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Was war. Was wird

Sieg! Sieg! Allenthalben jubelt es, bei Bundespräsidenten, Werksfußballern, Großkoalitionären und Vereinsmeiern. Hal Faber zieht lieber erschreckt den Kopf ein.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Der Bundeshorst ist wieder Präsident aller Deutschen und die Werksmannschaft von VW ist Meister aller deutschen Fußballer – ach, was für ein historischer Tag, als in Deutschland wieder einmal in eins fällt, was zusammenpasst. "Es muss sich alles ändern, damit es bleibt, wie es ist", meint der garibaldisch aufständische Tancredi in Lampedusas "Gattopardo" (den meisten wohl noch unter dem Titel "Der Leopard" bekannt). Gilt auch das Umgekehrte, dann stehen uns ja einschneidende Änderungen bevor, da ja alles so bleibt, wie es ist. Dass nichts so bleibt, wie es ist, weil man ja bekanntlich nicht weiß, ob's besser wird, wenn's anders wird, aber es anders werden muss, wenn's besser werden soll, dafür steht weder Horst Köhler noch der vom großen VW-Geld gepuschte Wolfsburger Fußballclub. Ach, vergessen wir das alles erst einmal, widmen wir uns anderen Dingen.

*** "If anyone should ever write my life story, for whatever reason there might be", sang Gladys Knight mit den Pips, um dann inmitten aller Höhen und Tiefen kategorisch festzustellen "you are the best thing that ever happened to me". Es war das ultimative Kompliment der Prinzessin des Souls an ihr Publikum und wird heute der Dank an meine Leserschaft sein: Dies ist die 499. Wochenschau aus der norddeutschen Tiefebene, seit der Spaß begann. Nummer 500 werden gute Freunde bestreiten, die mir immer mal wieder geholfen haben "Life's Ups and Downs" zu meistern. Das rote tanzende WWWW (nur einmal war es leicht verändert, als Werder Bremen Deutscher Meister wurde) erscheint nunmehr seit 2000 in dem kleinen Verlag in der norddeutschen Tiefebene, komplett mit einigen Jahresend-Rückschauen eine lustige Strecke voller Höhen und Tiefen. Je nach Perspektive ist 500 ein rundes oder willkürlich gewähltes Jubiläum, eines, das besser mit der Ausgabe 512 begangen wäre. Aber Zahlen sind relativ, wie Wochenschauen. Vor dem WWWW erschien diese Form des Nachmurmelns über die IT in einer Wochenzeitung gedruckt, insgesamt 279 mal, bis sie eingestellt und durch eine ebenfalls gedruckte Online-Wochenschau ersetzt wurde. Die brachte es auf 79 Rückblicke, ehe dank eines netten Angebotes des zuständigen heise-Redakteurs daraus das WWWW werden konnte. 857 ist auch sehr rund.

*** Ach ja, die Life Story: Als ich mit dem Journalismus begann, waren Steno- und Schreibmaschinenkenntnisse ein Grundfach. Schnell und ohlerfrei ohne Rücktaste zu schreiben, war ein absolutes Muss, denn jeder Text wurde auf Matrize geschrieben, damit ein Dutzend Kopien gezogen werden konnten. Richtig diktieren musste auch gelernt werden: Von unterwegs aus telefonierte man eine Nummer an, eine Phonotypisten antwortete und tippte den Text, natürlich fehlerfrei. Welche Schreibmaschine benutzt wurde, welcher Stift Kürzel krakelte, war vollkommen egal. Dass mit der IT alles besser geworden sein soll, glauben nur besonders beschränkte Geister. Wenn man liest, dass US-amerikanische Journalismus-Schulen iPhones und iPods und zukünftig womöglich Tablets von ihren Studenten verlangen, weil sonst kein Qualitätsjournalismus möglich sein soll, kann man nur den Kopf schütteln. Nichts gegen die Gehi^H^H^H^H Ohrwäscher von Apple, aber bei welcher pulitzerpreisträchtigen Geschichte der letzten 10 Jahre steht der Disclaimer, dass die Story auf einem Mac, einem PC oder meinetwegen einem Atex-System entstand? Der Zwang zum iPhone ist mindestens so verblödend wie die Hyperventilation über Twitter.

*** Das beste, was mir in all den Jahren passieren konnte, liest gerade das WWWW. Der mündige Leser, egal ob er sich per RSS eine eigene Zeitung zusammenstellt, als treuer Heisemolch den Ticker abarbeitet, bis der Heisig in der Zwangsjacke brüllt, dieser aktive Leser ist eine Entwicklung, ohne die es das WWWW in der heutigen Form nicht geben würde. Früher war jeder Leserbrief zu einem gedruckten Artikel eine Sensation, jedenfalls dann, wenn er nicht von den Dauerleserbriefschreibern kam. Heute heißen sie Forumstrolle, heute steht nicht nur Erster! und Allerallerletzter! unter der Wochenschau, sondern es gibt neben Anregungen und Lob natürlich die Forderung, dass das WWWW abgeschaltet werden soll, gähnend langweilig ist, viel zu kompliziert und verschroben – und daneben manche Diskussion ... Von WWWW-Lesern stammen die Anregungen zum jährlichen Sommerrätsel und die ultimative Hitliste von Songs und natürlich von der Computersongs.

