4W

Was war. Was wird. Vom digitalen Prekariat, weißen Spionen und schwarzen Schafen

"Heraus zum Kampftag der Arbeiterklasse!" gellte es nur halblaut durch die Straßen. Das digitale Prekariat wundert sich über seine schwarzen Schafe. Deren in der Wolle weißen Brüder und Schwestern erfahren ihre ganz eigene Reinwaschung, bemerkt Hal Faber.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 57 Kommentare lesen
Schafe
Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Tja, das war der 1. Mai, ein kühler Kampftag der Gewerkschaften und der Autonomen. Halt, halt, nicht so wuschig. Die richtige soziologische Definition sollte schon in ihrer ganzen systemischen Schönheit zitiert werden, auch wenn der Titel "Soziologie des Steineschmeißens" absolut daneben gebäckert ist:

"Wir feiern an diesem Tag jene Arbeit, die unter Anleitung durch das Kapital, das schließlich selbst ein Ergebnis von Arbeit ist, soviel Mehrwert heckt, dass sich aus ihr ein Wohlfahrtsstaat finanzieren lässt, der als Sicherheitsnetz für alle jene Arbeitskraft dient, für die das Kapital keine Verwendung hat. Die Menschen wiederum nutzen diesen Tag für all das, was ihnen die Arbeit verweigert, an erster Stelle Freizeit – und zwar jene Freizeit, die sie nur haben, weil und solange sie auch Arbeit haben."

*** Die revolutionäre Mai-Demo schaffte in Berlin die Wanderstrecke in Rekordzeit und feierte das hinterher ausgiebig. Man blieb unter zwei Stunden und war in der frischen Luft so schnell, dass die angekündigte Hausbesetzung erst stattfand, als das Gros der Demonstranten vorbeigeilt war. Auch die DGB-Demo schlug gegen die Kälte ein hohes Tempo, demonstrierte lautstark für "Work in Germany" und wetterte über das digitale Prekariat und die bösen, bösen Internetfirmen. Bei der großen Abschlusskundgebung wurde dann aber von den Krauts feierlich unter Beifall der deutschen Arbeiterbewegung eine Website enthüllt mit dem schönen Namen Fair Crowd Work Watch, hoch gelobt vom zuständigen Verein, dem Deutschen Crowdsourcing-Verband. Das derzeit der frisch gebackene Big-Brother-Preisträger Elance-ODesk die Bewertung anführt, muss mit der Diktatur des Prekariats zu tun haben, in der die Crowd-Genossen alles optimieren.

*** Enthüllt wurde am Rande der DGB-Demo eine seltsame Skulptur, die mit der Unterstützung einer Crowdfunding-Kampagne erschaffen wurde. Im Geiste des Speaker's Corner im Londoner Hyde Park stehen die Whistleblower Edward Snowden und Bradley Manning auf Stühlen, in ihrer Mitte Julian Assange. Dass die zierliche Chelsea Manning als Mann abgebildet ist, könnte als grausamer Witz der Geschichte gedeutet werden, ebenso wie die Tatsache, dass Manning inzwischen Guardian-Autorin ist, also für ein Blatt schreibt, das Julian Assange vehement kritisiert. Einen institutionellen Narzissmus sieht er bei dem Blatt der Linken am Werk und, schlimmer noch, das Ausmelken vom dritten Stuhlsteher Edward Snowden sei ein Verbrechen erster Ordnung. Zum 1. Mai ließ Assange auch das über Tor erreichbare neue Leaks-Abwurf-System freischalten, nicht ohne zu erklären, dass 99% der Snowden-Enthüllungen von der "Mainstream-Presse" zensiert worden sind. Schaut man auf den Snowden-Zähler von Cryptome, so ist Intercept mit den Glenn Greenwald-Artikeln die wichtigste Quelle der Enthüllungen, aus der wiederum die Mainstream-Presse zitiert. Aber mit der neuen Einreichungs-Plattform von Wikileaks wird alles wieder gut – und alles öffentlich.

*** Heute ist der Tag der Pressefreiheit und bei all dem Whistleblowing mal ein guter Anlass, sich mit der Presse als Berufsgeheimnisträger nach Satz 1 Nummer 5 des Paragraphen 53 der Strafprozessordnung zu befassen. Die Presse hat ein Zeugnisverweigerungsrecht zu den Veröffentlichungen selbst erarbeiteter Inhalte, sofern es nicht um die Aufklärung eines Verbrechens geht oder der demokratische Rechtsstaat in seiner ganzen Herrlichkeit gefährdet ist. Erinnert sei an das famose Diskettenbild bei der neuen Vorratsdatenspeicherung, das "kein Abruf der Verkehrsdaten von Berufsgeheimnisträgern" verspricht. Diese Verkehrsdaten werden zwar gespeichert, aber züchtig umgangen, wenn sich herausstellt, dass ein Telefonanschluss oder eine IP-Adresse zu einem Journalisten führt und dieser gerade recherchierte. Als Ableitung aus der Meinungsfreiheit gibt es im Presserecht die Konsequenz, dass sich jeder Journalist nennen darf. Mit Spannung wird darum beim Gesetzesentwurf der neuen Vorratsdatenspeicherung erwartet, wie er mit der fünften Gewalt, die inzwischen auch recherchiert und sich herausmendelt aus den blubberbloggernden Zuständen, gar zivilisiert 2.0 einherkommen will mit der Frage:

"Wie kann sich die fünfte Gewalt – ohne institutionelle Anbindung – gleichsam selbst zivilisieren? Auf welche Weise verhindert man, dass ideologische Parallelrealitäten entstehen, die einer offenen Gesellschaft gefährlich werden können? Und wie bleibt, in einer Zeit radikal individualisierter Nischenöffentlichkeiten, die Agenda der Allgemeinheit als Fixpunkt öffentlicher Debatten gewahrt?"

