Britisches Gericht: Assange darf gegen Auslieferung an die USA Berufung einlegen

Der Londoner High Court hat entschieden, dass Julian Assange zunächst weiter nicht an die USA ausgeliefert wird. Dem Wikileaks-Gründer droht dort lange Haft.

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Assange-Demo

In einem Livestream dokumentierte Wikileaks Kundgebungen vor dem Gericht am Pfingstmontag.

(Bild: Wikileaks, Screenshot: heise online)

Lesezeit: 6 Min.
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Aufatmen im Lager von Julian Assange: Der Wikileaks-Gründer darf gegen seine drohende Auslieferung an die USA in die Berufung gehen. Der Londoner High Court gab einem entsprechenden Antrag des gebürtigen Australiers am Montag nach einer rund zweistündigen Anhörung teilweise statt. Assange wird damit zunächst nicht unmittelbar an die Vereinigten Staaten überstellt, was andernfalls vermutlich binnen 24 Stunden erfolgt wäre. Der 52-Jährige kann seine Argumente rund um die Pressefreiheit nun in einem vollständigen Berufungsverfahren darlegen. Das heißt aber auch: Assange bleibt unter verschärften Bedingungen in Großbritannien in Haft, es erfolgt nach zahlreichen Runden vor Gerichten ein erneuter Austausch längst bekannter Gründe für beziehungsweise gegen eine Auslieferung.

"Die Richter haben die richtige Entscheidung getroffen", begrüßte Julians Ehefrau Stella Assange den Beschluss. Die US-Regierung habe sich die Frage der Menschenrechte in der Auseinandersetzung jahrelang schöngeredet, was der High Court ihr aber nicht abgekauft habe. Trotz der Erleichterung fragte die spanisch-schwedische Anwältin: "Wie lang soll das weitergehen?" Sie rief die USA auf, den Fall jetzt fallen zu lassen und den "schändlichen Angriff auf die freie Presse" endgültig zu stoppen. Das ganze Verfahren "fordert einen enormen Tribut von Julian".

Schon im Vorfeld hatte Stella Assange von einem "bizarren Fall" gesprochen, da die USA offenbar "endlose Chancen" von Großbritannien eingeräumt bekämen, ihren Gatten in die Hände zu kriegen. Dieser stehe seit dem 7. Dezember 2010 in der ein oder anderen Form unter Arrest.

Julian Assange sitzt seit 2019 in Untersuchungshaft im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh. Die US-Behörden werfen ihm Geheimnisverrat, Verschwörung sowie Cyberangriffe auf das Pentagon vor und betreiben seine Auslieferung. Der australische Staatsbürger habe mit der Veröffentlichung geheimer Dokumente auf Wikileaks das Leben von US-Bürgern gefährdet. Assange drohen in den USA bis zu 175 Jahre Haft. Ende März entschied ein Londoner Gericht, dass er vorerst nicht an die USA ausgeliefert wird. Die USA müssten zunächst binnen drei Wochen einige Schutzgarantien abgeben. So dürfe etwa keine Todesstrafe drohen. Die USA gaben diese Zusicherungen drei Wochen später ab.

Assange und seine Unterstützer argumentieren, er habe als Journalist gehandelt, um das Fehlverhalten des US-Militärs aufzudecken. Dies sei durch die Pressefreiheit geschützt, die durch den 1. Zusatzartikel zur US-Verfassung garantiert wird. Stella Assange bezeichnete die "sogenannten Zusicherungen" als "wachsweich". WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson monierte die vage Aussage: "Er kann sich auf den Schutz des 1. Verfassungszusatzes berufen." Für ihn komme das einem "Nein" gleich. Die einzige vernünftige Entscheidung der Londoner Richter bestünde daher darin zu sagen: "Das ist nicht gut genug." Alles andere wäre "ein Justizskandal".

Amnesty International warnte vorab: "Wenn Julian Assange an die USA ausgeliefert wird, weil er sensibles Material veröffentlicht hat, das andere durchgestochen haben, ist die Botschaft an Journalisten und Verleger auf der ganzen Welt einfach: Sie sind nicht in Sicherheit." Es drohten enorme Konsequenzen nicht nur für den 52-Jährigen, sondern auch dauerhafte Schäden für die weltweite Medienfreiheit. Die International Federation of Journalists forderte die Freilassung von Assange, dessen Strafverfolgung "eine Bedrohung für alle Journalisten" darstelle.

Die zivilgesellschaftliche Organisation Freedom of the Press zeigte sich ebenfalls besorgt: Ein Prozess gegen Assange in den Vereinigten Staaten "würde auf der Grundlage des Espionage Act und des Computer Fraud and Abuse Act auch allgemein die strafrechtliche Verfolgung von Journalisten ermöglichen, die lediglich ihre Arbeit tun". Reporter ohne Grenzen appellierte an US-Präsident Joe Biden, das Vorgehen gegen den Computerexperten zu beenden und nicht auf immer die Reputation des selbsterkorenen Landes der Rede- und Meinungsfreiheit zu beschädigen. Biden erwägt spätestens seit April, die Strafverfolgung Assanges einzustellen. Das Nachdenken darüber hat bislang aber zu keinem Ergebnis geführt.

Am Freitag wandten sich auf Initiative von Patrick Breyer (Piratenpartei) noch einmal 31 EU-Abgeordnete verschiedener Fraktionen in einem offenen Brief an den britischen Innenminister James Cleverly mit dem dringenden Appell, die Auslieferung Assanges an die USA zu stoppen. Die britische Regierung müsse ihre Verantwortung im Hinblick auf Menschenrechte und Pressefreiheit wahrnehmen.

Genau wie die EU-Kommission verbreite London die Mär, über die Auslieferung hätten ausschließlich die Gerichte zu entscheiden, heißt es in dem Schreiben. Paragraf 70 des britischen Auslieferungsgesetzes gebe dem Innenminister aber die Befugnis, die Auslieferung zu verweigern, wenn sie gegen das Recht auf Leben oder das Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen würde. Dies drohe in diesem Fall. Die Volksvertreter betonten ferner, dass die Verfolgung des Australiers politisch motiviert sei.

Wikileaks war zunächst durch Veröffentlichungen von Videoaufnahmen mit Kriegsverbrechen aus dem Irak-Krieg ins Visier der US-Geheimdienste geraten ("Collateral Murder"). Nachdem auf der Plattform weitere CIA-Dokumente und Cyberwaffen unter dem Codenamen "Vault 7" auftauchten, verschärfte die US-Regierung unter Präsident Donald Trump die Gangart und eröffnete ein Verfahren gegen Assange. Der damalige Außenminister und Ex-CIA-Chef Mike Pompeo verglich Wikileaks mit Terror-Organisationen wie IS, Al-Qaida oder Hisbollah sowie einem "feindlichen Geheimdienst".

Assange hätte sonst noch die Möglichkeit gehabt, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) anzurufen. Stella Assange hatte vorab angekündigt, dort umgehend ein einstweilige Verfügung anzustreben, falls der High Court einen andere Beschluss gefasst hätte. Ein Verfahren dort hat aber nicht automatisch aufschiebende Wirkung für eine Auslieferung.

(nie)