*** Dann wären da noch die Tipps, mit denen Heise-Leser diesen kleinen Newsticker und die anhängige Wochenschau versorgen. Man kann nur dem unbekannten Admin des zentralen Mailgateways danken, der Details über die neue Datenpanne bei der HSH Nordbank schickte. So stellt sich heraus, dass das Gateway je nach Empfänger mit PGP oder X.509 verschlüsseln kann, die überlastete Bafin und die Verantwortlichen des deutschen Bankenrettungsprogrammes jedoch die Verschlüsselung ablehnen. Das krasse Gegenteil ist die ehemalige kleine Exceldatei, die nach einem völlig verqueren Forderungskatalog "interessierter Verbände" wie dem IVD verschlüsselt werden soll, damit sie geheim bleiben kann. Gleichzeitig wollen sie die Liste einsehen und kontrollieren, damit nicht etwa die Lieblingsmesse des IVD, die Erotica, auf die Sperrliste gerät. Der Jugendschutz im Internet gehört eben in die Hand von Fachleuten, wie das Seminarprogramm beweist.

*** Ich schweife ab. Wer heute über die Zukunft des Journalismus schwadroniert, unterschlägt gerne, dass die berühmte Leserbindung erst mit der allmählich sich entwickelnden Vernetzung und dem Einzug von Kommentarforen eine wirkliche Bindung erzeugt, die Leser wie Schreiber bindet. Feedback im großen Stil ist eine zähe Errungenschaft, die seit den Zeiten der Newsgroups, der BBS oder auch der Compuserve-Foren (mit auskunftsfreudigen Spiegel-Redakteuren) ständig erweitert wurde – als Admin in den heise-Foren hat man es auch nicht leichter oder schwerer denn als Sysop in den Compuserve-Foren selig. Als ich anfing, steckte die Bindung von Lesern und Schreiben in den Kinderschuhen: Meine ersten Erfahrungen waren IBM-Lochkarten, mit denen Hörer jede Ausgabe der Wortbeiträge in der Jugendsendung Radiothek im Westdeutschen Rundfunk bewerten sollten. Die Karten wurden von den Jusos gesammelt, die Rechenzeit in einer parteinahen Rechenzentrale gekauft hatten, damit der Vorwurf des Rotfunks entkräftet werden konnte, mit dem in der ganzen bundesdeutschen Republik gegen diese Sendung und andere fortschrittliche Formate gehetzt wurde.

*** Journalisten sind nicht mehr Randfiguren der papierverarbeitenden Industrie, wie Enzensberger einmal formulierte, fein so. Aber die schöne neue Welt des Journalismus ist heute voller Regeln. Es gibt welche für Twitter, die verblüffend den Regeln des Bundeskriminalamts (BKA) ähneln, wie sich deutsche Fahnder in Chat-Foren zu benehmen haben. Umgekehrt sind für Facebook Benimmregeln aufgetaucht, die das BKA übernehmen könnte. Zu den wichtigsten Regeln, die sich bewährt haben, gehört das Verlinken von Informationen. Die ersten Ausgaben des WWWW waren linkarm, doch dann füllten sich die Texte mit Verweisen. Juristische Streitigkeiten blieben nicht aus, doch nur ein einziger Link in die Privatsphäre eines Unwalts musste nach einer Niederlage entfernt werden.

*** Fast gleichzeitig mit dem ersten WWWW tauchten die Blogs im Internet auf, bis heute freundliche Begleiter dieser Wochenschau. Eine begrüßenswerte Sache, wie ich in einem Blog-Buch schrieb, als die Blogs Mainstream wurden. Viele inspirierende Quellen dieser Wochenschau sind wieder versickert, einige im juristischen Sperrfeuer umgekommen; manch intelligentes Wesen hat sich auch schaudernd vor den Abgründen geflüchtet, die auch ein Internet-Mob so manches Mal zu graben versteht – aber kein Grund, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Stellvertretend für die Opfer möchte ich Bluephod.net zitieren, stellvertretend für die subtilen Sperren natürlich Fefe. Heute feiert Bob Dylan seinen 68. Geburtstag. Der Mann ist natürlich umstritten, doch sein nicht gesungener Satz mag auch für das WWWW gelten: "A person is a success if they get up in the morning and gets to bed at night and in between does what he wants to do."

Was wird.

Nach den Bundesfeierlichkeiten für Staat und Präsident und Fußballer stehen in der nächsten Woche wieder die Bundeslächerlichkeiten zur Debatte. In einer Bundestagsanhörung vor dem Wirtschaftsausschuss werden Sachverständige öffentlich über Sinn und Zweck der Sperrliste gegen Kinderpornografie Stellung nehmen, die für Provider mit mehr als 10.000 Kunden Pflicht werden soll. Staatliche Einrichtungen sind ausgenommen. Wie es weitergeht, nicht nur mit dem WWWW, fasst diese Weisheit eines Netzindianers zusammen:

Erst wenn der letzte politische Blog zensiert,
die letzte investigative Zeitung geschlossen
und der letzte Journalist eingesperrt ist,
werdet ihr herausfinden, dass DNS-Sperren
nichts mit Kinderpronographie zu tun haben.

Aber vielleicht haben ja auch die Fehlfarben schon vor Jahren unser aller Abgesang zum Besten gegeben. (Hal Faber) / (jk)