Warum Geimpfte, die an COVID erkranken, die Forschung voranbringen

Durchbruchinfektionen sind äußerst selten. Wissenschaftler verfolgen sie, um Virusvarianten aufzuspüren, die dem Immunsystem ausweichen können.​

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(Bild: Mat Napo / Unsplash)

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Von
  • Cassandra Willyard
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In den USA wurden inzwischen mehrere zehn Millionen Menschen vollständig gegen COVID-19 geimpft. Sie treffen sich mit Freunden, gehen essen und infizieren sich – in seltenen Fällen – trotzdem mit dem SARS-CoV-2-Virus. Das ist allerdings kein Grund zur Panik, denn solche Durchbruchinfektionen werden bei jeder Einführung von Massenimpfstoffen erwartet.

Nach neuen Zahlen der Zentren für die Kontrolle und Prävention von Krankheiten (CDC) waren bis zum 20. April in den USA mehr als 87 Millionen Menschen geimpft worden. Davon infizierten sich 7157 – also 0,008 Prozent – mit dem neuartigen Coronavirus. Die tatsächliche Zahl liegt wahrscheinlich etwas höher, da leichte oder asymptomatische Infektionen möglicherweise übersehen oder gar nicht gemeldet werden. Die Daten sind jedoch weiterhin ermutigend. Nur ein winziger Teil der geimpften Menschen wurde infiziert und ein noch kleinerer Teil entwickelte eine schwere Krankheit. Lediglich 331 Patienten wurden wegen COVID-19 ins Krankenhaus eingeliefert, und 77 starben an der Krankheit.

Neue Studien, die letzte Woche veröffentlicht wurden, zeigen, dass solche Durchbruchinfektionen selbst in Umgebungen mit hohem Risiko wie Pflegeheimen selten zu sein scheinen. Selbst wenn Infektionen auftreten, gehen sie mit milden oder gar keinen Symptomen einher. Darüber hinaus haben Geimpfte, die sich infizieren, eine geringere Viruslast als nicht geimpfte Personen. Sie übertragen das Virus also mit geringerer Wahrscheinlichkeit.

Alle vorhandenen COVID-19-Impfstoffe bereiten das Immunsystem darauf vor, die Spike-Proteine auf der Oberfläche des Virus zu erkennen, damit die Körperabwehr bei Kontakt mit dem echten Krankheitserreger schnell zurückschlagen kann. Wenn der Körper jedoch keine starke Immunantwort auf die Impfung zeigt, ist er nicht bereit, das Virus zu bekämpfen. In anderen Fällen hat sich der Erreger möglicherweise so verändert, dass er der Immunantwort des Körpers entgeht, und der Impfstoff ebenfalls nicht funktioniert. Dies nennt man Immunflucht.

Einige SARS-CoV-2-Forscher befürchten, dass die Unmengen an weltweit zirkulierenden Viren viele Gelegenheiten haben, auf eine Immunflucht-trächtige Mutationskombination zu stoßen und sie zu übernehmen. Die Verfolgung von Durchbruchinfektionen könnte deshalb helfen, besorgniserregende neue Varianten zu erkennen und festzustellen, wann Impfstoffe weniger wirksam werden. Dann lässt sich bestimmen, wann Auffrischungsimpfungen oder effektivere Impfstoffdesigns erforderlich sind.

Bewohner und Angestellte von Pflegeheimen gehörten zu den ersten, denen COVID-19-Impfstoffe angeboten wurde. Zwischen Ende Dezember letztes Jahr und Ende März dieses Jahr gingen die Fallzahlen in diesen Einrichtungen um 96 Prozent zurück. Pflegeheime sind an sich ideale Ausbreitungsorte für Krankheitserreger, etwa weil Impfstoffe möglicherweise aufgrund der schwächeren Immunantwort älterer Menschen nicht so gut funktionieren. Sogar Influenza-Ausbrüche können in diesen Einrichtungen tödlich sein. Die CDC fand jedoch nur wenige COVID-19-Durchbruchinfektionen.

