Kommentar: SAPs erneute Kehrtwende

Auf der SAPPHIRE trat das neue Managementteam der SAP mit Bill McDermott an der Spitze erstmals gemeinsam öffentlich auf. Es wurde sichtbar, wie es beim größten deutschen Softwareunternehmen weitergehen soll.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 73 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Harald Weiss

Ob das neue Mottto der SAP von Erfolg gekrönt ist, wird sich weisen. Womöglich weiß man schon in einem Jahr mehr.

Anderthalb Stunden dauerte die Eröffnungsrede des SAP-Chef, Bill McDermott, und gefühlte 80 Minuten davon sprach er über Banales. Genauer gesagt, über die Notwendigkeit, dass alles einfacher werden müsse: Call Center, Autos, Geschäftsprozesse, Computer und vor allem Software. Damit hat er Recht. Vor allem SAPs Software hat den Ruf, dass sie zu schwierig zu bedienen sei und die vielen Einstellungen der Parameter nur von Fachleuten – also teuren Beratern – vorgenommen werden können. McDermott gelobte hier Besserung.

Ein Kommentar von Harald Weiss

Harald Weiss ist seit über zehn Jahren freier Fachjournalist in New York und berichtet regelmäßig von vielen bedeutenden IT-Events in den USA. Er begann seine Berufslaufbahn als Softwareentwickler und System-Ingenieur, bevor er über die Stationen Marketing und PR zur schreibenden Zunft kam.

Über die Produkte und deren Weiterentwicklung sprach er in Orlando dagegen kaum, nur dass Fiori jetzt nicht mehr extra berechnet wird und dass SAP seine Zukunft in der Wolke sieht – natürlich in der HANA-Cloud. Dabei wären ein paar Informationen über etwa die Weiterentwicklung bei der mobilen Nutzung der SAP-Software bestimmt auf großes Interesse gestoßen.

Insgesamt erinnerte McDermotts Keynote an die Rede von Leo Apotheker im Mai 2009. Auch damals wurde nicht mehr über den technologischen Anspruch von SAP gesprochen, sondern nur noch über Marketing und Vertrieb. Damals hieß es, dass die Umstellung der Suite auf eine SOA-Architektur erfolgreich abgeschlossen wäre. Jetzt hieß es, dass HANA ein erprobtes und bereits vielfach eingesetztes System sei. In beiden Fällen war das dann die Überleitung auf die weiteren Vermarktungspläne.

Die zweite Keynote von Aufsichtsratschef und SAP-Mitgründer Hasso Plattner war ähnlich enttäuschend. In einem ermüdend langen Dialog mit Harvard-Professor Clayton Christensen philosophierten die beiden über die Frage, ob HANA disruptiv sei oder ob SAPs Zusage für den Erhalt der bestehenden Lösungen ein neuer Weg für die Einführung technologischer Umwälzungen darstelle.

Plattner hätte mit seinem Gesprächspartner besser bei gedämpften Licht auf einer plüschigen Couch mit einem Glas Rotwein diskutiert, als Tausende SAP-Kunden und -Partnern zu langweilen.

Ansonsten ging es Plattner in seiner Rede auch nur um einen Sales-Pitch für HANA. Der ist auch dringend nötig, denn eine neu strukturierte Hardware, die sich nicht in das vertraute x86-Server-Schema einfügt, ist schwer zu verkaufen. Vor allem dann, wenn man die vorhandenen Standard-Server mit extrem schnellen Flash-Karten aufrüsten kann, was nahezu an die Leistung von HANA heranreicht. Sicher, alle für HANA neu geschriebenen Programme, die dessen Features voll ausnutzen, sind in der Performance nicht zu übertreffen. Doch der Aufwand für die Umstellung von Individual-Programmen ist hoch, und der Nutzen rechnet sich für die meisten kleinen und mittelständischen SAP-Kunden kaum. Und selbst die großen scheuen weitgehend das Umstellungsrisiko und fokussieren sich bei der HANA-Nutzung vorwiegend auf neue Applikationen.

Für alle anderen lässt sich HANA nur in der Cloud sinnvoll nutzen, was SAP für kleine und mittelgroße Unternehmen auch favorisiert. Einziges Problem dabei ist, dass bei einem Wechsel von der In-Haus-Installation auf die Cloud die Karten neu gemischt werden. So muss der neue Cloud-Provider nicht unbedingt SAP heißen, der Zuschlag kann auch an Salesforce, Workday, NetSuite oder sogar an den alten Weggefährten IBM gehen, der inzwischen ein SaaS-Business-Angebot mit über 100 Anwendungen im Portfolio hat. Im Vergleich zu diesen Anbietern muss SAP eine Reihe an Nachteilen eliminieren.

Ein Punkt ist das Cloud-Know-how-Defizit der eigenen Mitarbeiter. Das will man durch Personalumschichtung lösen. Rund 2000 Beschäftige im On-Premise-Bereich sollen gehen, die durch mehr Cloud-erfahrene neue Mitarbeiter ersetzt werden sollen. Das aber schafft zunächst Unruhe, und es dauert einige Zeit bis die neuen produktiv einsetzbar sind.

Ein weiterer kritischer Punkt ist der Vertrieb. Zwar wurde das Provisionssystem der Verkäufer umgestellt, sodass auch der Verkauf von Cloud-Lizenzen ausreichend honoriert wird, trotzdem ist es für einen SAP-Verkäufer immer noch am lukrativsten, wenn er eine große In-House-Installation abschließen kann. Hinzu kommt, dass der bestehende Vertrieb auf den CIO ausgerichtet ist und nicht auf die Fachabteilungen. Hier sind gerade Salesforce, NetSuite und die anderen herkömmlichen SaaS-Anbieter besonders erfolgreich.

SAP hat auf der SAPPHIRE gezeigt, dass man willens ist, die immensen Probleme anzugehen. Ob aber auch die Zeit, das Geld und die dafür notwendigen Ressourcen in ausreichendem Umfang verfügbar sind, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall werden in den kommenden zwei bis drei Jahren noch viele schmerzvolle Entscheidungen zu treffen sein. (ane)