Umkehrschluss

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Ralph Hülsenbusch

Wo immer man liest, hört oder fernsieht: Schule und Spiele sind derzeit Thema – gepaart mit neuem Entsetzen. Das wirft viele Fragen auf und stellt immer wieder die Logik auf den Kopf, was vor allem auf den Bereich zielt, der ohne die Regeln der Logik nicht existieren würde: Computer und die Wenn-dann-Beziehung.

Wenn jemand, vor allem ein Jugendlicher, auf – nicht mit – dem Computer spielt, begibt er sich in Gefahr, die Realität zu verlassen, und gerät bei einer täglichen Dosis von mehr als 5 Minuten unweigerlich in den Verdacht, zu Gewalttaten zu neigen. Selbst Spiele ohne Altersbegrenzung gehen nicht gerade zimperlich mit ihren Geschöpfen um. Wer immer mit dem Bereich Computer und Grafik zu tun hat, stößt unweigerlich auf Benchmark-Programme, in denen es vorwiegend um eins geht: das virtuelle Töten.

Spannung und Lust zum Spielen nur über einen solchen "Nervenkitzel" hinzubekommen, ist ein Armutszeugnis, das man nicht nur den Entwicklern von Spielen ausstellen muss. Es zeigt vor allem eins: Mangel an Fantasie und eine erschreckende Distanz zur Realität – zumindest in Ländern, in denen Häuserkampf, Waffenarsenale und Feindetöten nicht zum Alltag gehören. Spieleentwickler sollten mehr können als Leichen zu produzieren, Gefühllosigkeit einzuüben und das grafisch aufzumotzen. Es gibt Gewalttäter, die solche Spiele spielen, aber der Umkehrschluss ist falsch.

Zudem sind Computer eben nicht nur zum Spielen da: Web 2.0 mit SMS, Chat-Rooms, Blogs, virtuelle Welten, Twitter und Konsorten schließen Realität und Illusion in einer derart wirksamen Art kurz, dass selbst seriöse Presseorgane nicht mehr hinterherkommen und über eine Fehlinformation nach der anderen stolpern. Das Anstiften zu Gewalt und kriminellen Handlungen findet man im Netz, ohne Schranken. Es gibt Verbrecher, die das Web nutzen, der Umkehrschluss ist falsch.

Vor der PC-Zeit gab es Heftchen wie Akim, Landser (gibt es heute noch) und andere, von Berufenen als Schund deklariert und alles andere als gewaltfrei – es geht also auch ohne das Netz. Wer sich jemals in den Tiefen des Web verloren hat, dürfte sich gewundert haben, wer dort was diskutiert. Jeder, der sich ein besonderes Image geben möchte, und sei es nur, um andere zu erschrecken oder für besondere Missstände zu sensibilisieren, kann sich dort darstellen. Dabei sollte es ein Leichtes sein, nach der Spam-Methode wenigstens solche Ecken zu markieren. Es gibt Gewalttäter, die ihre Taten im Internet ankündigen, der Umkehrschluss ist falsch.

Sicher, die Freiheit des Internet ist in Gefahr. Aber jede Einschränkung ruft unweigerlich diejenigen auf den Plan, die neue Schlupflöcher finden und öffnen. Zudem heißt, Extreme in der Freiheit zu finden, nicht, dass alle in der Freiheit extrem sind – im Gegenteil, sie eröffnet die Möglichkeit sich abzugrenzen. Insofern funktioniert die Regelung besser, als irgendwelche Institutionen sie einrichten könnten. Es gibt Gewalttäter, die solche Freiheiten missbrauchen, aber der Umkehrschluss ist falsch.

Bleibt, dass die Realität keine Computer braucht, um Schrecken zu verbreiten. Man muss in den westlichen Industriestaaten leben, wenn man sich den Luxus dieser Diskussion leisten will. Aber dass ausgerechnet in dieser Gesellschaft eine Branche und ihre Medien die (männliche) Jugend spielerisch für einen Krieg trainieren, den es so nie geben wird – ist überhaupt nicht schlüssig. (ole)