Swirl reloaded

Am Valentinstag war es nach (nur) fünf Monaten Verzögerung so weit: Die Debian-Entwickler gaben die Version 5.0 frei. Wie seine Vorgänger wird wohl auch Lenny auf vielen Servern seinen Dienst verrichten: Laut der Trendstudie Open Source laufen Debian-Server immerhin in fast jeder zweiten Firma respektive Organisation, die Open-Source-Software einsetzt.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Michael Kofler

Wie die vergangenen Debian-Releases ist auch Lenny nicht pünktlich fertig geworden. Mit Schuld daran hatte eine kurz vor Weihnachten angesetzte Abstimmung, wie man mit nicht freien Firmware-Dateien umgehen sollte. Die Entwicklergemeinde entschied sich für eine rasche Fertigstellung der Version und für eine spätere Lösung der Firmware-Problematik. Die Diskussionen rund um die Abstimmung führten allerdings auch dazu, dass der langjährige Debian-Sekretär Manoj Srivastava zurücktrat. Dennoch blieb die Zeitüberschreitung diesmal in einem erträglichen Rahmen – fünf Monate sind für Debian-Verhältnisse beinahe eine Punktlandung.

Das ändert freilich nichts daran, dass manche Softwareversionen schon heute alt wirken – und das Debian-Projekt diese nun über Jahre warten muss: Kernel 2.6.26, Gnome 2.22/2.20, KDE 3.5.9 et cetera (siehe Kasten „Browser- und Dokumentmodi“). Ein Fall für sich ist dabei Gnome: Die Entscheidung für Version 2.22 resultiert aus dem Feature Freeze im Juli 2008. Aber damit nicht genug: Wegen technischer Schwierigkeiten haben die Debian-Entwickler bei einigen Kernkomponenten sogar auf Gnome 2.20 zurückgegriffen (dies betrifft beispielsweise Nautilus oder den Display-Manager GDM).

Browser- und Dokumentmodi
Debian 5.0 „Lenny“
circa 20 000 Pakete, unterstützte Architekturen: AMD64, Alpha, Arm, Armel, HPPA, i386, IA64, MIPS, MIPSel, PPC, S/390, SPARC
Basis
Kernel 2.6.26, GCC 4.3.2, Glibc 2.7, OpenSSH 5.1, X.Org 7.3, X-Server 1.4.2
Server Virtualisierung Desktop
Apache 2.2.9 KVM 72 Gnome 2.22 (teils 2.20)
Cups 1.3.8 OpenVZ 3.0.22 KDE 3.5.9
Kerberos V 1.6 VirtualBox 1.6.6 Iceweasel (Firefox) 3.0.6
MySQL 5.0.51a VServer 2.2 Icedove (Thunderbird) 2.0.0.19
OpenLDAP 2.4.11 Xen 3.2 GIMP 2.4.7
PHP 5.2.6 OpenOffice 2.4.1
Postfix 2.5.5 NetworkManager 0.6.6
PostgreSQL 8.3.6
Samba 3.2.5
Tomcat 5.5.26

Bevor nun jemand die mangelnde Aktualität kritisiert, lohnt ein Blick zur Konkurrenz: Unter Ubuntu 8.04 LTS, das ebenfalls auf Gnome 2.22 basiert, ist es bis heute unmöglich, Samba- oder Windows-Shares fehlerfrei mit Nautilus in das Dateisystem einzubinden (Ubuntu Bug 216104, Schuld ist der GVS-Umbau in Gnome 2.22). Ein derart offensichtlicher, seit neun Monaten nicht behobener Fehler ist natürlich einigermaßen peinlich für Canonical, das ja speziell die LTS-Versionen (Long Time Support) für den Unternehmenseinsatz anpreist. Der konservative Debian-Weg wirkt da überzeugender, auch wenn sich damit in Testberichten oft kein Lorbeer gewinnen lässt. Noch eleganter wäre nur der Einsatz von Gnome 2.24, in dem der Fehler längst behoben ist.

Leider sind auch nicht ganz aktuelle Softwareversionen kein Garant für Fehlerfreiheit: Diese Erfahrung musste das Debian-Projekt vorigen Mai machen, als man einen fundamentalen Fehler im Schlüsselgenerator der OpenSSL-Bibliothek entdeckte. Es bleibt zu hoffen, dass Lenny von derart gravierenden Pannen verschont bleibt.

So viel gleich vorweg: Revolutionäre Neuerungen gibt es in Debian trotz des Sprungs in der Major-Versionsnummer nicht. Server-Administratoren, die die wohl wichtigste Zielgruppe von Debian darstellen, dürften das begrüßen: Für sie bietet Lenny solide Kost, die auch bei einem Update von Etch kaum Schwierigkeiten bereitet. Wer sich für die neuesten Entwicklungstendenzen rund um Linux interessiert, findet in Fedora, openSUSE und mitunter sogar Ubuntu spannendere Spielwiesen.

