"Bring Back Buttons". Endlich will EuroNCAP Touchscreens kritisch bewerten

Höchste Zeit: EuroNCAP will Autos Bewertungssterne abziehen, wenn ihre Bedienung sich zu sehr auf den ablenkenden Berührungsbildschirm stützt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 389 Kommentare lesen
BMW i4 Cockpit

BMW i4 Cockpit

(Bild: Florian Pillau)

Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis

Nicht lange nach dem durchschlagenden Erfolg des Telefons mit Wisch-Tipp-Bedienung versprach uns DaimlerChrysler fröhlich-naiv, die kommende B-Klasse zu einem "Rollenden Smartphone" zu machen. Gut, sagten meine Kollegen und ich kopfschüttelnd, wenn etwas Rendite verspricht, verkaufen die sogar ihre Großmutter und legten die Pressemitteilung zur Seite. Darf doch nicht wahr sein. Dachte ich. Damals gab’s ja noch Telefonzellen.

Heute verkauft Tesla Autos, die abgesehen vom Lenkrad ohne physische Bedienelemente ausgeliefert werden und begründet das damit, dass sie ja autonom fahren könnten – wenn einem uneinsichtige Behörden das nicht immer wieder verbieten würden. Diese recht eigene Interpretation zu Ende gedacht sind also deren Beamte die eigentlich Schuldigen, wenn es zu Unfällen kommt. Denn wegen der verbotenen Autonomie müssen Fahrer Funktionen des Autos bedienen können, für die sie sekundenlang auf den Bildschirm starren oder mit der immerhin Fortschritte machenden Sprachsteuerung operieren müssen.

Tesla ist das extremste Beispiel. Mehr oder weniger setzen jedoch alle nennenswerten Hersteller auf eine Bedienung per Berührungsbildschirm, belassen es aber bei der gewohnten Bedienung von Grundfunktionen. Die Idee mit dem Touchscreen ist an sich nicht ganz verkehrt, wenn es darum geht, die Fülle weit abgelegener Funktionen zu bündeln, ohne unendliche Knopflandschaften zu erzeugen. Die schiere Menge dieser neuen Möglichkeiten ist zum Autofahren nicht nötig, sondern vielmehr größtenteils den Milliardenträumen des höheren Managements geschuldet: Mit der Computerisierung des Autos und seiner Vernetzung kann man Dienste verkaufen und Daten abgreifen - und selbstverständlich auch aus diesen ein Geschäft machen. Das kann man gut oder schlecht finden. Mit der Mode allzu vieler Grundfunktionen auf dem Touchscreen wird daraus aber eine unnötige Verkehrsgefährdung. Wie so oft geht es um das gesunde Maß.

Meinung zum Thema

Nationale Behörden hatten darauf wenig Einfluss. Denn die Globalisierung des Autoverkaufs erfordert möglichst weltweit einheitliche Standards und große Märkte wie die USA, neuerdings auch China stellen Rendite eher vor Sicherheit, als wir es in Europa gewohnt sind. Hier hat es also "der Markt geregelt". Mit der Folge einer Verschlechterung für den Konsumenten, schlimmstenfalls sogar für Unbeteiligte.

Doch nun reagiert EuroNCAP, eine unabhängige Verbraucherschutzinstitution. Auch ohne behördliche Befugnisse hat sie eine nicht zu unterschätzende Aufmerksamkeit der Branche, denn sie kann die Köpfe der Autoindustrie über die Macht der Konsumenten erreichen. Ganz ohne Vorschriften. Wie die Autoindustrie setzt sie einzig darauf, dass es "der Markt regeln" wird.

Gestern suchte EuroNCAP-Strategiechef Matthew Avery die Öffentlichkeit. Über das Frühstücksfernsehen der BBC und danach auch per Social Media brachte er – endlich – den Elefanten im Raum zur Sprache: "Bring Back Buttons" nannte er das Ziel seiner Institution und kündigte an, mit den Herstellern daran arbeiten zu wollen, den Autos ihre verloren gegangene Bediensicherheit zurückzugeben. Wobei "zusammenarbeiten" etwas euphemistisch ist: EuroNCAP will übernächstes Jahr neue Kriterien für die Fahrzeugsicherheit einführen, die ganz gezielt "HMI" (Human Machine Interface, zu Deutsch "Bedienung”) bewerten wird. Fehlte etwa der gewohnte Schalter für den Blinker, könnte dies zu einer Abwertung führen.

Das Bier ist kalt gestellt und das Popcorn liegt bereit. Nicht so sehr wegen der Autobranche – die wird höflich unauffällig zurückrudern. Schlimmstenfalls – und peinlich ist ihnen ja nur wenig, siehe das erwähnte "rollende Smartphone" – wird sie die längst überfälligen Änderungen als großartige Erfindungen verkaufen. Und seien es einfache Schalter. Der Fall Tesla hingegen könnte unterhaltsam werden. Elon Musk wird sich ja wohl nicht lumpen lassen?

(fpi)