Weg mit der Lethargie

Alle vier Jahre kommt der Stress für Deutschlands politische Führung. Alle vier Jahre hat der oberste Souverän das Wort: der Wähler.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Torsten Beyer
  • Kersten Auel

Mit dem Herannahen von Bundes- oder Landtagswahlen beginnt für Politiker die prekäre Zeit der Inlandsreisen (abgesehen von gelegentlichen Wahlauftritten in exterritorialen Gebieten wie Mallorca), die Zeit der Versprechungen, der vollmundigen Bekenntnisse und die Zeit des Fluff. Fluff, ein weiteres denglisches Wort, bedeutet nichts anderes als heiße Luft, Worthülsen, die eine vermeintliche Bedeutung tragen.

Mithin, der Wähler steht vor dem Problem, wem er sein Vertrauen schenken und seine Gunst erweisen soll. Taten der vergangenen Jahre erweisen sich bei der Entscheidungsfindung leider nicht als hilfreich, und die Wahlversprechen, der Fluff, geben auch nichts her. Was also tun?

Wie immer ist die Antwort im Internet zu finden. Erfreulicherweise haben alle großen und auch ein paar kleine Parteien das World Wide Web als Plattform entdeckt, um ihre Botschaften unter die Massen zu streuen.

So präsentieren alle im Bundestag vertretenen Parteien ihre jeweiligen Wahlprogramme online. Die 81/bestell-w/index.htm:Grünen, sehr geschäftstüchtig, bieten das Programm in gedruckter Form für 1,50 DM, die PDS zum Durchlesen am Bildschirm oder zum Download. Gleiches gilt für das Wahlkampfprogramm der SPD (http://www.spd.de/wahlkampf/index.htm). Auch das Positionspapier der FDP und die Wahlplattform der CDU/CSU sind online zu finden.

Im Vergleich zur letzten Wahl scheinen diese Parteien deutlich mehr Wert auf ihre Internet-Präsenz zu legen. Täglich aktualisierte Seiten, zum Teil mit online Chats (beispielsweise bei der CDU) vermitteln Aktualität und regen zum Surfen an - gleich welche Partei einem nahesteht. Allerdings, langjährige Leser wissen es, die Frames stören bei der Angabe von URLs erheblich.

Natürlich sind auch Parteien und Ortsverbände im Internet, die ich hier nicht aufgezählt habe. Um einem Abrutschen nach zu weit links oder rechts einerseits und dem Verdacht der Parteinahme vorzubeugen andererseits, unterlasse ich weitere Verweise. Der geneigte Wähler möge einen der gängigen Suchautomaten verwenden, wenn die Partei seiner Wahl nicht in der obigen Liste zu finden ist. Schließlich wollen mehr als 30 Parteien zur Wahl antreten, wie die Berliner Morgenpost schon im Mai zu melden wußte.

Auch der Bundeswahlleiter hat das Internet entdeckt und mit Informationen über die Aufgaben und die Rolle dieses Organs angefüllt. So steuern etwa die Seiten des Statistischen Bundesamts aktuelle Informationen über Wahlkreise, zur Wahl zugelassene Parteien und so weiter bei.

Eine Fülle von Infos zum Thema hat auch die Bundeszentrale für politische Bildung (http://www.wahlen98.bpb.de/)für das Online-Publikum aufbereitet. Insbesondere der geschichtliche Teil ist sehr interessant und geht über das Informationsangebot anderer Server hinaus.

Wer an den Wahlergebnissen der letzten Jahre - genaugenommen, der letzten 49 Jahre - interessiert ist, findet eine Übersicht der Bundestagsergebnisse nach dem Kriege, auch, wie das auf einzelne Bundesländer heruntergebrochen aussieht. Gewerkschaftsmitglieder können sogar nachsehen, wie die Kolleginnen und Kollegen gewählt haben, und auf der Umfragenseite von Schlund + Partner erfährt man, welche Partei momentan in der Gunst der Wähler vorne liegt.

Sollte jemandem vollkommen unklar sein, nach welchem Verfahren seine Stimme zum Gewinn oder Verlust einer Partei führt, kann er sich auf dem gleichen Server informieren. Dort werden die Wahlverfahren einiger Bundesländer erläutert und Grundtypen erklärt. Eine weitere, umfangreichere Diskussion der in Deutschland verwendeten Wahlverfahren findet sich auf der Homepage von Stephan Schosser (http://members.xoom.com/schosser/verfahren.html). (Unter Geschichte dieser Seite (http://members.xoom.com/schosser/wahlense.html) ist übrigens dokumentiert, warum der in iX 10/98 veröffentlichte Link nicht mehr aktuell ist...)

Eine Kuriosität des deutschen Wahlrechtes sind die sogenannten Überhangmandate. Entgegen landläufiger Einschätzungen handelt es sich dabei nicht um die über den Gürtel hängenden Plauzen besonders wohlgenährter Mandatsträger. Worum genau es dabei geht, schildert Martin Fehndrich (http://nostromo.physik.uni-osnabrueck.de/~fehndr/ueberhang/) en Détail. Wer selbst mit den Formeln rumprobieren will, findet auf Martins Seite gar eine passende Excel-Tabelle.

Allen, die weiterdenken und schon die Wahl des Bundespräsidenten im Mai 1999 im Kopf haben, bietet Martin Möhl (http://www.hamburg.netsurf.de/~matthias.moehl/) auf seiner Web-Seite Modellrechnungen zur möglichen Zusammensetzung der Bundesversammlung an.

Da die Mandatsträger, die wir bald wählen werden, ihr Amt im schlimmsten Fall vier Jahre bekleiden, kann es hilfreich sein, vor dem Kreuzchen einen Blick auf Lebenslauf und -wandel des Kandidaten (http://www.fh-augsburg.de/~steidle/politdat/politdat.htm) zu werfen. Alle Biographien der aktuellen Bundestagsmitglieder führt der deutsche Bundestag. Und da man im Rahmen der Erkundigungen über den Wunschkandidaten vielleicht auch mal nachlesen möchte, was er im Bundestag so alles gesagt hat (wenn überhaupt ein Wort), sollte man gleich auch einen Blick in die Protokolle der Plenarsitzungen wagen.

Die SPD hat im Internt zumindest sprachlich die Nase vorn und treibt als virtueller Ortsverein der Genossen sein digitales Spiel. Dabei handelt es sich (leider) nicht um einen echten Ortsverein, sondern der VOV ist ein Arbeitskreis von Sozialdemokraten im Internet, der ausschließlich über dieses Medium kommuniziert. Immerhin, bei den anderen Parteien war so etwas nicht zu finden.

Sollte der ein oder andere nach dem Studium all dieser Links überhaupt keine Lust mehr haben, zu wählen, kann er sich mit Hilfe des Wahlkampfstrategiespiels motivieren, das die Landeszentrale für politische Bildung in Nordrhein-Westphalen anbietet. (ka)