Das Scheitern der netzpolitischen Jedi-Ritter der SPD

Offiziell mag die SPD den Virtuellen Ortsverein eingestellt haben, doch im Web feiert er eine kleine Renaissance: Einstige Akteure wollen eine netzpolitische Lücke schließen, indem sie das Erlebte aufarbeiten.

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Das Scheitern der netzpolitischen Jedi-Ritter der SPD
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Ehemalige Aktive des 2012 geschlossenen "Virtuellen Ortsvereins der SPD" (VOV) haben sich zusammengeschlossen, um die Geschichte der 1995 ins Leben gerufenen innerparteilichen Vereinigung zu erzählen. Damit wollen sie "eine Lücke in der Geschichte der deutschen Netzpolitik" aufarbeiten – zunächst als Blog und später in Buchform. Gesammelt werden Berichte und Anekdoten von diversen Mitglieder aus der Führung, sowie durch Netzaktivisten und Hacker – "die digitale Avantgarde der SPD".

Das Ergebnis soll Einblicke in die netzpolitischen Anfänge und erste Internet-Wahlkämpfe in Deutschland bieten. Auch wollen die Autoren beleuchten, warum der Name VOV heute nur noch politisch versierten Netzveteranen etwas sagt. Bisher gibt es kaum Literatur über die Existenz und die Arbeit des VOV.

Die ersten Blog-Einträge verweisen auf eine frühe Euphorie, welche neuen demokratischen Beteiligungsmöglichkeiten das Internet bieten könne – gefolgt von der baldigen Ernüchterung durch sozialdemokratische Realpolitik. Das Gesamtergebnis dürfte letztlich vor allem eine Historie der Missverständnisse und Enttäuschungen werden.

So wars geplant ...

(Bild: Petra Tursky-Hartmann)

So verweist ein Beitrag der langjährigen Vereinsvorsitzenden Petra Tursky-Hartmann gleich auf den Geburtsfehler des virtuellen Zusammenschlusses: Im Unterschied zu lokalen Ortsvereinen besaß der VOV in der SPD weder Antrags- noch Rederecht. Zu spät habe sie begriffen, schreibt Tursky-Hartmann, wie leicht ein einzelner Funktionär jede demokratische Abstimmung aus dem VOV "nach Gutsherrenart" im Alleingang niederschmettern konnte.

Den traditionellen SPD-Politikern war der VOV wohl suspekt. Vielleicht sei der "alten Tante SPD" auch nur die Art und Weise zu fremd erschienen, wie die digitalen "Jedi-Ritter" Netzpolitik machten, meint Tursky-Hartmann.

Zu seinen besten Zeiten galt der VOV als "zukunftsweisendes Modell für ein offeneres Diskussions- und Rekrutierungsverhalten der Parteien". Der Virtuelle Ortsverein brachte Lösungsvorschläge in die Partei ein, die später etwa in der Kryptodebatte sogar eine Mehrheit gefunden hätten. So wurde der VOV seinem Auftrag durchaus gerecht, "das Internet für die politische Arbeit der SPD zu erforschen".

Das Logo des Virtuellen Ortsvereins

(Bild: SPD)

Allein zwischen 1997 und 2002 "haben die Mitglieder des Virtuellen Ortsvereins in weit über 30.000 Mails [...] über SPD-Politik im Allgemeinen und die Entwicklung der Informationsgesellschaft im Besonderen diskutiert", erinnert sich Tursky-Hartmann. Das "Rund-um-die-Uhr-Mitmachangebot" des VOV habe sich schnell als innerparteiliche "Marktlücke" entpuppt und zu einem stürmischen Mitgliederzuwachs geführt. Doch alle Anträge etwa zum Recht auf Information, Datenschutz, Domain-Grabbing und Identitätsdiebstahl, zur Zukunft der Internetregulierung, zu Softwarepatenten oder zur Vorratsdatenspeicherung "krankten an politischer Folgenlosigkeit".

Das "Fass zum Überlaufen" brachten 2007 für die VOV-Aktivistin zwei fast parallele Entscheidungen: Zum einen stimmte die SPD in der damaligen Großen Koalition der Entwicklung des Bundestrojaners zu. Zum anderen lehnte die Parteispitze die Virtuellen als offizieller Projektgruppe der Partei ab.

Desillusioniert beschloss Petra Tursky-Hartmann, nicht mehr für den Vorstandsvorsitz zu kandidieren. So musste sie sich nicht mehr mitverantwortlich fühlen, als 2009 die SPD-Bundestagsfraktion für das "Zugangserschwerungsgesetz" und die damit verknüpften Websperren stimmte. Am 5. September 2011 wurde schließlich der Netzstecker des Vereins im Willy-Brandt-Haus gezogen; die einstige Domain ging an den Parteivorstand über.

Teil der bisherigen Sammlung sind der Gründungsaufruf von Jörg Tauss, ein Bericht über das Einschmuggeln des ersten Modems in den Bundestag und andere Einblicke in den "schleichenden Exodus der Netzexperten" bei der SPD. Ein Überblick zu netzpolitischen Initiativen der Sozialdemokraten zwischen 1995 und 2010 stellt einen chronologischen Rahmen her. (ghi)