In einer Studie analysierten Forscher Infektionen in 78 Pflegeheimen in Chicago mit fast 8.000 geimpften Bewohnern und 7.000 geimpften Mitarbeitern. Sie fanden mehr als 600 Coronavirus-Infektionen, von denen jedoch nur 22 bei vollständig geimpften Personen auftraten, zwölf bei Bewohnern und zehn bei Mitarbeitern. Vierzehn waren asymptomatisch und fünf verspürten nur leichte Symptome. Als das Team Proben von sieben Personen mit Durchbruchinfektionen untersuchte, stellten sie niedrige Viruslasten fest. Und keine der anfänglichen Infektionen führte zu weiteren Fällen, was darauf hindeutet, dass diese geimpften Personen das Virus nicht verbreitet haben.

Selbst wenn es zu Ausbrüchen kommt, bieten die Impfstoffe immer noch einen guten Schutz. Eine zweite CDC-Studie untersuchte einen Ausbruch in einem Pflegeheim in Kentucky, in dem nur die Hälfte des Personals vollständig geimpft war. Der Ausbruch, der mit einem nicht geimpften Mitarbeiter begann, führte zu 46 COVID-19-Infektionen. Von 71 geimpften Bewohnern wurden 18 (25 Prozent) infiziert, zwei wurden ins Krankenhaus eingeliefert und einer starb. Dem Personal erging es besser. Von den 56 geimpften Mitarbeitern wurden vier (7 Prozent) infiziert. Die meisten dieser Infektionen waren asymptomatisch. Nur 6,3 Prozent der geimpften Bewohner und Mitarbeiter entwickelten Symptome, verglichen mit 32 Prozent der nicht geimpften Personen.

Während eines Ausbruchs in einem Pflegeheim "begegnen Mitarbeiter und Bewohner immer wieder dem SARS-CoV-2-Erreger", sagt Meagan Fitzpatrick, der Infektionskrankheiten an der University of Maryland School of Medicine modelliert. Eine so kleine Infektionszahl in dieser Umgebung ist ermutigend.

Neue Studien deuten auch darauf hin, dass neue Varianten für einige dieser Durchbruchinfektionen verantwortlich sein könnten. Es gibt nur wenige Daten aus echten Lebensbedingungen, Laborstudien deuten jedoch darauf hin, dass zumindest einige Varianten weniger anfällig für Impfstoff-induzierte Antikörper sind als der ursprüngliche SARS-CoV-2-Typ.

In der Kentucky-Studie stellten die Forscher fest, dass die – dort zuvor noch nicht identifizierte – R1-Variante den Ausbruch ausgelöst hatte. Dieses Virus hatte mehrere wichtige Mutationen, die auch von anderen Varianten bekannt war. Zum Beispiel scheint die E484K-Mutation, die auch in der südafrikanischen B.1.351-Variante gefunden wurde, dem Virus zu helfen, sich der Antikörperantwort zu entziehen. Die D614G-Mutation wiederum könnte die Übertragbarkeit erhöhen. Den Autoren zufolge verringerte die Impfung zwar die Wahrscheinlichkeit einer Infektion und einer symptomatischen Erkrankung, wenngleich das Virus jedoch immer noch mehr als ein Viertel der geimpften Bewohner und etwa sieben Prozent des Personals infizierte. Das deutet darauf hin, dass der Impfstoff möglicherweise nicht so gut gegen diese Variante wirkt, allerdings warnen die Autoren, dass ihre Studie klein war.

