Weltbaukasten

Application Service Providing war vor knapp zehn Jahren ein Flop. Anwendungen aus dem Netz zu starten, erwies sich vor allem mit Java als Qual. Jetzt ist alles anders, denn webbasierte Anwendungen wie Salesforce.com oder Flickr erlauben netzgestütztes Arbeiten und Zusammenarbeit dank schlanker Programme.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Ramon Wartala
Inhaltsverzeichnis

Gute Ideen setzen sich immer durch. Nur kann es ein Weilchen dauern, bis die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. So oder ähnlich muss man wohl über die vor Jahren geführte Debatte über Application Service Providing (ASP) und Suns Network Computer denken - vor allem im Zusammenhang mit dem Web 2.0. Schon 1997 war die Idee, Software im Internet zu mieten und über schnelle Datenleitungen im Webbrowser auszuführen, wahlweise als Java-Applet oder als Web-Applikation, in aller Munde und vor allen Dingen in allen Gazetten. Doch erst heute, fast zehn Jahre nach den Versprechungen von Corel, Oracle, Netscape und Co., scheint die Zeit reif zu sein für diese Art von Software. Allerdings in einem anderen Gewand.

Standen damals schwergewichtige und funktionsreiche Clients als Lösung für komplexe Aufgaben in den Startlöchern, so verblüffen und begeistern heute einfach zu bedienende und in ihrem Funktionsumfang leichtgewichtige Webapplikationen wie Google-Mail oder das Fotoarchiv Flickr die Surfer, indem sie ihre Funktionen aus einer Kombination von Server- und intelligenter Client-Kommunikation beziehen.

Selbst große Firmen setzen immer häufiger gemietete Web-Anwendungen ein. So mausert sich das web-basierte CRM-System Salesforce.com mit über 20 000 Kunden und 400 000 Abonnements zum heimlichen Star des längst totgeglaubten ASP-Business. Salesforce.com fing früh damit an, außer CRM-Basisfunktionen wie Kontakt- und Opportunity-Verwaltung eigene Anwendungen über eine frei zugängliche und wohl dokumentierte Programmierschnittstelle (API) zur Verfügung zu stellen. Anbindungen an unternehmenseigene Applikationen sind leicht umzusetzen, da auf die Einhaltung offener Standards wie Web Services über SOAP geachtet wurde. Durch diese Offenheit lassen sich nicht nur interne, sondern auch externe Dienste wie das Anzeigen von Kundenadressen über Google-Maps realisieren.

Nach Salesforce-Angaben kommen schon 40 % der gesamten Requests über diese API. Programmiersprachenspezifische Implementierungen in PHP, Java oder .Net stellt Salesforce.com auf einer eigens eingerichteten Community-Seite zum freien Download bereit (siehe den ersten Eintrag in den „Onlineressourcen“). In jüngster Zeit ist mit AppExchange ein eigener Marktplatz für unternehmensspezifische Lösungen für jedermann online gestellt. Will heißen: Jeder kann über dieses Tool seine eigenen Lösungen vermieten. Salesforce wickelt das Geschäft für einen geringen Obolus ab.

Einen ähnlichen Weg beschreitet die in Chicago ansässige Firma 37 Signals, die mit dem Rails-Erfinder David Heinemeier Hansson einen Star der Webapplikationsentwicklung hervorgebracht hat. Außer der Projektmanagement-Software Basecamp bietet 37 Signals mit Campfire (Business Chat), Backpack (Personal Information Manager), Writeboard (Textverarbeitung) und Ta-da List (To-do-Listen) gleich vier Applikationen im ASP-Modell an. Über 400 000 zahlende Nutzer will 37 Signals schon von seinen Applikationen überzeugt haben. Seit März diesen Jahres setzt das genannte Basecamp auf eine frei zugängliche Programmierschnittstelle, um Fremdsysteme einfach anbinden zu können.

Immer mehr Privatanwender nutzen ebenfalls Applikationen mit Web-2.0-Techniken. Entwickelte Google mit Google-Mail noch einen eigenen E-Mail-Client, der sich mit Ajax fast schon wie ein Fat-Client anfühlt, brachte der Kauf von Upstartle Anfang März die webbasierte Textverarbeitung Writeley in das Applikations-Portfolio der Kalifornier.

Da wundert es kaum, dass Microsoft seit Ende letzten Jahres mit Windows und Office Live den Weg zu internetbasierten Diensten ihrer Produktlinie freimachen möchte. Schaut man sich unter ideas.live.com die ersten Betas der neuen Webapplikation an, fällt die nahe Verwandtschaft in der Produktauswahl zu Konkurrenten wie Google deutlich ins Auge. Neben einem Äquivalent zu Googles personalisierter Homepage sind eine Web-Version des Messengers und ein E-Mail-Client verfügbar. Auch technisch will Microsoft die Hoheit über das Web zurückgewinnen. Atlas (Ajax-Framework für ASP.Net 2.0), „LINQ“ (Datenzugriff über SQL und Xquery) und Everywhere (Präsentation-Framework) heißen die Bemühungen der Redmonder.

Richten sich Abo-Angebote wie Basecamp, Flickrs Pro-Account oder Salesforce.com eher an professionelle Nutzer und Firmenkunden, sollen Onlinewerbung und Affiliate-Programme kostenlosen Diensten Geld einbringen. Dabei kann der gemeine Surfer gleich in zwei Rollen auftreten: Lädt er über eine Webseite grafische Werbebanner, kontextabhängige Adwords oder IntelliTXT-Links, spült er so genannte Ad-Impressions in die Kassen der Onlinevermarkter. Umgekehrt kann er auf eigenen Webseiten die Affiliate-Angebote von Amazon, Ebay, Google und Co. als Verdienstmöglichkeit nutzen.

Gerade wenn es darum geht, das eigene Ego, Gedanken oder Wissen zu präsentieren, haben mittlerweile Template-getriebene Weblog- oder Wiki-Systeme die althergebrachte HTML-Programmierung eigener Webseiten abgelöst. Sogar Nicht-HTML- und Hosting-Bewanderte kommen auf diese Weise in den Genuss eines professionellen Webauftritts. Für die großen Anbieter der Branche gibt es in zahlreichen Foren Tipps und Tricks, wie man fremde Dienste in seinen eigenen Auftritt einweben kann. Man findet kaum noch ein Weblog, das nicht mit Google-AdWords gespickt ist. Die Vernetzung verschiedenster Dienste hat Yahoo mit seinem seit Februar eröffneten Dienst 360° ebenfalls im Sinn. Ohne Programmierkenntnisse lässt sich ein eigenes Informations- und Selbstdarstellungs-Portal mit Blog- und Chat-Anwendung, Foto- und Bookmark-Tauschbörse einrichten. Letztere wurden durch den Kauf von Flickr und del.ico.us im letzten Jahr integrierbar.

So viel Social Networking geht nicht nur in Übersee. Gerade hat die Hamburger Firma Qype die gleichnamige Web-2.0-Software als Beta-Version ins Netz gestellt. Ziel ist es, möglichst viele subjektive Einschätzungen der (Qype-) Community-Mitglieder zu lokalen Örtlichkeiten zu bekommen. Das können Kritiken zum neuesten China-Restaurant aus Berlin-Kreuzberg genauso wie zu einem angesagten Frisiersalon aus Hamburg Ottensen sein (www.qype.com).

Mehr Infos

Den kompletten Artikel finden Sie in der aktuellen Print-Ausgabe. Außerdem einen Praxistipp zur Nutzung von Flickr-Fotos. (hb)