Google-Fonts-Abmahnung: Hotel erwirkt virtuelles Hausverbot

Zehntausende Webseiten machten Frau Z. unwohl, weshalb sie Geld verlangt. Ein Opfer der Masche dreht den Spieß um.​

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 521 Kommentare lesen
3 Stop-Tafeln nebeneinander

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Eva Z. darf die Webseite eines bestimmten Kärntner Hoteliers nicht mehr aufrufen. Er hat vor Gericht das virtuelle Äquivalent eines Hausverbots gegen Z. erwirkt. Der Grund: Frau Z. hat den Hotelier per Anwaltsschreiben mit Geldforderung samt Klagedrohung belästigt, weil die Webseite angeblich Datenschutzrecht verletzt. Das bereite ihr Unwohlsein, sagt Frau Z. Das möchte der Hotelier natürlich nicht, weshalb er Frau Z. nun quasi zum Selbstschutz das Aufrufen seiner Webseite verbieten hat lassen.

Der Hotelier war Opfer einer groß angelegten Abzock-Kampagne. 2022 beauftragte Eva Z. ein IT-Unternehmen damit, aktiv nach österreichischen Webseiten zu suchen, deren Schriftart-Dateien (Fonts) dynamisch von einem Google Server eingebunden wurden. Das beauftragte Unternehmen erstellte eine Liste solcher Webseiten mit Google Fonts. Anschließend ließ sich Frau Z. Software installieren, die zehntausende solcher Webseiten automatisch abrief. Wieder und wieder wurde der Google-Server um die Fonts-Dateien gebeten.

Anschließend drohte sie durch ihren niederösterreichischen Anwalt Marcus Hohenecker den Webseitenbetreibern brieflich mit Klage. In den Schreiben behauptete Hohenecker, die IP-Adresse seiner Mandantin sei beim Abruf der Google Fonts an einen Google-Server in den USA übertragen worden, was der Frau "erhebliches Unwohlsein" verursacht habe. Möchte der Webseitenbetreiber eine Klage vermeiden, solle er 100 Euro Schadenersatz plus 90 Euro Spesen zahlen. Die Abwahn-Lawine wegen Google Fonts traf weit mehr als 30.000 österreichische Webseiten. Viele Betroffene dürften gezahlt haben; in durchgesickerten Chats haben Z. und ihr Anwalt über hereinbrechenden Reichtum gejubelt.

Ihre Masche nahm absurde Züge an: Weil so viele Schreiben automatisiert verschickt wurden, forderte Z. sogar von Hildegard von Bingen Schadenersatz. Die Klosterfrau lebte von 1098 bis 1179 in der heutigen Rheinland-Pfalz. Recherchen heise onlines haben keinen Hinweis erbracht, dass von Bingen für eine österreichische Webseite mit Google Fonts verantwortlich ist. Nicht eruiert haben wir, ob eines ihrer Kräuter gegen Z.s Unwohlsein helfen könnte.

Unter den Belästigten war neben der Toten auch ein lebendiger Kärntner Hotelier. Er wandte sich an den Rechtsanwalt Ulrich Salburg, der Z. aufforderte, eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben. Sie sollte die Webseite des Hotels einfach nicht mehr abrufen. Damit hätte sich auch zukünftiges Unwohlsein der datenschutzbewegten Frau erübrigt. Doch Z. reagierte nicht. Also landete die Sache vor einem Wiener Bezirksgericht.

Dieses hat nun entschieden, dass Z. die Webseite nicht mehr aufrufen darf, wie der ORF Kärnten berichtet. Eine schriftliche Ausfertigung der Entscheidung liegt heise online bislang nicht vor. Soweit bekannt, lehnt sich das Gericht an das im realen Leben bekannte Hausverbot an, das in Paragraph 354 ABGB (Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch) vorgesehen ist. Es erlaubt Eigentümern, dritte von der Nutzung des Eigent(h)ums auszuschließen.