Eine weitere, im New England Journal of Medicine veröffentlichte Untersuchung verfolgte Infektionen bei Mitarbeitern der Rockefeller University in New York. Zwischen dem 21. Januar und dem 17. März dieses Jahres testeten die Forscher 417 vollständig mit dem Pfizer- oder Moderna-Impfstoff immunisierte Mitarbeiter. Zwei Frauen erhielten einen positiven Test. Als die Forscher die Viren sequenzierten, stellten sie fest, dass es sich jeweils um eine etwas andere Variante handelte, die nicht genau mit den zuvor identifizierten übereinstimmen. So hatte etwa eine der erkrankten Frauen eine Variante, die sowohl Mutationen der britischen Variante B.1.1.7 sowie der New Yorker B.1.526-Variante besaß.

Wenn eine Durchbruchinfektion auftritt, gehen Experten oft davon aus, dass der Patient keine starke Immunantwort auf den Impfstoff entwickelt hat, sagt Robert Darnell, Arzt und Physiker an der Rockefeller University. Das aber schien bei dieser Frau nicht der Fall zu sein. In ihrem Blut fand Darnell hohe Konzentrationen an neutralisierenden Antikörpern gegen SARS-CoV-2. Da sie neu infiziert war, war die Antikörperantwort wahrscheinlich auf eine Impfung zurückzuführen, nicht auf ihre Infektion. Denn die Entwicklung von Antikörpern dauert einige Zeit.

Warum ihr Immunsystem sie nicht vor Infektionen schützte, ist nicht ganz klar. Eine Möglichkeit besteht darin, dass die Variante es geschafft hat, der Immunreaktion auszuweichen. "Für diesen speziellen Patienten ist dies wahrscheinlich die beste Erklärung für das, was wir gesehen haben", sagt Stephen Kissler, Epidemiologe an der Harvard Universität. "Es überrascht mich nicht, dass viele dieser Durchbruchinfektionen von Varianten stammen". Da immer mehr Menschen geimpft werden, "entsteht ein evolutionärer Selektionsdruck."

Wenn andererseits mehr Menschen geimpft werden, treten weniger Infektionen auf und das Virus hat weniger Mutationsmöglichkeiten. Fitzpatrick weist auch darauf hin, dass es sich nur um einen Einzelfall handelt, selbst wenn die Immunflucht die Infektion der Frau erklärt. Es gäbe keine Beweise dafür, dass sie die Infektion an andere Geimpfte weitergegeben hat. Das Phänomen brauche weitere Studien, aber "ich sehe das noch nicht als alarmierend an", sagt sie. "Es gibt noch keine Krise in der öffentlichen Gesundheit."

Selbst wenn also Durchbruchinfektionen auftreten, bedeutet dies nicht unbedingt, dass der Impfstoff versagt hat, sagt Monica Gandhi, Ärztin für Infektionskrankheiten an der University of California in San Francisco. Antikörper bilden nur einen Teil der Immunantwort. T-Zellen spielen ebenfalls eine große Rolle, indem sie andere Teile der Immunantwort hochfahren und das Virus beseitigen, sobald es in den Körper eingedrungen ist.

Sie verhindern keine Infektion, können jedoch die Ausbreitung des Virus eindämmen. Einige Untersuchungen legen zudem nahe, dass die T-Zell-Reaktion des Körpers viel schwieriger zu umgehen sein wird. "Sie können tatsächlich eine leichte Infektion bekommen, aber hoffentlich sind Sie immer noch vor einer schweren Krankheit geschützt", sagt Gandhi.

Dennoch ist es wichtig, Durchbruchinfektionen nachzuverfolgen, um nach unerwarteten Mutationen zu suchen. Eine wachsende Infektionszahl bei geimpften Menschen könnte bedeuten, dass die Immunität nachlässt oder eine neue Variante entsteht, die der Immunantwort ausweichen kann. Die Impfstoffe müssen möglicherweise optimiert werden, und es wird vielleicht Auffrischungsimpfungen brauchen. Aber im Laufe der Zeit "wird unser Körper eine vollständigere Immunantwort entwickeln", sagt Kissler. "Selbst wenn wir erneut infiziert werden, sind wir vor den schwerwiegendsten Folgen geschützt. Langfristig sind die Aussichten gut." (vsz)