Plansprache

Gelegentlich wird Linux als Esperanto unter den Betriebssystemen bezeichnet. Anreiz genug, um einen Blick auf das über hundert Jahre alte Original zu werfen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Matthias Peick

So wie man den Linux-Kernel mit dem Namen Torvalds assoziiert, ist Esperanto untrennbar mit seinem Schöpfer Ludwig L. Zamenhof verbunden. Dem Webleser bietet sich ein kurzer Abriss seines Lebens und des weiteren Werdegangs der Sprache an. Insbesondere Diktaturen scheinen mit der Kunstsprache Probleme zu haben, wenngleich China Esperanto seit dem kalten Krieg bis heute als sprachliches Tor in die westliche Welt benutzt. Mit der Veröffentlichung des Fundamento, der Basis des Esperanto, schuf Zamenhof eine Novität, weil er alle Rechte daran aufgab und damit praktisch die erste freie Lizenz anbot.

Die offizielle Geschichte zu Zamenhof und Esperanto ist weit verbreitet, aber wegen des damaligen Antisemitismus nur begrenzt realitätsnah. Wer es ein bisschen wahrer haben will, kann auch den tieferen Einstieg finden.

Wozu braucht man Esperanto? Benutzt es überhaupt irgend jemand? Es findet sich etwas im privaten Rahmen oder im öffentlichen Leben Passendes. Für ungarische Studenten ist Esperanto schon seit Jahren Wahlpflichtfach, und Chirac hat bekundet, Esperanto in Frankreich zu fördern. Nutzen ist also da, insbesondere zur Verständigung innerhalb der EU. Wie groß derzeit die Kommunikationsprobleme sind - auch mit Englisch als vermeintlicher Lösung - zeigen verschiedene Beispiele. Die Esperanto-Bewegung hat dies schon vor einiger Zeit erkannt und im Prager Manifest Stellung und Ziel der Sprache klar formuliert.

Abgesehen von ihrer Herkunft ist Esperanto eine vollwertige Sprache. Im Gegensatz zu natürlichen Sprachen kennt sie nur sechzehn Grammatikregeln und keinerlei Ausnahmen; dadurch ist sie viel leichter erlernbar - auch im Selbststudium. Die Zuordnung zwischen Buchstaben und Lauten ist beidseitig eindeutig, so dass Rechtschreibung und Aussprache einfach sind. Esperanto benutzt sechs eigene Buchstaben, die leider nicht in Latin-1 kodiert sind. Dadurch haben sich einige Umschreibungen ausgebildet. Mit zunehmender Verbreitung von Latin-3 und UTF-8 im Internet werden aber die originalen Zeichen eingesetzt; dennoch kann bei einigen Seiten die automatische Zeichensatzwahl haken.

Zu den großen Vorteilen zählt das Wortbildungssystem, das wie ein Legobaukasten aus kleinen Teilen Mächtiges formen kann. Tiefer als mit dem Einblick geht es mit dem Schnellkurs, der ein Gefühl für die Sprache vermittelt und die Basis schafft, um Esperanto-Seiten zumindest grob zu verstehen.

Bei Bedarf bietet der umfangreiche deutschsprachige Kurs, sogar persönliche Betreuung; eingefleischte Linux-Benutzer werden sich gerne an die Zeit erinnern, als meist ein erfahrener Benutzer hilfsbereit ihren eigenen Einstieg begleitete. Wer lieber allein lernen will, ist dagegen mit dem Gerda-Kurs besser bedient. Empfehlenswert für Windows-Benutzer ist der Kurso de Esperanto, wo ein komplettes Programm mit MP3-Dateien bereit steht.

Neben den Minimalregeln gilt, sich möglichst wenig missverständlich auszudrücken, was durch den Gebrauch von Esperanto geübt wird. Wer die Feinheiten lieber in Form unverbindlicher Regeln präsentiert haben will, kann das Handbuch zu Esperanto in der Sprache selbst (http://www.bertilow.com/pmeg/index.php) finden. Damit man mit den vielen neuen Wörtern etwas anfangen kann, hilft ein Vortaro, ein Wörterbuch, zum Beispiel ein umfassendes esperanto-deutsches. Wer lieber Listen durchsucht, ist mit Reta Votaro besser bedient. Worte des modernen Internetmenschen findet der Englischsprachige auf der russischen Seite (http://www.esperanto.mv.ru/KompLeks/DEFAULT.htm).

Nach so viel Lernen bietet eLibrejo eine breite Auswahl an Literatur. Das Angebot reicht von der Bibel über Wells Zeitmaschine oder Poirots Aufklärungsarbeit im Orientexpress bis zu Pippi Langstrumpf und dem Zauberer von Oz.

Wer mit echten Büchern weitermachen will, den enttäuscht der herkömmliche Handel. Wörterbücher und Grammatiken sind in guter Qualität erhältlich, Esperanto-Literatur hingegen ist nicht zu bekommen. Deshalb gibt es spezielle Bücherdienste. Alten Linux-Hasen ist diese Situtation nicht unbekannt, schließlich war ihre Distribution früher auch nicht einfach im Laden erhältlich. Apropos Linux: Anders als Windows lässt es sich auf Esperanto umstellen. Der Einstieg bei www.debian.org gelingt in Esperanto, sofern der Browser für die bevorzugte Sprache ‘eo’ eingestellt ist. Bei der FSF ist das nicht der Fall, hier muss man auf die Demoseite (http://www.agado.net/gnu.org/free-sw.eo.html) ausweichen. Die Browser-Einstellung ‘eo’ sorgt ohnehin für manchen Aha-Effekt; wer hätte schon vermutet, dass groups.google.com die Sucher in dieser Sprache begrüßt?

Auch für persönliche Kontakte ist gesorgt. Der Stammtisch, für Linux-Nutzer eine bekannte Einrichtung, hat unter Esperantisten ein Gegenstück.

Wer lieber Nachrichten im Internet liest, kann sich auf esperanto.cri.com.cn umsehen. Es ist erfrischend, die Weltpolitik nicht nur mit westlichem Blick zu beobachten. China ist aber nicht das einzige Land, das die Welt mit Informationen in Esperanto versorgt. Schon zu Zeiten des kalten Krieges produzierte Radio Polen Sendungen in dieser Sprache. Dort besteht die Möglichkeit, Esperanto zu hören, ohne jemals einem Sprecher persönlich begegnet zu sein.

Nachdem das Internet den ersten Schritt zum globalen Dorf geschaffen hat, liefert Esperanto den zweiten zur globalen Verständigung. Wie bei Linux in der Anfangszeit sind die Spuren nur für Sucher zu finden. Private Aktionen, gerade auch in Deutschland, stehen im Vordergrund. Mit Ausnahme von Hamburg sind Staat und Wirtschaft desinteressiert, obwohl die Plansprache viele Probleme lösen und innerhalb der EU enorme Kosten sparen könnte. (ka)