Nach gängiger österreichischer Rechtsprechung greift dieses Recht jedenfalls dann nicht, wenn es in diskriminierender Weise durch einen monopolartigen Anbieter genutzt wird, der rechtlich zu Vertragsabschlüssen gezwungen ist. Man denke an die einzige Apotheke im Ort. Vor zehn Jahren hat der Oberste Gerichtshof Österreichs entschieden, dass ein Gasthaus durchaus ein Hausverbot gegen eine Person aussprechen darf, die sich im Gasthaus hauptsächlich dazu bewirten lässt, um bei der Gelegenheit nach möglichen Rechtsverstößen zu suchen und diese zur Anzeige zu bringen (OGH "Rauchersheriff" 4 Ob 48/14h).

Erstaunlicherweise pocht Frau Z. dennoch auf Ihr vermeintliches Recht, die für sie riskante Hotelwebseite abzurufen: Ihr Anwalt, auch in diesem Verfahren Marcus Hohenecker, hat laut Bericht Rechtsmittel gegen die aktuelle Gerichtsentscheidung angekündigt.

Im September ist der österreichische Massen-Abmahner bereits in Sachen Google Fonts gescheitert. Tatsächlich verklagte er im Namen Eva Z.s mindestens drei Webseitenbetreiber. Doch vor dem Bezirksgericht Wien Favoriten stellte sich bald heraus, dass Z. ihre Vorwürfe nicht beweisen kann. Weder konnte sie darlegen, dass sie durch den Schriftarten-Abruf geschädigt wurde, noch, dass ihre IP-Adresse tatsächlich in die USA übertragen wurde. Naheliegend ist, dass Google diese häufig angeforderten Dateien von Servern ausliefert, die möglichst nahe am User stehen, und nicht auf der anderen Seite des Atlantik. Schließlich soll es schnell und billig gehen.

Z. ließ in dem Verfahren alle Ansprüche fallen und muss die Verfahrenskosten aller Beteiligten tragen. Der grundsätzliche Umstand, dass es gegen die DSGVO verstoßen würde, ohne Zustimmung personenbezogene Daten in die USA zu übertragen, ist juristisch unstrittig. Die IP-Adresse eines persönlichen Internetzugangs ist ein personenbezogenes Datum. Daraus folgt aber nicht, dass ein solcher Verstoß stets Schaden verursacht, der zu ersetzen wäre. Genau daraus wollte Z. mithilfe Hoheneckers aber ein Geschäftsmodell machen.

Gegen die Beiden ermittelt die österreichische Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wegen gewerbsmäßiger Erpressung und schweren gewerbsmäßigen Betrugs. Außerdem ist oder war bei der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich ein Disziplinarverfahren gegen Hohenecker anhängig. Die Anwaltskammer hat jedoch gegenüber heise online jede Auskunft zu Stand oder Ausgang des Verfahrens verweigert. Lediglich die strengstmögliche Strafe, eine Streichung von der Anwaltsliste, würde öffentlich bekannt. Dazu hat sich die Anwaltskammer bislang nicht durchringen können.

Anwalt Salburg versucht, den Spieß umzudrehen: Er hat im Auftrag von 18 Opfern Abwehrschreiben aufgesetzt. Dafür fordert Salburg jeweils 60 Euro Aufwandsersatz von Z. – immerhin ein Drittel billiger, als die Massenschreiben Hoheneckers. Frau Z. empfiehlt Salburg übrigens, sich für entstandene Unkosten bei Hohenecker schadlos zu halten: "Wenn ich diese Eva wäre und die Klage bekomme, würde ich mich beim Anwalt regressieren, denn er hat sie falsch beraten", sagte Salburg im September zum ORF Kärnten.

Salburg ist übrigens jener Jurist, der ein Urteil gegen sogenannte Lootboxen in "FIFA"-Computerspielen erwirkt hat: Der Kauf dieser digitalen Güter ist demnach illegales Glücksspiel, weil der Käufer vorher nicht weiß, was in der gekauften Lootbox drin ist. Sony Interactive Entertainment wurde vor gut einem Jahr rechtskräftig dazu verurteilt, einem Salburg-Mandanten mehr als 300 Euro zurückzuerstatten.

(ds)