Verlust der Unschuld

Seit Wochen erlebt die Mediennation täglich dasselbe Schauspiel: Nato-Sprecher Jamie Shea kommentiert Bilder fliegender High-Tech-Bomben, die militärische Ziele in Jugoslawien zerstören. Postwendend kommt die Meldung aus Belgrad, die Nato habe wieder zivile Objekte beschossen.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Torsten Beyer

Die Unabhängigkeit der Berichterstattung ist das erste Opfer jedes Krieges. Zeigt die Nato Bilder von Massengräbern oder Vertreibungen im Kosovo, kommt aus Belgrad die Meldung, daß dies Fotomontagen seien - alles erstunken und erlogen. Behaupten Belgrader Stellen, daß sie Nato-Jets abgeschossen haben, antwortet die NATO umgehend ‘stimmt nicht’. Alle Maschinen seien wohlbehalten heimgekehrt.

Wenn man die politische Sinnhaftigkeit dieses Krieges auch unterschiedlich bewerten mag, so lehrt dieses Informationsritual doch zumindest eines: Was wir an Informationen präsentiert bekommen, scheint doch außerordentlich fragwürdig zu sein in bezug auf Korrektheit und Glaubwürdigkeit.

Der interessierte Zeitgenosse fragt sich mithin: wie kann ich herausfinden, was wirklich los ist auf dem Balkan? Gibt es eine Möglichkeit, mein Meinungsbild zu komplettieren und vielleicht auch zu objektivieren? Vielleicht ja. Es gibt schließlich das Internet.

Da wäre zunächst das Außenministerium der Bundesrepublik. Es existiert eine recht vollständige Seite zum Kosovo-Konflikt mit Hintergrundinformationen und verschiedenen Links. Garniert ist das Ganze mit - ich bin versucht zu sagen ‘Tageslosungen’ des Außenministers. Gerade das läßt daran zweifeln, daß das Studium dieser Seite zum Aufbau eines objektiven Meinungsbildes beiträgt. Natürlich spiegelt der Inhalt die offizielle Meinung der Nato wieder. Andererseits sind die Links zum Thema ‘Wie kann ich helfen?’ sicherlich lesenswert.

Weiter geht es zum Verteidigungsminister (http://www.bundeswehr.de/kosovo/). Auf diesem Server gibt es ebenfalls einen eigenen Teil über den Kosovo-Konflikt (wieso nennen eigentlich alle diesen Krieg ‘Konflikt’?). Auch diese Seite macht einen informativen Eindruck, aber erwartungsmäß nur aus Sicht der Nato. Über das hinaus, was Herr Scharping jeden Nachmittag in seiner Pressekonferenz verbreitet, auch hier Fehlanzeige. Genau wie beim Außenminister eine Sektion mit Verweisen zu Hilfsmöglichkeiten, und gemeinsam mit der dpa eine Liste aktueller Presseverlautbarungen zum Krieg im Kosovo.

Schnell noch einen Blick auf den Natoserver geworfen. Dasselbe Bild, immerhin steht hier das, was allabendlich an Bombenvideos und Kartenmaterial über die Mattscheibe flimmert, zum Herunterladen in etwas besserer Qualtiät.

Alles irgendwie glaubhaft, aber was ist mit der anderen Seite? Da wäre zunächst einmal die jugoslawische Bundesregierung. Das jugoslawische Informationsministerium bietet seine Weltsicht an. So kann man nachlesen, wie die jugoslawische Regierung das Kosovo und den dortigen Konflikt sieht und bewertet. Es finden sich entsprechende Statements. Auffallend ist die im Vergleich zu den oben genannten Webservern deutlich aggressivere Sprachwahl.

Die staatliche (und spätestens seit Verhängung des Kriegsrechts wohl auch massiv zensierte) jugoslawische Nachrichtenagentur Tanjug vermittelt ebenfalls die Sicht der anderen Seite. Und unter www.inet.co.yu gibt es nahezu stündlich neue Informationen über die Lage in Belgrad.

Auch auf diesen Webseiten fällt auf: nichts wirklich Neues. Darüber hinaus taucht kein Wort und Bild über das auf, was im Kosovo passiert. Objektive Berichterstattung: ebenfalls Fehlanzeige. Interessanterweise fehlt in den offiziellen jugoslawischen Links jeder Hinweis auf das Belgrader Radio B92. Vielleicht gibt es dort ja neues Informationsmaterial, das die Situation verständlicher macht.

Der Sender informiert, daß er Opfer des Kriegszustandes ist und wegen der damit einhergehenden Zensur am 2. April geschlossen wurde. Wenigstens ist den Zensoren die dortige Linkliste entgangen. Von dort geht es unter anderem nach www.oneworld.org/dispatches/kosovo/index.html. Dort findet sich eine lesenswerte Sammlung von Berichten und Artikeln, die gleichermaßen mit der Nato und Jugoslawien kritisch umgehen und relativ ausgewogen den Konflikt von beiden Seiten betrachten.

Von dort geht es weiter zum ‘Kosova Information Center’, das behauptet, die Republik Kosovo zu repräsentieren und Informationen über die Lage dort anzubieten. Die geneigte Leserin kann sich ein eigenes Urteil bilden über das, was im Kosovo passiert.

Die Suchmaschine fand auch noch eine Seite, die von einer kanadischen Firma namens Yunet betrieben wird, deren politische Intention nicht ganz offensichtlich wird. Immerhin gibt es dort eine Reihe von Informationen, die anderswo nicht zu finden sind. Eigentlich sollte auch ein Webserver der Republik Kosovo (http://www.republic-kosova.org/index.html) online sein. Alle Versuche, dorthin zu gelangen, schlugen jedoch fehl. Auch in Deutschland gibt es einen Kosovo-Server: ein Webserver bietet ohne Impressum Informationen über den Kosovo und die Geschehnisse dort an.

Kosovo-Informationen ganz anderer Art bietet die offizielle serbische Seite. Hier finden sich Berichte (unklarer Glaubwürdigkeit) über Kosovo-Flüchtlinge, die nach Serbien geflohen sein sollen, sowie Artikel über gefälschte Videos von Kosovo-Flüchtlingen, die von Vergewaltigungen berichten.

Alles in allem ist festzustellen, daß das Internet zwar hilft, den eigenen Informationszugang zu diesem Krieg zu verbessern. Allerdings sind auch diese Berichte zum Teil vollkommen widersprüchlich und immer unter dem Gesichtspunkt einer auf beiden Seiten praktizierten Zensur zu lesen. Das eigene Meinungsbild steht jedenfalls nach wie vor auf sehr tönernen Füßen - ganz im Sinne von Veran Matic, vom verbotenen Radio B92: ‘Trust no one, not even us.’

Zum Schluß ein paar Worte zur möglichen humanitären Hilfe. Die gängigen Spendenkonten sollten bekannt sein, und ganz sicher gibt es in der Nähe eine Flüchtlingsunterkunft, bei der man fragen kann, was dort dringend gebraucht wird. Wer mehr tun will, kann unter anderem Hinweise bei der Gesellschaft für bedrohte Völker finden. Diese veröffentlicht eine Liste ihrer Aktivitäten, die man direkt unterstützen kann.

Wer konkret nach verschollenen Menschen im Kosovo sucht beziehungsweise Flüchtlingen dabei helfen will, kann dies unter http://www.suchanzeigen.de/kosovo tun. Alternativ bietet die Deutsche Welle einen Suchservice an. Suchmeldungen sendet die Deutsche Welle täglich in ihrem albanischen Programm. Bleibt, zu hoffen, daß dieser Krieg schnellstens ein Ende findet. (js)