*** Das Wort der Woche ist zweifellos "Industriespionage" gewesen, benutzt von zwei Persönlichkeiten ganz unterschiedlicher Art. Zunächst beruhigte uns der Cyberwar-Spezialist und NATO-Berater Sandro Gayken in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:
"Die Spionage der Vereinigten Staaten in unserer Wirtschaft ist gerechtfertigt, in unserem Interesse und keine Industriespionage."
Ei der Daus, da sind wir aber erleichtert. Was alles immer da an Selektoren und Zielvorgaben von der NSA zum BND geschickt wurde, war nur zu unserem Besten. Niemand will da die Wirtschaft ausspioneren mit Selektoren wie "EADS", sondern nur ein bisschen nachgucken, ob da nicht etwa Waffen verschoben werden. Und beim BND, da sind allesamt wunderbare Menschen im Dienst:
"Der BND hat sich – als sicherheitspolitische und nicht als industriepolitische Institution – korrekt verhalten und keinen Verrat begangen. Im Gegenteil. Er hat reagiert. Er war diplomatisch mit dem transatlantischen Partner. Er hat die Politik informiert."
Ich könnte weinen vor Glück. Gebt mir die Hand von einem dieser BND-Mitarbeiter, die ich küssen darf, mit der Bitte um Vergebung. Hinfort, hinweg mit all den Unterstellungen, dass hier ein unzureichend kontrollierter Babel-Dienst Schaden am deutschen Volk erzeugt hat. Keine hysterischen Ausfälle der Ritter wider die Überwachung mehr, die an deutsche Tradtionen anknüpfen, die man nach Meinung der FAZ-Nischenöffentlichkeit tunlichst vermeiden sollte.

*** Andererseits gibt es sehr wohl Industriespionage, die aus den USA kommt. Das wissen wir von dem einen, der die Wahtheit (tm) mutig ausspricht, und das klingt so:
"Die Verlage stellen Google ihr Wissen zur Verfügung. Da findet ein 'Brain Drain' in Richtung Google statt, den man auch transparente Industriespionage nennen könnte"
Transparente Industriespionage! Hirnauslutscherei! Von Lord Vollderlarry, dem Urbösen. Vergesst die NSA und druff auf den großen Google-Sack, wo es bekanntlich niemals den Falschen treffen kann, trotz dieser News-Initiative. Das befindet Christopher Lauer, im Axel Springer-Verlag für strategische Innovationen wie das Leistungsschutzrecht zuständig und derzeit trotz erklärtem Piraten-Parteiaustritt weiterhin aktiver Abgeordneter im Berliner Abgeordnetenhaus. Längst sind die Tweets gelöscht, in denen er seine Follower aufforderte, die Petition gegen das Leistungsschutzrecht zu unterzeichnen. Ja, wenn das Piratenschiff kieloben treibt, ist es Zeit für die Piratinsolvenz und ein Tänzchen der Ratten.

*** Wie einfach war es doch früher mit der Industriespionage und den Selektoren. Da taten sich die Typen aus der NSA mit ihren Kollegen vom israelischen Geheimdienst Mossad zusammen und beklauten die Firma Inslaw. Die hatte mit öffentlichen Geldern ein Programm zur juristischen Fallbearbeitung namens Promis entwickelt, das erstmals mit Big Data ernst machte und unterschiedlichste Informationen verknüpfte. Heute gilt Inslaw als der erste Vorläufer von Prism, dem erstmals von Snowden veröffentlichten NSA-Programm. Israel und die USA erweiterten die illegal übernommene Software mit einer Backdoor-Funktion und verscherbelten sie an befreundete Dienste, in Deutschland an den BND und das Zollkriminalamt. Das alles ist im Buch über die Datenmafia zu lesen, mit dem hübschen Untertitel "Geheimdienste, Computerspionage und neue Informationskartelle." Es mag leicht veraltet sein, wenn statt Backdoor vom Softwareloch die Rede ist und ein Suchsystem beschrieben wird, das "Überschriften in der Computerwelt der Gopher" erfasst, doch lässt es keinen Zweifel daran, dass von der NSA in den 80ern bis Mitte der 90er Industriespionage betrieben wurde.

Was wird.

Vor 70 Jahren wurde Deutschland befreit. Aus gegebenem Anlass hat Bundeskanzlerin Merkel, die in der BND-Geschichte unbewundernswert schweigsam ist, in ihrem Podcast vorab die geflügelten Worte gesprochen, bevor sie am 10. Mai nach Russland fliegt: "Ich sage erst mal, dass es keinen Schlussstrich unter Geschichte gibt." Wo andere den Schlussstrich unter einer Geschichte ziehen und die Gewinne und Verluste bilanzieren oder gar das Bruttoinlandsprodukt als Kriegswaffe berechnen, wird es bei Merkel sehr unspezifisch. Unter Geschichte gibt es keinen Schlussstrich, denn Geschichte wird gemacht, keine Atempause, es geht voran. Berge explodieren, mit Maus und Mann! (jk)