Standardausrede

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Henning Behme

Seit 1994 versucht Tim Berners-Lee als Chef des W3C, Vorgaben für die Gestaltung des Web im Konsens aller im Konsortium mitarbeitenden Firmen zu erarbeiten. Cascading Stylesheets, HTML 4, XML und XHTML sowie das Document Object Model sind die augenscheinlich wichtigen Standards, die das W3C selbst lange nur Empfehlung nannte.

Leider hielten die Browserhersteller ebenso lange nicht Schritt mit diesen Vorgaben, sodass Webentwickler mit im Grunde völlig überflüssigen Scripts dafür sorgen mussten, dass Netscapes Navigator 4 und Microsofts Internet Explorer (von anderen ganz zu schweigen) die Seiten so zeigten, wie sie sein sollten.

Gut zehn Jahre nach Gründung des Konsortiums sind die meistverbreiteten Browser (im Vorgriff auf IE 7) in der Lage, CSS1 und vieles von CSS2 angemessen darzustellen. Aufatmen bei Webdesignern. Relaunch der iX-Seiten. Protest von Lesern. Sie beklagen, dass ausgerechnet iX und andere Objekte dieser Site sich nicht an die genannten Standards halten. Die bei iX kennen keine DOCTYPE-Deklaration, kein richtiges HTML und nutzen proprietäre Elemente.

Erstmal: Asche aufs Designerhaupt. Denn die Kritik ist berechtigt. Dass die Seiten so sind, wie sie sind, hat Gründe in der oben skizzierten Webgeschichte, denn noch heute, im Prä-IE7-Zeitalter, kann Microsofts Browser vieles an CSS nicht umsetzen, was für andere - teilweise längst - eine Selbstverständlichkeit ist.

Übers letzte Jahrzehnt sind viele größere Sites entstanden, die im Kampf mit den Browsermängeln zu „Notlügen“ greifen mussten, damit die Surfer das Wahre, Gute, Schöne richtig zu sehen bekamen. Oberste Priorität war eben: Alle müssen alles sehen können. Manchmal sogar ohne DOCTYPE - etwa die Homepages von Amazon, Ebay und Google. Und da die Browser schon immer gnädig über ihnen unbekannte Elemente hinweggesehen haben, störten neue Elemente nur die HTML-Puristen. Keine Chance, auf diese Weise unbemerkt durch einen Validator zu kommen.

Mit an Bedeutung gewinnender Barrierefreiheit dürften mehr und mehr Webdesigner, bei kleinen wie großen Sites, versucht sein, Webseiten zu entwerfen, die den zitierten Standards entsprechen. Und sei es „nur“, damit Handys, Screenreader und andere Geräte erkennen können, was ihnen da jemand schickt.

Zugegeben: Geschundene Webdesigner/Redakteure tendieren wie Politiker dazu, sich bei Kritik umzusehen, was andere treiben und auf sie zu zeigen. Das ist dummerweise keine gute Ausrede.

Eins schleicht sich in diesen Text dennoch ein: Sechs der unten angeführten Sites verwenden keinerlei DOCTYPE-Deklaration, von den verbleibenden elf sind es ganze drei, deren Homepage den Validator des W3C fehlerfrei passiert. Da macht sich bei einem webaffinen iX-Redakteur ein klitzekleines bisschen Erleichterung breit.

Wer vermeiden will, tausende von Klage-Mails beantworten zu müssen („Die Seite kommt bei mir nicht“), beißt lieber in den sauren Apfel der Sorte Standardlos ...


Die 17 Sites: Amazon, AOL, ARD, Bild, Ebay, FAZ, Focus, FR, Google, RTL, Spiegel, Stern, SZ, taz, Yahoo, ZDF, Zeit