Wandlungsfähig

Vor zwanzig Jahren taten sich vier Linux-Enthusiasten zusammen, um gemeinsam einen Vertrieb für das freie Betriebssystem aufzubauen. Der Anfang einer bewegten Historie.

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Von
  • André von Raison
Inhaltsverzeichnis

Am 2. September 1992 gründeten vier „Twens“ – Roland Dyroff, Thomas Fehr, Hubert Mantel und Burchard Steinbild – in Fürth die „Gesellschaft für Software und System Entwicklung mbH“, kurz S.u.S.E. GmbH. Anfangs übersetzen sie Peter MacDonalds Softlanding Linux System (SLS) – die damals führende Linux-Distribution – ins Deutsche, packten die Software auf Disketten und verkauften sie nebst einem gedruckten Handbuch (siehe Abb.).

Im Spätsommer gab es die Software-Sammlung erstmals auf CD, und das Produktspektrum wurde um OSF-Motif erweitert. Das Chamäleon des Firmenlogos erhielt neben einem Auge auch die charakteristische grüne Farbe.

In iX 5/1993 erschien die erste S.u.S.E.-Anzeige, eine Ausgabe später war die Zeile mit den Spielen verschwunden.

Anfang 1994 wendete man sich – wie viele Anwender – wegen Peter MacDonalds kruder Update-Politik von SLS ab und stieg auf Patrick Volkerdings deutlich stabilere Slackware um. Ab Frühjahr gab es die S.u.S.E. 1.0 „Deutsche Slackware, LST, DLD“ die auf dem zuvor freigegebenen Kernel 1.0 basierte. Auf mittlerweile zwei CDs fanden sich zusätzlich die von Dirk Haaga initiierte DLD (Deutsche Linux Distribution) sowie die aus Erlangen stammende LST – ab Sommer auch Debian. Übrigens arbeitet Ralf Flaxa, einer der LST-Gründer, bei der heutigen SUSE als Vice President Engineering.

Zu der Zeit befanden sich viele Server mit freier Software (der Begriff Open Source sollte erst einige Jahre später geprägt werden) an amerikanischen Universitäten. Leute ohne FTP-Zugang konnten sich ab Juni 1994 über die im zweimonatlichen Rhythmus erscheinende S.u.S.E. aktuell Abzüge der Server tsx-11.mit.edu und sunsite.unc.edu auf CD verschaffen.

Mit der Distribution vom August 1995 hatte S.u.S.E. ihren ersten Auftritt im iX-Labor (iX 11/1994). Die Autoren des Vergleichstests hoben die Einsteigerfreundlichkeit und das 386-seitige, gedruckte Handbuch hervor – Attribute, die das Produkt lange, zum Teil bis heute begleiteten.

Den Zeitraum des Wechsels beim Binärformat von a.out nach ELF nutzten die Fürther für einen weiteren großen Schritt: Im Mai 1996 erschien die erste Distribution unter Eigenregie. Sie basierte auf Jurix, einer von Florian La Roche an der Uni Saabrücken betreuten Linux-Distribution. Der zu den Franken gewechselte La Roche war auch Initiator des Installationstools YaST (Yet another Setup Tool). Die Box trug die Versionsnummer 4.2 und enthielt die erste SMP-fähige Distribution.

Schon früh versuchte man, sich neben dem reinen Geschäft mit Distributions-Boxen ein Standbein im kommerziellen Umfeld zu verschaffen. Im Herbst 1996 hatte der Autovermieter Sixt nach einer fünfmonatigen Umstellungsphase seine 240 Geschäftsstellen auf S.u.S.E.-Systeme umgestellt.

Im folgenden Jahr standen die Zeichen mit der Eröffnung eines ersten Büros in den USA auf Expansion. Auch technisch setzten die Entwickler einen größeren Brocken um und migrierten die Distribution von tar.gz-Archivdateien auf das RPM-Paketformat. Das Ergebnis, S.u.S.E. 5.0, bot darüber hinaus eine einfache ISDN-Konfiguration, wie ein Test in iX 10/1997 bescheinigte. Gegen Ende des Jahres konnte man mit SNI den ersten großen Hardwarehersteller zu einer Kooperation bewegen: SNI (Siemens Nixdorf) nahm für eine Workstation der Celsius-Familie das Fürther Linux als Dual-Boot-Option ins Programm. Ebenfalls gegen Ende 1997 bot S.u.S.E. 5.1 erstmals eine KDE-Betaversion als Desktop-Umgebung.

