Reine Nervensache

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Christian Kirsch

Was in Schweden angeblich prima funktioniert, bietet der Telekom-Konkurrent Otelo seit Anfang Oktober testweise auch in der deutschen Hauptstadt an - werbefinanziertes, kostenfreies Telefonieren.

Glaubte man den euphorischen Ankündigungen der Berliner Lokalpresse, dann mußte der große Wurf kurz bevorstehen: endlich Telefonieren auf Weltniveau, kostenlos, zuverlässig und unterhaltsam. Ganz unvorbereitet mag ein großer Konzern natürlich nicht ins kalte Wasser springen, und so konnten nicht alle Berliner in den Genuß der Gratis-Telefonie kommen. 5000 Teilnehmer waren auszuwählen, und das machte sich Otelo nicht leicht. Zwar verkündete man bereits Mitte September, alle Tester stünden fest, doch bei der Hotline wußte man davon nichts: 'Schön, daß Sie teilnehmen wollen, nur - das müssen Sie beantragen. Die Formulare sind noch nicht ganz fertig; wenn Sie mir Ihren Namen geben, bekommen Sie den Antrag. Darf ich Ihnen denn vorher schon mal andere Unterlagen von Otelo schicken?' Erstaunlich, wie die Privaten schon jetzt das bekannte Telekom-Look&Feel von Unfähigkeit gepaart mit gutem Willen zustande bekommen. Die 'anderen Unterlagen' passen gut in dieses Konzept: Ankündigungen, Vorhaben und viele Emoticons, aber weder Fakten noch Preise.

Tatsächlich traf das Antragsformular am 22. September ein, mit dem warnenden Hinweis, es müsse drei Tage später wieder ausgefüllt bei Otelo sein, wolle man ab 1. Oktober mitmachen. Zu beantworten waren Fragen nach dem Haushaltseinkommen, der monatlichen Telefonrechnung und dem Konsumverhalten - dagegen waren die Volkszähler seinerzeit geradezu diskret. Allerdings war das Konzept so durchsichtig, daß jeder Interessierte durch fantasievolles Ausfüllen zum Tester aufsteigen konnte. Ab 2. Oktober war es dann soweit: Eine 130er-Nummer gewährte kostenfreien Zugang zum Otelo-Rechner. Dem teilt man die gewünschte Rufnummer per (Tonwahl-)Tastatur mit, und nach einer ersten Werbeeinblendung stellt er die Verbindung her. Rund 60 Sekunden später folgt die nächste 'Wir waschen weißer'-Pause von etwa einer Viertelminute, und so geht's dann weiter. Mein erster Gesprächsteilnehmer legte in der zweiten Einblendung den Hörer auf, was eine zickige Telefon-Stimme mit vorwurfsvollem Unterton vermeldete. Von der in den Geschäftsbedingungen zugesicherten Rückfrage beim Gesprächspartner, ob er mit der Einblendung einverstanden sei, war natürlich in der Praxis keine Rede. "Eine interessante Anregung" meinte der Hotliner auf Nachfrage.

Nach dem dritten Telefonierversuch habe ich es aufgegeben. Menschen mit normaler Konzentrationsspanne ertragen es einfach nicht, wenn ihre Gedankengänge alle sechzig Sekunden unterbrochen werden, und die meisten Gesprächspartner empfinden das Dazwischengequake völlig Unbekannter als störend. Zu allem Überfluß war Otelos 130er-Nummer regelmäßig überlastet, so daß man erst nach dem zehnten oder zwanzigsten Versuch überhaupt eine Verbindung bekam. Diese Art des Telefonierens dürfte nicht über das Teststadium hinauskommen. (ck)