Eskalation im Streit um IPv4-Adressverleih

IPv4-Adressen sind rar und der Adresshandel treibt erstaunliche Blüten: Nun ist eine Vergabestelle wegen eines Streits ums knappe Gut vom Bankrott bedroht.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 33 Kommentare lesen
Schild "Ebene Cybercity" vor Hochhäusern, danabend tropische Pflanzen

In der Cybercity in Ebène, Mauritius, befinden sich unweit des Cybertowers die AfriNIC-Büros.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Paukenschlag auf der schillernden Bühne des IPv4-Adresshandels: Der IP-Adressvergabestelle AfriNIC, die Nutzer in Afrika mit IPv6- und IPv4-Adressen versorgt, droht die Zahlungsunfähigkeit. Ende Juli hat der zuständige Oberste Gerichtshof Mauritius' die Konten des Adressverwalters eingefroren, um etwaige Schadenersatzansprüche eines Unternehmers aus Hongkong gegebenenfalls befriedigen zu können. Der hatte als AfriNIC-Mitglied Millionen von IPv4-Adressen von der Vergabestelle bezogen, aber zu Unrecht. Das versichert die jüngste der fünf weltweiten Vergabestellen in rund einem Dutzend laufender Gerichtsverfahren.

Streitgegner vor Gericht ist Heng Lu, Geschäftsführer des IP-Adress-Anbieters Larus und des auf den Seychellen angesiedelten Larus-Lieferanten Cloud Innovation. Heng Lu ist Mitglied der AfriNIC, zahlt jährlich rund 10.000 US-Dollar an Mitgliedsgebühren, und hat bisher zwischen 6 und 7 Millionen IPv4-Adressen erhalten. Lu erklärte im Gespräch mit der c't, er habe seine Kenntnisse über IP-Adressen und Vergabestellen während seiner Studienzeit bei Europas IP-Adressverwalter RIPE gelernt. Mit seinen Unternehmen betreibt er ungewöhnlicherweise einen florierenden IP-Adressverleih.

Üblich sind ja eher Adressbroker, die IPv4-Adressen kaufen und verkaufen. Das kommt bei Herrn Lu zwar auch vor, aber sein Hauptgeschäft sind tatsächlich Adressvermietungen. So bietet er zwar in dieser Woche speziell für Nutzer aus Deutschland einen /22-Block, also 1024 IPv4-Adressen, für 47 US-Dollar je Adresse. Alternativ kann man einen /24 Block mieten (256 IPv4-Adressen). Die Monatsmiete beträgt 0,37 US-Cent pro Adresse. Der ganze /24-Block wäre ein Schnäppchen für rund 95 US-Dollar pro Monat.

Das Geschäft mit IPv4-Adressen ist eine erwartete Folge des aufgebrauchten IPv4-Adressraums. Zunehmend kommt aber der Adressverleih in Mode, bestätigt Gert Döring, lange Zeit Vorsitzender der Arbeitsgruppe Adress Policy beim RIPE. Das Modell befriedige kurzfristigen Adressbedarf, der mit Transfers nicht schnell genug zu decken ist.

US-Wissenschaftler Milton Mueller nennt Heng Lu einen Arbitrageur – einen Händler, der Preisdifferenzen verschiedener Märkte für sich ausnutzt. Der Jungunternehmer ziehe Gewinn aus den günstigen Registrierkosten bei der AfriNIC und der hohen Nachfrage nach IPv4-Adressen. Mueller schätzt, dass Lu jährlich rund 14 Millionen US-Dollar Gewinn einfährt.

Auf den Adressverleih der Firma Cloud Innovations war die AfriNIC 2020 im Rahmen einer Überprüfung gestoßen. Die tatsächliche Nutzungsform entspreche nicht dem Antragsinhalt. Daher verlangte die Vergabestelle eine Nachmeldung. Vor allem werfen die Adressverwalter Lu vor, die Mehrzahl der IPv4-Adressen außerhalb der AfriNIC-Region einzusetzen. Seine Firma Cloud Innovation routet zwar eine Reihe der erhaltenen Blöcke in Südafrika. Doch John Curran, Chef der US-amerikanischen Vergabestelle Arin, erklärt, man solle sich davon nicht täuschen lassen. Die Routen in Südafrika seien durch spezifischere Routen vor allem in Asien und Nordamerika überlagert.

