Kommentar: Nein, die IT ist kein Wellnessparadies​

Laut aktueller Zahlen hat die IT den geringsten Krankenstand aller Berufsgruppen. Axel Kannenberg schätzt: Dahinter lauern doch verborgene Probleme.

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Ein frierender Bartträger sitzt mit einer Tasse Heißgetränk, eingehüllt in türkise Strickware

(Bild: Estrada Anton/Shutterstock.com)

Lesezeit: 3 Min.

Geht es in der IT gesünder als in anderen Berufen zu? Auswertungen der Krankenkasse DAK Gesundheit scheinen das nahezulegen. Denen zufolge findet sich bei den ITlern in den vergangenen drei Jahren der geringste Krankenstand aller Berufsgruppen. Mit 3,7 Prozent lag man etwa 2023 deutlich unter dem Bundesschnitt von 5,5 Prozent. Mich hat das erstaunt. Denn den Geschichten nach, die ich vernehme, leiden IT-Jobs nicht selten unter Fachkräftemangel – mit massiver Arbeitsverdichtung, Meeting-Bloat, turboschnellen Technologiezyklen, unterbesetzten Teams und Deadlines bis vorgestern Nachmittag. Haben wir alle schon mal gehört, oder?

Ein Kommentar von Axel Kannenberg

Axel Kannenberg durchforstet seit 2012 für heise online die unendlichen Weiten des Internets nach News, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Beherrscht die edle Kunst des Beleidigungsfechtens. Hat 2013 einen Döner für umgerechnet mehrere Tausend Euro genossen (nach heutigem Bitcoinkurs).

Ein Faktor ist vielleicht, dass die eingetrübte Konjunktur und der daraus folgende Kostendruck erst so langsam in voller Knüppeldicke bei den Informatikern ankommen. Nach Streichkonzerten der US-Techriesen scheint es jetzt auch bei den deutschen Vorzeigeunternehmen loszugehen. SAP etwa legt seinen Beschäftigten langsam die Daumenschrauben an und will 8000 Stellen loswerden. Volkswagens Softwaretochter Cariad muss 20 Prozent der Entwicklungskosten einsparen. Und auch Bosch tut was gegen Fachkräftemangel und feuert 1200 Leute, darunter zahlreiche Entwickler.

Oder liegt das an dem klassischen Männerjob, wo Mann lieber schweigend vorm Monitor leidet, statt sich die ärztliche Hilfe zu holen? Der hohe Homeoffice-Anteil in der Branche könnte das ja sogar fördern. Daheim zu arbeiten hat ja nicht nur den Vorteil, direkte Kontakte im Büro oder bei der Anfahrt mit Öffis zu vermeiden, was Infektionsrisiken verringert. Es verleitet auch dazu, sich angekränkelt vor den Rechner zu schleppen und doch zu arbeiten, statt sich mit Krankschreibung anständig auszukurieren.

Natürlich fehlt der Aspekt harter körperlicher Arbeit, der schneller zu Muskel- und Skeletterkrankungen führt und den inzwischen fast sprichwörtlichen Dachdecker teilweise schon mit 50 aus der Erwerbsarbeit kickt. Auch mit der hohen emotionalen Belastung wie in Pflege- und Erziehungsberufen, den Spitzenreitern beim Krankenstand, kann die IT wohl noch nicht mithalten.

Ein nicht mehr ganz taufrischer Stressreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zeigt aber, wo den ITler der Cyberschuh drückt: hoher Termin- und Leistungsdruck, immer verschiedene Bälle gleichzeitig in der Luft sowie eine höhere Zahl von Umstrukturierungen als in anderen Jobs. Und erfahrungsgemäß lädt sich sowas auch gerne Freunde ins Haus – mit dem kaum erfassten Stress, Entgrenzung der Arbeitszeit, zu vielen Überstunden, Schlafmangel, Angststörungen, Depressionen, psychosomatische Beschwerden, Burnout.

Nein, es ist kein Spaziergang im Regenbogenzauberland, in der IT zu arbeiten. Niedriger Krankenstand heißt nicht, dass unter der Oberfläche keine Gesundheitsprobleme lauern. Man muss es wohl so sehen: Anderswo – Stichwort Altenpflege – ist es eben einfach noch schlimmer. Nicht die schlimmste Lage am Markt zu haben, reicht das schon für Freudentänze?

(axk)