Digitale Souveränität mit Gaia-X – gerne mit "globaler Unterstützung"

Gaia-X-Chef Ulrich Ahle hat die europäische Initiative für digitale Ökosysteme gegen scharfe Kritik aus den eigenen Reihen – Reizwort Hyperscaler – verteidigt.​

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Gaia-X-Chef Ulrich Ahle sieht das Cloud-Projekt auf einem guten Weg.

(Bild: Stefan Krempl)

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Auch wenn es in jüngster Zeit recht still geworden ist um das europäische IT-Großprojekt Gaia-X, geht es hinter den Kulissen voran. "Datenräume basierend auf Gaia-X sind real", erklärte der neue Chef der Unternehmung, Ulrich Ahle, am Dienstag bei einem parlamentarischen Abend der Initiative für vertrauenswürdige dezentrale digitale Ökosysteme in Brüssel.

Er verwies dabei nicht nur auf das im Herbst offiziell an den Start gegangene Netzwerk Catena-X, das einen einheitlichen Standard für Informationsflüsse in der automobilen Wertschöpfungskette auf der Basis von Gaia-X etablieren will. Auch der Mobility Data Space habe seine Arbeit aufgenommen: Damit sollen Firmen wie Toll Collect, die Deutsche Bahn oder die Autobahn AG mehr Daten in geschützten Räumen für neue Geschäftsmodelle zur Verfügung stellen können.

Mercedes-Benz etwa verkaufe über den Mobilitätsdatenraum quasi in Echtzeit Informationen an Städte, in welchen Bereichen es aktuell freie Parkplätze gibt, brachte Ahle ein Beispiel. Hintergrund sei, dass Luxuswagen der Marke autonomes Parken mithilfe von Sensoren beherrschten. Eine neue Abteilung des Stuttgarter Konzerns analysiere die dabei erhobenen Daten und biete sie Dritten an, damit diese keine zusätzlichen Mess- und Beobachtungssysteme installieren müssten. Der Autobauer habe dafür extra die Nutzungsbedingungen geändert: Jeder Fahrer, der in diese einwillige, erlaube jetzt den Zugang zu diesen von seinem Auto erhobenen Daten.

Iona-X werde zudem die Olympischen Spiele im Sommer in Paris unterstützen, kündigte der Manager an. Dabei gehe es um ein französisches Projekt mit dem IT-Riesen Atos, um das Besuchererlebnis datengetrieben zu verbessern und nützliche Informationen rund um die Wettbewerbe verfügbar zu machen, erläuterte Ahle gegenüber iX. Das Bundeswirtschaftsministerium habe zudem neue Förderbescheide für Manufacturing-X ausgestellt, einen Datenraum für den Maschinenbau und das gesamte produzierende Gewerbe.

Gaia-X liefere so längst nicht mehr nur Theorien und Konzepte, betonte der frühere Chef der Open-Source-Initiative Fiware, die auf Lösungen für Smart Cities ausgerichtet ist. "Wir definieren die Regeln aus dem europäischen Wertesystem für eine verteilte Cloud-Infrastruktur und interoperable Datenräume". Das Konsortium betreibe diese aber nicht selbst, dies sei die Rolle der Partner im Ökosystem. Die ursprüngliche deutsch-französische Initiative habe den Eindruck erweckt, Gaia-X werde selbst zum Cloud-Anbieter. Dies sei aber definitiv nicht der Fall. Generell habe das Projekt "deutliches Potenzial" und befinde sich auf einem guten Weg.

Ahle reagiert damit auch auf die scharfe Kritik von Nextcloud-Chef Frank Karlitschek. Das Gründungsmitglied der Initiative monierte jüngst gegenüber dem Online-Magazin The Register, Gaia-X habe keine Zukunft. Das liege vor allem daran, dass "alles dann von den US-amerikanischen Hyperscalern gekapert" worden sei. Diese hätten De-facto-Standards geschaffen, indem sie das Konsortium "mit Dokumenten überschwemmt haben". Bei kleineren Mitstreitern wie Nextcloud habe rein zeitlich niemand die ständig gelieferten 1000-Seiten-Dokumente lesen können. Zudem sei eine zunächst geplante zentrale Webseite nicht verwirklicht worden, auf der Nutzer Dienste anhand klarer Kriterien vergleichen und bestellen können sollten.

Schon früh erstaunte viele Beobachter, dass bei dem Prestigevorhaben für die digitale Souveränität Europas neben Gründungsmitgliedern wie Atos, BMW, Bosch, DE-CIX, Deutsche Telekom, Fraunhofer-Gesellschaft, Orange, OVH, SAP und Siemens auch Cloud-Giganten wie Amazon, Alibaba, Google und Microsoft sowie die eng mit US-Geheimdiensten kooperierende Big-Data-Firma Palantir von Anfang an dabei sind.

Noch vor zwei Jahren hatte es aus der Gaia-X-Spitze dazu geheißen: "Wir brauchen niemand aus dem Silicon Valley oder China, um unsere Datenräume zu organisieren." Ahle sieht das gänzlich anders – für ihn führt an den Hyperscalern, die auch in Europa 80 Prozent Marktanteil hätten, kein Weg vorbei: "Wir brauchen globale Unterstützung." Die Bedingung dafür sei freilich, dass die Cloud-Größen das europäische Wertesystem mit Vorgaben etwa für Offenheit, Dezentralisierung, Interoperabilität und Vertrauen akzeptierten und übernähmen.

Eine Grenze für die Beteiligung von Hyperscalern sieht Ahle aber: den Hochsicherheitsbereich. Gaia-X arbeitet aktuell an einem Label-System, dessen erste Stufe seit Dezember vorliegt. Mit Stufe drei des Ansatzes, der wohl noch rund ein Jahr in der Mache sein dürfte, sollen hochsichere Räume etwa für kritische Infrastrukturen geschaffen werden. Einen solchen Datenraum beispielsweise für ein französisches Atomkraftwerk dürfen Ahle zufolge aber nur europäische Anbieter betreiben. Auch Gemeinschaftsunternehmen mit Partnern oder Rechenzentren in der EU seien dafür tabu, da die US-Seite dabei dem Cloud Act unterläge und Geheimdienste wie die NSA "reinschauen" könnten.

Klaus Ottradovetz, Mitglied der wissenschaftlichen Community von Atos Deutschland, stellte zudem in Brüssel das neue Simpl-Projekt für eine sichere und intelligente Open-Source-Middleware für offene Datenräume vor. Die EU-Kommission hat damit das internationale Konsortium Sovereign-X beauftragt, an dessen Spitze das belgische IT-Unternehmen Eviden Belgium steht. Zu den weiteren Konsortialmitglieder gehören Ionos, Aruba und der niederländische Capgemini-Ableger.

Im Kern geht es bei dem mit insgesamt 150 Millionen Euro geförderten Vorhaben laut Ottradovetz darum, ein Kaleidoskop verschiedener Lösungen zusammenzubringen und eine Laborumgebung zum Ausprobieren zu schaffen. Generell hat sich Gaia-X vorgenommen, den Fokus stärker auf Endnutzer zu stellen und den Mehrwert von offenen Datenräumen sowie Optionen zum Aushandeln von Preisen für geteilte Messwerte stärker bekannt zu machen.

(axk)