Curran bezieht Stellung für die afrikanische Schwesterorganisation und kritisiert das Geschäftsgebaren Lus. Arin habe 2013 eine ähnliche Anfrage nach IPv4-Adressen wegen fehlender Nutzungsangaben abgelehnt.

Allerdings sind die Nutzungsregeln außerhalb der zuteilenden Region unterschiedlich - liberal beim RIPE, weniger liberal bei Arin, umstritten beim AfriNIC. Am Ende muss das Gericht auf Mauritius entscheiden, ob die Nutzung der Firma Cloud Innovation rechtens ist oder nicht.

AfriNIC hat noch bei zwei weiteren Unternehmen Unregelmäßigkeiten gefunden; die Vergabestelle fordert auch diese auf, ihren Endkunden andere Adressen zuzuteilen und die unrechtmäßig genutzten Adressblöcke der AfriNIC zurückzugeben. Aber nur mit Lu eskalierte der Streit. Der Mann führt Rufschädigung und gefährdete Verträge mit seinen Kunden ins Feld; darunter seien auch große Netzbetreiber in China. Deshalb überzieht er die Registrierungsstelle AfriNIC mit Schadenersatzklagen. Geht es nach Lu, soll AfriNIC 1,8 Milliarden US-Dollar wegen Geschäftsschädigung zahlen. Geschäftsführer und Vorstand sollen noch mehrere Millionen dazulegen.

Mauritius' oberstes Gericht bestätigte die Sicherstellung von 50 Millionen US-Dollar sowie das Einfrieren der Konten der Adressverwalter. Zwar versicherte AfriNIC-CEO Eddy Kayihura im Juli, dass er gerade noch die Gehälter der Mitarbeiter ausbezahlt habe. Doch mit der Weigerung des Gerichts, den Beschluss aufzuheben, gerät AfriNIC weiter in Schieflage.

Die Providerverbände Südafrikas, Tansanias und der Demokratischen Republik Kongo sorgen sich um die Stabilität des IP-Adresssystems. Sie wollen eine rasche Klärung und fordern vom Gericht, den Betrieb der Registry sicherzustellen. Eine andere Providergruppe bevorzugt einen kompletten Neustart der afrikanischen Adressvergabestelle.

Und eine dritte Gruppe legt der afrikanischen Adressverwaltung nahe, die Migration ihrer IP-Adressen zu einer anderen Vergabestelle zu ermöglichen. Die europäische Vergabestelle RIPE winkt bereits ab: sie werde die IP-Adressverwaltung Afrikas keineswegs übernehmen. Stattdessen hat der Vorstand des RIPE vorsorglich zugestimmt, AfriNIC mit Mitteln aus dem Solidarity Fonds der fünf Vergabestellen zu unterstützen. Noch haben die afrikanischen Kollegen keinen offiziellen Antrag gestellt.

Lu erklärte in einem Telefongespräch mit der c't, an Deeskalation interessiert zu sein. Einseitig abzurüsten sei aber "im Krieg" nicht angebracht und immerhin müsse er an seine Kunden und Millionen von Endnutzern denken. Er könne im Moment weder bestreiten noch bestätigen, dass es einen Vorschlag für eine gütliche Beilegung gebe.

Wenigstens schließt das ein glimpfliches Ende der Krise nicht aus und wäre vermutlich im Interesse von Cloud Innovation. Sollte Afrikas Adressregistry zusammenbrechen, könnte das die Selbstverwaltung der IP-Adressen auf dem Kontinent – manche fürchten sogar global – beschädigen. Dem Adressgeschäft, besonders dem internationalen, wäre das nicht zuträglich.

(dz)