Das Jahr 1998 stand im Zeichen der Professionalisierung der Produktpalette. So gab es zum einen mit S.u.S.E. Business Linux eine auf den Firmeneinsatz ausgerichtete Variante, die für 349 DM 30 Tage professionellen Support enthielt. Zum anderen sollte ein Schulungsangebot Anwender mit dem noch ungewohnten freien Betriebssystem vertraut machen. Ab Herbst bot die Tübinger Firma Transtec Workstations mit vorinstalliertem S.u.S.E. 5.3 an. Eine Office-Suite (ApplixWare) sowie HylaFax als Fax-Server sollten den Weg auf die Büroarbeitsplatzrechner ebnen.

Am Ende des Jahres zog die Firma nach Nürnberg um und trennte sich in diesem Zuge von den Punkten im Namen. Das im Spätherbst erschienene SuSE Linux 6.0 vollzog den Umstieg auf glibc als zentrale Systembibliothek.

Anfang 1999 hatte sich SuSE zur 160-Mann-Firma gemausert und nutzte im Frühjahr 1999 die Comdex, um im US-Markt auf sich aufmerksam zu machen. Aus der Retrospektive war das US-Engagement nur wenig von Erfolg gekrönt.

Parallel dazu versuchten sich die Neu-Nürnberger als Systemanbieter: Mit dem SuSE Hypercube warfen sie ein hochwertiges Dual-Intel-P2-System im Cube-Gehäuse auf den Markt. An einem ICP-RAID-Controller hingen zwei Subsysteme (ein RAID 5 für die Daten und ein RAID 1 für das Betriebssystem); im iX-Vergleichstest in der 4/1999 schlug sich das rund 20 000 DM teure System gut.

Zur CeBIT 1999 kam der Einstieg ins Cluster-Geschäft. Unter dem Label „SuSE Advance Linux Technology (SALT)“ hatte man die ausschließlich in 19-Zoll-Technik als „individuell angepasste Komplettlösungen“ gefertigten Systeme ins Portfolio aufgenommen. Als ein wichtiger Schritt in der Linux-Verbreitung gilt die Portierung von SAP R/3 auf das freie Betriebssystem. Siemens zeigte auf der 1999er-CeBIT die Walldorfer Software erstmals auf SuSE.

Mit der Gründung regionaler Service- und Vertriebsniederlassungen bauten die Nürnberger ihre Präsenz aus. Den Anfang machte man im Frühjahr 1999 in München, weitere Städte folgten später.

Plattformmäßig tat sich auch einiges: Ab Version 6.1 schickte man die Distribution auch für Alpha-AXP ins Rennen. Ein Test der Betaversion erfolgte in iX 5/1999, die Freigabe im Juli. Die Intel-Version der 6.1 musste sich in iX 8/1999 in einem Vergleich nicht nur mit anderen Linux-Distributionen, sondern auch mit PC-Unices messen – mit ansehnlichem Erfolg.

In der iX 11/1999 beschrieb der Artikel „Viel hilft viel“ einen von SuSE gemeinsam mit Siemens entwickelten Patch, mit dem der damals aktuelle 2.2er-Kernel statt wie bis dato maximal 2 GByte nun bis zu 4 GByte RAM nutzen konnte. Der Patch floss in die Linux-Entwicklung zurück und wurde Teil der 2.4er-Generation. Bis heute gehört SuSE zu den Top Ten der Firmen, die zur Kernel-Entwicklung beitragen. Ende des Jahres dreht sich das Chamäleon von links nach rechts.

Trotz aller Kooperationen mit anderen Herstellern lief das Profigeschäft schleppend. Mit spezifischen Paketen wie dem IMAP-Server oder der Firewall versuchte SuSE den lukrativen Business-Kunden das hauseigene Portfolio schmackhaft zu machen. Das Brot-und-Butter-Produkt bot ab Version 6.3 – auf sechs CDs oder auf einer DVD – das neue grafische Yast2.

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Jenseits des Distributionsgeschäfts

Schon immer hatte SuSE den Vorteil, dass alle Varianten auf derselben Codebasis aufsetzten. Über ein ausgeklügeltes System entstanden (und entstehen noch heute) daraus die Pakete für die diversen Produkte für alle Plattformen. Mit einem GUI versehen, stellte SuSE diese Umgebung auch Dritten zur Verfügung: der openSUSE Build Service war geboren. Anfang 2007 konnte der auch für Debian, Fedora und Ubuntu Pakete bauen, ein Jahr später folgten RHEL und CentOS.

Im Mai 2011 benannte man den Dienst im Open Build Service (OBS) um, er unterstützte inzwischen über ein Dutzend verschiedene Distributionsversionen. Quasi parallel erfolgte eng mit OBS verzahnt die Entstehung von SUSE Studio. Seit 2009 können sich Anwender über ein schickes GUI per Mausklick ihre Wunschdistribution zusammenstellen. Im Hintergrund übernimmt das Tool namens KIWI das Erstellen eigener CD- oder Xen-Images.