Java-Entwickler und -Anwender können sich in Debian 5 über die deutlich verbesserte Java-Unterstützung auf der Basis von OpenJDK und Tomcat freuen. Auch Mono, die freie .Net-kompatible Bibliothek und Laufzeitumgebung, hat den Sprung in die Distribution geschafft. Allerdings gehören weder eine Java JRE noch Mono zum standardmäßigen Installationsumfang.

Wer Debian in virtualisierten Umgebungen einsetzen möchte, hat die Qual der Wahl zwischen gleich fünf Virtualisierungssystemen (siehe Kasten „Browser- und Dokumentmodi“). Für OpenVZ, VServer und Xen liefert die Distribution gleich passende Kernel-Pakete mit.

Zwar kann die Installation im GUI erfolgen, den Aufbau der Dialoge übernahmen die Entwickler aber vom Textmodus-Installer; entsprechend unhandlich ist die Bedienung.

Debian gilt oft als ungeeignet für Einsteiger. Dieses Vorurteil ist aber nur noch teilweise gerechtfertigt: Die Installation ist problemlos (wenngleich Fedora oder openSUSE mehr Komfort bieten), und der Gnome-Desktop unterscheidet sich in erster Linie durch das Hintergrundbild von anderen Linux-Distributionen. Ein wenig überraschend kann Debian Lenny auf Anhieb Flash-Animationen (swfdec) und MP3-Dateien (gstreamer-plugins-ugly) abspielen und unterstützt auch sonst eine beachtliche Auswahl von Audio- und Videoformaten. Wo Debian wegen rechtlicher oder philosophischer Probleme an seine Grenzen stößt, helfen oft die inoffiziellen Pakete des Debian-Multimedia-Projekts weiter (siehe „Onlinequellen“). Einzig, was die Unterstützung moderner Hardware betrifft, gerät Debian aufgrund älterer Versionen (speziell beim Kernel und beim NetworkManager) deutlich ins Hintertreffen.

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Dass Debian nun auch als BlueRay-Medium verfügbar ist, dürfte für die meisten Anwender eher in die Rubrik Spielereien fallen. Wer einen schnellen Internetzugang hat, zieht meist das nur rund 130 MByte große NetInstall Image vor: Die resultierende CD enthält nur das eigentliche Installationsprogramm; alle anderen Pakete lädt die Installationsroutine direkt aus dem Internet herunter. Egal, welches Medium zum Einsatz kommt: Am Ende der Installation sorgt ein Update dafür, dass sich alle verfügbaren Sicherheits-Updates schon vor dem ersten Start auf dem System befinden. Auch sonst haben sich die Entwickler bemüht, Debian noch sicherer als bisher zu machen: Sie reduzierten die Zahl der offenen Ports ebenso wie die Anzahl der Kommandos mit gesetztem SUID-Bit.

Erfreulich ist, dass nun offizielle Live-CDs existieren, wenn auch nur für die Architekturen i386 und AMD64. Damit müssen Debian-Anwender für etwaige Reparaturarbeiten nicht mehr auf inoffizielle Debian-Live-Systeme respektive auf Knoppix oder Ubuntu ausweichen.

Wie bisher glänzt Debian durch ein riesiges Paketangebot. Weniger beeindruckend ist die Aktualität der Pakete – aber das ist der Preis für die legendäre Stabilität von Debian. Das Haupteinsatzgebiet dürfte wohl wie bisher der Server bleiben: Natürlich eignet sich Debian auch für den Desktop-Einsatz; für private Anwender oder Einsteiger hat Ubuntu aber deutlich mehr Sex-Appeal: Ubuntu ist aktueller, sieht hübscher aus (okay, nicht viel…) und bietet einen einfacheren Zugang zu Nicht-Open-Source-Treibern. Da kann und will Debian nicht mithalten.

Freilich ist die Bedeutung von Debian nicht an der Verbreitung am Desktop zu messen: Es ist das Fundament unzähliger anderer Distributionen (Ubuntu lässt grüßen) und findet sich als Embedded Linux auch in vielen elektronischen Geräten wieder. Die strikte Open-Source-Orientierung und die Unterstützung von zwölf CPU-Architekturen machen sich hier bezahlt. In dieser Hinsicht kann keine andere Distribution – ob kommerziell oder frei – Debian das Wasser reichen.

Michael Kofler
ist freier Computerbuchautor. Demnächst erscheint sein neues Buch „Ubuntu Server“ bei Addison-Wesley.

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  • Debian 5 ist eine ebenso solide wie konservative Distribution. Technische Revolutionen gibt es keine.
  • Das Paketangebot von Debian 5 ist riesig, die Aktualität enttäuschend.
  • Debian war und ist eine Distribution für fortgeschrittene Linux-Anwender und Server-Administratoren.
  • Die breite Hardware-Unterstützung (zwölf CPU-Architekturen) und die konsequente Open-Source-Orientierung machen Debian zur Basis für viele andere Linux-Projekte.

(avr)