Corona vergrößert digitalen Graben in Österreichs Wirtschaft

Jeder 3. österreichische Betrieb hat keinen adäquaten Internetzugang. Die Pandemie verhinderte IT-Investitionen, der große Schub ist ausgeblieben.

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Geschäft mit Aufschrift "Eisenhandlung"

Eisenhandlung zu Wien. Einzelhändler wie dieser haben es besonders schwer.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 5 Min.
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Der große Digitalisierungsschub durch die COVID19-Pandemie ist bislang ausgeblieben. Das zeigt eine repräsentative Erhebung unter Österreichs Unternehmen. Der "Digitalisierungsindex 2021" hat gegenüber 2019 lediglich um einen Punkt, von 34 auf 35 von hundert möglichen Punkten, zugelegt. Allerdings ist das Bild nicht einheitlich: Die Kluft zwischen Klein und Groß hat sich noch weiter vergrößert.

Nur fünf Prozent der österreichischen Betriebe hat während der Pandemie Home Office eingeführt oder verstärkt genutzt – bei Großunternehmen sind es allerdings 60 Prozent. Nur acht Prozent haben Videokonferenzen neu oder verstärkt genutzt, und gerade einmal drei Prozent melden verstärkte Digitalisierung von Arbeitsabläufen. Großunternehmen liegen auch da mit 18 respektive elf Prozent zwar nicht so enorm, aber doch deutlich voran.

36 Prozent aller Unternehmen geben an, dass sie im Zuge der Pandemie die Digitalisierung im Unternehmen in irgend einer Form beschleunigt haben – bei Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten steigt dieser Wert auf 70 Prozent. Aber immer noch hat ein Viertel aller Betrieb keine eigene Webseite, und nur ein Zehntel verfügt über einen Webshop.

Österreichs Wirtschaft ist von kleinen und Kleinst-Unternehmen geprägt, die häufig im ländlichen Raum angesiedelt sind. 99,6 Prozent der Betriebe fallen in die Kategorie KMU (Kleine und Mittlere Unternehmen). Gemeinsam beschäftigen sie etwa zwei Drittel der Arbeitnehmer und sorgen für einen ähnlichen Teil der Wertschöpfung.

Weil es relativ wenige Unternehmen mit 100 und mehr Mitarbeitern gibt, wirken sich deren Maßnahmen kaum auf die Gesamtzahlen aus. Hinzu kommt, dass die meisten Kleinbetriebe stärker unter der pandemiebedingten Krise leiden: "Sie haben quasi über Nacht Umsatzeinbruch erlitten", schilderte Drei-CEO Rudolf Schrefl, "Das erschwert Investitionen in Digitalisierung."

Kaum einen Unterschied macht die Betriebsgröße für digitale Signaturen. Nur gut die Hälfte der Betriebe hat eine, was aber nicht bedeutet, dass sie auch eingesetzt wird. Anders bei Telefon-, Web- und Videokonferenzen: So etwas gibt es in fast allen Großbetrieben, aber nur in gut der Hälfte aller Betriebe. Ähnlich steht es um den Zugriff auf Unternehmensdaten von unterwegs. Etwa 40 Prozent der Firmen nutzen Cloud-Dienste sowie Kollaborationsplattformen, bei Firmen mit 100 und mehr Beschäftigten sind es 79 Prozent beziehungsweise 57 Prozent.

Den größten Digitalisierungsschub haben Industriebetriebe geschafft. Das sind in der Regel auch große Betriebe. Besonders stark entwickelt hat sich die Bildungsbranche, bei der plötzlich sehr viel online geht. Auch die Gesundheitsbranche hat neue IKT-Dienste eingeführt, darunter Telemedizin, das aber von sehr niedrigem Niveau, so dass sie immer noch das Schlusslicht unter allen Branchen bildet.

Erstaunlich wenig bewegt hat sich beim Handel. "Beim Handel haben viele den Pandemieeffekt überschätzt", sagte Karim Taga, Managing Partner bei der Wirtschaftsberatungsfirma Arthur D. Little Austria. Der eine oder andere neue Webshop macht das Kraut nicht fett. Eine Branche hat sogar einen absoluten Rückfall von 32 auf 25 Punkte hinnehmen müssen: Transport, Verkehr, Logistik. Taga ortet die Ursache in krisenbedingt zusammengebrochenen Logistikketten.

All das heißt aber nicht, dass kleine Wirtschaftstreibende keinen Sinn in der Digitalisierung erkennen. Sie sehen Chancen für Kundenakquise, Kostensenkung und mehr Flexibilität bei internen Prozessen. Was ihnen fehlt ist Beratung und passende Breitband-Internetzugänge. Außerdem kämpfen die Unternehmer mit komplexen rechtlichen Bestimmungen.

Helfen könnten laut Taga nicht nur IKT-Anbieter und die öffentliche Hand, sondern auch große Unternehmen. Er schlägt die Öffnung konzerninterner E-Learning-Angebote für KMU, die Vereinfachung von Ausschreibung sowie kleinere Lose vor. Als positives Beispiel nennt der Berater die jährlichen Lieferantentage der ÖBB. Studienbesteller Drei verspricht, "in den nächsten Jahren" über 700 entlegene österreichische Gemeinden mit seinem 5G-Netz zu versorgen.

Unternehmen sollten ihre Digitalisierungsinvestitionen dort fokussieren, wo der Kunde es spürt, insbesondere bei Kommunikationsschnittstellen, empfiehlt Stefan Schiel, Managing Partner beim Marktforscher marketmind. Da zahle sich die Investition schneller aus als bei Infrastrukturanschaffungen.

Wettbewerb herrsche heute nicht nur innerhalb einer Branche, sondern auch zwischen Branchen. Unternehmer müssten sich daher an den neuesten Standards orientieren. "Kunden möchten nur einmal einen Wunsch äußern, egal über welchen Kanal", nannte Schiel ein Beispiel, "Wenn man sich wiederholen muss, macht das keinen Spaß."

Der Digitalisierungsindex wurde 2017 von der Wirtschaftsuniversität Wien, dem Netzbetreiber Drei, Arthur D. Little Austria und der Wirtschaftskammer Österreich initiiert. Für den aktuellen Index hat das Marktforschungsunternehmen marketmind im Auftrag Dreis im Jänner und Februar 811 Unternehmen befragt – repräsentativ über alle Branchen und Betriebsgrößen für ganz Österreich. Arthur D. Little Austria hat die Daten analysiert.

Für den österreichischen Digitalisierungsindex werden fünf Faktoren gewichtet: Einsatz von IKT-Lösungen (23%), Organisation von Betriebsabläufen und Beschaffung (23%), Gestaltung der Kundenbeziehungen und digitale Kanäle (21%), Entwicklungen des Produkt- und Serviceportfolios (21%), sowie Arbeitsplatz-Organisation (12%).

(ds)