Zulieferindustrie, die im Schatten des kleinen Tramps Geld verdienen wollte. Selbst IBM kaufte bis zu 90 Prozent der Teile bei Zulieferern ein. Kurz: Der „schäbige“ Minimalismus hatte sich gegen die Technikobsession der Konkurrenz durchgesetzt.

IBM hatte den Personal Computer zwar nicht erfunden, ihn aber geschäftsfähig gemacht und damit die Wurzel für die künftige PC-Industrie gelegt. Das geschützte BIOS war dabei das Zepter, mit dem Big Blue den Markt regierte. 1984 war es mit dieser Herrlichkeit jedoch vorbei, da Technikschmieden wie Phoenix, Award Software und Chips & Technologies mit BIOS-Clones der großen IBM das Heft des Handels aus der Hand rissen. Nun war es möglich, bis hinunter auf den letzten Softwarefitzel baugleiche Clone-PCs herzustellen. Urplötzlich war IBM im selbst geschaffenen Markt nur noch Gleicher unter Gleichen und der unaufhaltsame Aufstieg der Kopierer begann.

Versuche, die entfesselten Marktkräfte zu bändigen, waren vergebens. Wiederholte Anläufe im Konsumentenmarkt (unter anderem PC-Junior) entpuppten sich ebenso als Fehlschläge wie die Absicht, mit dem PS/2 - ausgestattet mit dem Betriebssystem OS/2 und eigenen lizenzpflichtigen Techniken wie Microchannel - wieder die Regentschaft zu übernehmen. Der Vagabund widersetzte sich jeglichen Ordnungsbemühen der IBM. Mehr noch: Er richtete sich gegen seinen Erfinder und ebnete den ehemals Beteiligten Firmen Intel und Microsoft den Weg zur Marktdominanz.

IBM musste nach Marktregeln spielen, die sie selbst nicht mehr bestimmte. Die Folgen waren zum Schluss fatal. Obgleich man bereits in Asien fertigen lässt und obgleich man mit über 10 Millionen Auslieferungen weltweit Nummer 3 im Markt ist, häufte das PC-Geschäft Jahr für Jahr Verluste an. Der Finanzbericht an die US-amerikanische Wertpapieraufsichtsbehörde SEC nennt zum Stichtag 30. Juni 2004 einen Fehlbetrag von knapp einer Milliarde Dollar, die in den vergangenen dreieinhalb Jahren aufgelaufen waren.

Eine solche Belastung des Gesamtkonzerns kann selbst eine IBM nicht auf Dauer verkraften, weshalb das Aufgeben nur konsequent ist. Schon 1986 hatte der damalige IBM-Boss John Akers gegenüber Analysten angedeutet, dass IBM diesen Teil der Branche verlassen werde, falls der Markt sich endgültig zu einer preissensitiven Rohstoffindustrie entwickelt. Er entschied sich damals gegen den Ausstieg und wollte mit dem PS/2 die Welt der PCs für Big Blue zurückerobern. Heuer setzt Konzernchef Sam Palmisano neben dem traditionellen Prozessor-, Server- und Großrechner-Geschäft auf die margenträchtigen Segmente Software und Dienstleistungen. Für ein eigenes PC-Geschäft ist da kein Platz mehr. Der Tramp musste sich eine neue Heimstatt suchen. (wm)