European Chips Act: Wie die EU den Halbleitermarkt umkrempeln will

Viel höhere Investitionen mit weniger Bürokratie, neue Halbleiterwerke und ein Krisenmanagement auf EU-Ebene: Die EU-Kommission stellt das Chip-Gesetz vor.

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(Bild: c't/Christof Windeck)

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Die EU-Kommission stellt den European Chips Act vor, der die Rahmenbedingungen für den europäischen Halbleitermarkt umkrempeln soll. Der Gesetzentwurf ist weniger wegen seines Investitionsrahmens von 43 Milliarden Euro bis 2030 interessant, sondern vielmehr wegen der neuen Spielregeln innerhalb der EU, um den europäischen Anteil der globalen Halbleiterfertigung bis 2030 von 10 auf 20 Prozent zu verdoppeln.

So hat die EU-Kommission die europäischen Stärken und Schwächen in der Halbleiterwelt erkannt: Europa ist etwa mit dem niederländischen Ausrüster ASML, der weltweit die einzigen Belichtungsmaschinen mit extrem-ultravioletter (EUV-)Technik herstellt, bei der Forschung weit vorne dabei, hat aber keine modernen Halbleiterwerke und Packaging-Anlagen für die weitere Verwertung von Halbleiterbauelementen.

Die Stärken sollen in den kommenden Jahren weiter ausgebaut, die Schwächen ausgebessert werden. Rund 11 Milliarden Euro fließen bis 2030 in Forschung, Entwurfs- und Fertigungskapazitäten. Zudem entsteht ein "Chip-Fonds" mit einem Kapital von 2 Milliarden Euro für Start-ups, Scale-ups und andere Unternehmen in der Lieferkette. Alle Investitionen im Rahmen des European Chips Act erweitern bisherige Projekte wie das "Important Project of Common European Interest" zur Förderung der europäischen Halbleiterindustrie (IPCEI Mikroelektronik II) mit einem Budget von 145 Milliarden Euro.

Generell sollen EU-Mitgliedstaaten künftig größere Investitionen tätigen als bislang erlaubt. Insbesondere beim Bau neuer Halbleiterwerke mit neuen Fertigungsverfahren will die EU-Kommission die Zügel lockern: In bestimmten Fällen "kann es gerechtfertigt sein, eine nachgewiesene Finanzierungslücke bis zu 100 % mit öffentlichen Mitteln zu decken", heißt es in der Mitteilung der EU-Kommission (PDF). Solche Halbleiterwerke müssen "über den aktuellen Stand der Technik der Union hinausgehen", um die "negativen Auswirkungen auf Handel und Wettbewerb" in Kauf zu nehmen.

Als Beispiele nennt die EU-Kommission neue Fertigungsgenerationen und den Einsatz neuer Materialien wie Siliziumkarbid oder Galliumnitrid. Einerseits will die EU modernste Fertigungstechnik mit Strukturen von 2 Nanometern und feiner, andererseits sollen bessere Prozesse mit planaren, stromsparenden Transistoren entwickelt werden. Die EU schießt sich auf Fully-Depleted-SOI-Technik (FD-SOI) ein, auf die sich etwa Globalfoundries in Dresden konzentriert – bislang bis 12 nm, die EU will FD-SOI auch bei 10 nm und feiner.

In Sachen Chipdesigns soll eine europäische Entwicklungsplattform mit Designtools entstehen, die "überall in Europa zugänglich" ist, etwa zur Entwicklung von ARM- oder RISC-V-Prozessoren. Die USA sind Vorreiter solcher Tools für die Electronic Design Automation (EDA), etwa von den Firmen Cadence und Synopsys.

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Das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten müssen dem Vorschlag für den European Chips Act derweil noch zustimmen. Bis das geschieht, spricht die EU-Kommission eine Empfehlung zur Gründung einer "europäischen Expertengruppe für Halbleiter" aus (PDF), die mit der Verabschiedung des European Chips Act dann im Europäischen Halbleitergremium aufgehen soll.

Diese Expertengruppe beziehungsweise später folgend das Halbleitergremium soll nach US-Vorbild die aktuelle Lage des weltweiten Chipmangels auswerten und zusammen mit den EU-Mitgliedsstaaten kurz- und langfristige Maßnahmen zur Besserung der Liefersituation schaffen.

Als größten Eingriff in die Halbleiterindustrie will die EU-Kommission in Ausnahmefällen künftig Zwangsaufträge an Chiphersteller verteilen dürfen, die in der EU ansässig sind. Solche Firmen sollen der Produktion besonders knapper Halbleiterbauelemente Priorität einräumen und dafür andere Lieferverträge vernachlässigen.

Als weitere Maßnahmen will die EU-Kommission bei Bedarf Bestellungen mehrerer Hersteller sammeln und gebündelt bei Chipauftragsfertigern in Auftrag geben, um so einen längeren Hebel für Verhandlungen zu erhalten. Denkbar wären zudem Exportverbote knapper Halbleitergüter. (mma)