Inzwischen hat man mit dem SUSE Manager eine Management-Plattform im Portfolio, mit der sich in großen Umgebungen auch andere Linux-Systeme wie RHEL zentral verwalten lassen.

Doch die Einnahmen konnten die durch das Firmenwachstum verursachten Kosten nur schwer decken. Um die weitere Expansion zu finanzieren und einen Börsengang vorzubereiten, holte das SuSE-Management Ende 1999 Investoren ins Boot: Intel und die VC-Firma Apax stiegen mit 12 Millionen Euro ein und stellten dem Vorstand mit Roland Giebitz einen COO an die Seite. Später im Jahr sollten weitere Investoren folgen – unter anderem IBM.

Mit SuSE 7.0 erfolgte Mitte 2000 die Aufteilung in eine Personal und eine Professional Edition. Die gab es als Varianten für PCs, Alpha AXP und PowerPC, gegen Jahresende folgten SPARC und UltraSPARC als weitere Plattformen. Im November 2000 stand mit SuSE Linux Enterprise Server for S/390 die erste Distribution für Mainframes zur Verfügung.

Anfang 2001 wechselten die Nürnberger mit der Version 7.1 auf den Kernel der 2.4er-Familie. Im Spätsommer erweiterten sie ihr Portfolio am oberen Ende um den SuSE Linux Enterprise Server (SLES). Den gab es zunächst für x86, IA64 und S/390; im Frühjahr 2002 folgten Varianten für IBMs iSeries, pSeries und zSeries.

Aber das Platzen der Dotcom-Blase ging auch an SuSE nicht spurlos vorüber, was letztlich zu einem Drehen des Personalkarussells führte. Im Sommer 2001 zog sich Firmengründer Roland Dyroff zunächst in den Aufsichtsrat zurück.

Zum Interims-Chef avancierte CFO Johannes Nussbickel, der die unangenehme Aufgabe hatte, die Strukturen zu straffen. Diesen Aktivitäten fiel fast ein Viertel der im Herbst 2001 weltweit über 500 Arbeitsplätze zum Opfer. Später übernahm Gerhard Burtscher den Job. Anfang 2002 hatte SuSE noch rund 380 Mitarbeiter.

Im Mai 2002 startete ein Versuch, der Diversifizierung des Linux-Marktes entgegenzuwirken. Caldera (die zwischenzeitig die Erlanger LST gekauft hatten), die brasilianische Connectiva, SuSE und Turbolinux kündigten an, mit United Linux eine gemeinsame Enterprise-Plattform entwickeln zu wollen. Die technische Umsetzung erfolgte unter der Federführung der Nürnberger SuSE-Labs. Das als Ergebnis Ende 2002 freigegebene United Linux 1.0 fand unter dem Produktnamen SLES 8 mehr Zuspruch bei den Anwendern.

Im November übernahm der Ex-IBM-Manager Richard Seibt als CEO und trimmte die Firma auf Channel-Vertrieb. Er fädelte im Jahr 2003 schließlich die Übernahme durch Novell ein, die sich bis ins Frühjahr 2004 hinzog. Nach einem Jahr als Chef von Novell-EMEA gab er den Posten auf, um sich fortan als Open-Source-Business-Angel und -Investor zu betätigen.

Unter Novells Führung gab SuSE das kostenträchtige Box-Geschäft auf und initiierte 2005 das freie openSUSE-Projekt, das, ähnlich wie Fedora bei Red Hat, der Basisentwicklung und als Testplattform für die separat gepflegte SLES-Familie dient. SuSE förderte das Entstehen einer offenen Community, indem sie Personal und Hardware zur Verfügung stellte. 2006 konnte Novell einen Coup landen, indem es einen Deal mit Microsoft schloss. Durch diesen mutierten die Redmonder zu einem der weltweit größten Linux-Reseller.

Unruhig wurde es um Novell/SuSE im Jahr 2010, als Verkaufsgerüchte aufkamen. Jede Menge Namen machten die Runde, was die Geschäfte sicherlich nicht vereinfacht haben dürfte. Dennoch konnte man einige große Projekte anschieben. Eins davon, der Umstieg der Londoner Stock Exchange auf eine SLES-Umgebung, konnte im Februar 2011 Vollzug melden – kurz nachdem der Verkauf von großen Teilen Novells an Attachmate in trockenen Tüchern war. Seitdem läuft SUSE (inzwischen komplett versal geschrieben) als eigenständige Geschäftseinheit.

Die große Geburtstagsparty dürfte in Florida stattfinden, dort veranstaltet SUSE vom 18. bis 21. September erstmals eine große Konferenz rund um sein Betriebssystem, die SUSECon 2012. (avr)