Flugausfälle durch gekapptes Glasfaserkabel: Der Fehler liegt bei der Lufthansa

Ein Bagger legt im Alleingang die Lufthansa lahm. Das ist keine Schuld des Baggerführers, sondern ein peinlicher Resilience-GAU, kommentiert Susanne Nolte.

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Glasfaser
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Von
  • Susanne Nolte

Zum Schmunzeln war es schon: Ein vermeintlich unachtsamer Baggerführer durchtrennt mit seinem Bohrer vier Glasfaserkabel und wieder einmal bricht an deutschen Flughäfen – allen voran am Flughafen Frankfurt – das Chaos aus. Und wer ist schuld? Selbstredend der Baggerführer. Doch halt. Erstens: Wieso trifft er das Kabel überhaupt? Und zweitens: Wieso hat das derartige Auswirkungen?

Ein Kommentar von Susanne Nolte

Susanne Nolte beschäftigt sich mit Servern, Rechenzentren, Storage und Green-IT.

Denn üblicherweise baggern Baggerführer nicht so einfach in der Erde herum, frei nach dem Motto: "Wer baggert so spät im Baggerloch, es ist der Baggerführer, der baggert noch." Für solche Arbeiten werden Aufträge erteilt, in deren Rahmen nicht nur die Verantwortlichkeiten und Haftungsfragen geklärt werden, sondern auch, welche Informationen der beauftragten Firma zur Verfügung gestellt werden müssen. Dazu gehören auch die Pläne der unterirdischen Leitungen. Wo der Auftraggeber, in diesem Fall die Bahn AG, die Pläne der von der Telekom verlegten Glasfaserleitungen herbekommt, ist nicht Sache der Baufirma – und erst recht nicht die des Baggerführers. Der baggert also nach Plan, und zwar genau nach dem, der seinem Vorgesetzten vorliegt.

Und doch ist dieser Kabelschaden kein Einzelfall. Ein paar Beispiele gefällig? Erst wenige Tage zuvor hatte ein Bagger in Düsseldorf mehrere Glasfaserkabel durchtrennt. 15.000 DSL-Anschlüsse der Telekom, zehn Mobilfunkstationen in der Düsseldorfer Innenstadt und zahlreiche Online-Dienste der nordrhein-westfälischen Landesregierung waren offline. Im April 2021 hatte es bereits einen ähnlichen Vorfall in NRW gegeben. Einige Jahre zuvor hatte ein Bagger die Internetleitung der Führerschein- und Kfz-Stelle in Hannover durchtrennt. Die aber konnte sich vorübergehend durch den Rückgriff auf Papier und analoge Vorgänge behelfen. Manchmal ist es doch von Vorteil, dass die Digitalisierung deutsche Behörden noch nicht wirklich durchdrungen hat – könnte man meinen.

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Was also löst das Schmunzeln aus? Dass Baggerführer beim Baggern nicht mehr nur auf Blindgänger, Findlinge und archäologische Funde treffen, sondern immer häufiger und völlig unverhofft auf kürzlich und absichtlich vergrabene Kommunikationsleitungen? Oder dass es mal wieder den Flugverkehr getroffen hat?

Dass Störungen im Flug- und Bahnverkehr so prominent in den Nachrichten erscheinen, hat seinen Grund. Beide gehören zur essenziellen Verkehrsinfrastruktur. Deshalb gelten auch die Reservierungssysteme der Airlines längst als "Mission Critical"-Anwendungen. Wie der Name andeutet, hängt von diesen Anwendungen das Überleben von Unternehmen, die Aufrechterhaltung von Infrastruktur-, Ordnungs- und Notfallsystemen, etwa der Stromversorgung oder von Polizei- und Feuerwehreinsätzen ab. Deshalb stellen sie die höchsten Anforderungen an die IT-Sicherheit und die Verfügbarkeit.

Was aber die in der IT gern benutzten Worte "Reliability", "Availability" – oder neuer: "Resilience" – bedeuten, scheint in Deutschland noch nicht so ganz angekommen zu sein. Denn Anwendungen, deren Komponenten sich von Benutzerterminals über Kabel, Switches, Router, noch mehr Kabel hin zu Serverfarmen, Storage- und Backupsystemen in Kilometern entfernten Rechenzentren ziehen, lassen sich an jedem dieser Komponenten aushebeln oder außer Betrieb setzen. Genau deshalb müssen sämtliche Komponenten redundant ausgelegt sein und damit nicht nur die Glasfaserkabel innerhalb eines Rohres, sondern die Pfade selbst, die zwischen den hoffentlich redundant ausgelegten Rechenzentren und den mehrfach vorhandenen Anwenderinterfaces vor Ort liegen. Diese Regel gilt übrigens für alle kritischen Systeme.

Ob in diesem Fall nur ein Pfad zu einem Rechenzentrum führte oder gar zwei RZs an ein und denselben Pfad angeschlossen waren und ob Kostengründe oder andere Planungsfehler die Ursache waren, weiß nur die Lufthansa. Sicher ist nur, dass die Verantwortung dafür bei den Verantwortlichen der "Mission Critical"-Anwendung und bei den für die Resilienz der kritischen Infrastruktur zuständigen Behörden liegt und ganz sicher nicht bei dem Baggerführer.

(sun)