Gesetz gegen "digitale Gewalt": Vorratsdatenspeicherung "durch die Hintertür"​

Das Justizministerium plant mit dem Gesetz gegen digitale Gewalt einen breiten zivilrechtlichen Auskunftsanspruch auch für IP-Adressen. Das sorgt für Kritik.​

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 22 Kommentare lesen
Die Symbole verschiedener Chat-Anwendungen auf dem Bildschirm eines Smartphones.

(Bild: Michele Ursi/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Zivilgesellschaftliche Organisation haben die am Mittwoch von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) vorgelegten Eckpunkte für ein Gesetz gegen "digitale Gewalt" unterschiedlich aufgenommen. Stein des Anstoßes sind dabei weniger die geplanten Kontensperren für Hetzer auf Facebook, Twitter & Co., als vielmehr der breite zivilrechtliche Auskunftsanspruch gegen Betreiber sozialer Netzwerke und Messenger-Dienste, der auch für IP-Adressen gelten soll. Dazu kommen Auflagen, Bestands- und Nutzungsdaten des Verfassers einer "mutmaßlich rechtsverletzenden Äußerung" bis zum Abschluss des Auskunftsverfahrens "gezielt zu sichern".

"Das Gesetzesvorhaben setzt eine weitgehende Speicher- und Identifikationspflicht für Online-Diensteanbieter und Chat-Dienste voraus", kritisiert der Chaos Computer Club (CCC). "Die dadurch erzwungene Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür wäre ein massiver Eingriff in die Privatsphäre" der Bürger. Der Hackerverein warnt daher eindringlich vor den mittel- und langfristigen Folgen eines solchen Schritts. Die Erfahrung zeige, "dass einmal eingeführte Überwachungsinfrastrukturen nie wieder zurückgenommen werden, ganz unabhängig davon, ob sie ihren vorgesehenen Zweck erfüllen".

Möglichkeiten zur Profilbildung und die zunehmende Konzentration von persönlichen Informationen in den Händen weniger Unternehmen bergen laut dem CCC "ohnehin schon erhebliche Risiken für die informationelle Selbstbestimmung". Könnten die dabei gesammelten Daten dann mit eindeutigen Identifikationsangaben kombiniert werden, läge ein weiteres Werkzeug für eine Überwachungsgesellschaft bereit. Der Gesetzgeber sollte stattdessen den Fokus auf eine personelle Stärkung und bessere Ausbildung der Strafverfolgungsbehörden legen, die bisher in vielen Fällen vorhandene Ermittlungsansätze ungenutzt ließen.

Die geplante Verschärfung privater Auskunftsverfahren gehe zu weit, beklagt auch der SPD-nahe digitalpolitische Verein D64. Diese Maßnahme solle den Eckpunkten zufolge bereits bei jeder nur behaupteten Verletzung absoluter Rechte wie einer unzutreffenden Restaurantkritik möglich sein. Das stelle eine "erhebliche Gefahr für die Meinungsfreiheit dar und gefährdet vulnerable Gruppen". Vorteil der potenziellen Accountsperren sei dagegen, dass dabei die Anonymität von Nutzern kein Problem darstelle.

Auskunftsverfahren müssten auf Fälle beschränkt werden, "bei denen ein Anfangsverdacht für eine Straftat vorliegt", erläutert der D64-Co-Vorsitzende Erik Tuchtfeld. "Persönlichkeitsrechtsverletzungen sind schnell behauptet, beispielsweise bei der Veröffentlichung von Bildaufnahmen von Demonstrationen." Durch den neuen Auskunftsanspruch könnten private Daten anonymer Nutzer schnell in die Hände von Konfliktparteien geraten.

Im schlimmsten Fall könnte dies dazu führen, massenhaft erlangte persönliche Informationen online zu verbreiten ("Doxxing"), warnt der Verein. Für Strafverfolgung im Internet sei aber der Staat zuständig. Hier müssten grundrechtskonforme Lösungen ohne präventive Speicherung von Daten zum Einsatz kommen. In diesem Sinne sollte die Initiative um das von D64 entwickelte Konzept der Login-Falle ergänzt werden.

Der Auskunftsanspruch gegen Hass und Hetze würde sein umstrittenes Pendant zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen in vielen Punkten blass aussehen lassen. Im Gegensatz dazu sollen zur Durchsetzung etwa keine Gerichtskosten erhoben werden. Das Verfahren wird dem Plan zufolge etwa auch bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder des sogenannten Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs eröffnet. Im Gesetz soll klargestellt werden, dass alle Anbieter von Messenger- und Internetzugangsdiensten – also auch Telekommunikationsunternehmen – unter bestimmten Voraussetzungen zur Herausgabe von Daten durch ein Gericht verpflichtet werden können.

Um Zeit zu gewinnen, könnten Diensteanbieter bereits in einem früheren Verfahrensstadium angehalten werden, die IP-Adresse eines Verfassers eines umstrittenen Beitrags gegenüber dem Gericht offenzulegen. Dieses soll es dem Provider dann vorsorglich verbieten können, die Bestandsdaten inklusive Angaben, wem die erfasste IP-Adresse zu dieser Zeit zugeordnet war, zu löschen. Bei "offensichtlichen Rechtsverletzungen" dürften die Richter den Diensteanbieter bereits durch eine einstweilige Anordnung verpflichten, Auskunft über die Bestands- und Nutzungsdaten eines Verfassers zu erteilen.

Josephine Ballon, Rechtsexpertin bei der Hilfsorganisation HateAid, hatte schon 2020 bei einer Anhörung zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz im Bundestag eine erweiterte Auskunftspflicht auch gegen Provider oder Mobilfunkbetreiber ähnlich wie im Urheberrecht gefordert, um Nutzer hinter einer IP-Adresse möglichst rasch identifizieren zu können. Betroffenen soll es damit möglich sein, sich besser zur Wehr zu setzen. Durch solche Ansprüche dürfe aber keine Vorverurteilung durch die sozialen Netzwerke erfolgen, mahnte damals der Verein Digitale Gesellschaft. Insgesamt laufe die Politik Gefahr, mit ihrem Kurs Internetzensur und Überwachung noch stärker Vorschub zu leisten.

HateAid findet nun, dass die Pläne des Justizministeriums "in die richtige Richtung gehen". Es gebe aber noch Nachbesserungsbedarf. Die Organisation drängt etwa auf einen "All-in-one"-Auskunftsanspruch: Betroffene sollten nur ein Verfahren führen müssen, um an die Daten der Accountinhaber zu gelangen. Nötig sei auch eine bessere Handhabe gegen Täter, die mit Mehrfach-Konten agierten und sich jederzeit mit erfundenen Daten neue Accounts anlegen könnten. Zudem blieben bei den angedachten Verfahren Anwaltskosten und hohe Streitwerte. Wichtig wäre ferner ein gesetzlicher Schmerzensgeldanspruch für Betroffene digitaler Gewalt.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) legte bereits im Dezember ein Papier für "richterlich angeordnete Accountsperren" vor. Ihr Vorsitzender Ulf Buermeyer hält das Instrument in dem Ministeriumspapier aber noch nicht für ausgereizt. Etwa eine einmalige strafbare Beleidigung sollte ihm zufolge Anlass genug sein, um ein Nutzerkonto zumindest zeitweise zu blockieren. Dass das Justizressort zudem "noch Auskünfte und Speicherungen regeln" wolle, sehe er aber "sehr kritisch".

(vbr)