ISO-Spezifikation von OOXML ins Internet entfleucht

Die Blogger von "Boycott Novell" haben die nach ihren Angaben finale, 5560 Seiten starke Version der Norm für Microsofts Dokumentenformat Office Open XML veröffentlicht; ISO-Vertreter beklagen eine krasse Urheberrechtsverletzung.

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Die Blogger von "Boycott Novell" haben die ihren Angaben zufolge finale, 5560 Seiten starke Version der von der Internationalen Organisation für Normung (ISO) angenommenen Spezifikation für Microsofts Dokumentenformat Office Open XML (OOXML) veröffentlicht. Angesichts der vielen gemeldeten Unregelmäßigkeiten und Protesten rund um den Standardisierungsprozess wolle man die Geheimniskrämerei der ISO nicht mehr länger dulden, heißt es zur Begründung. Die Genfer Institution selbst hält die Spezifikation mit der offiziellen Nummer 29500 auch sieben Monate nach Bekanntgabe der Normierung noch immer unter Verschluss.

OOXML-Kritiker haben rasch herausgefunden, dass die ISO-Norm weiterhin den bekannten Jahr-1900-Fehler aus der Tabellenverarbeitung Excel zur Implementierung freigibt. Sauer aufgestoßen ist ihnen zudem eine Erklärung in dem umfangreichen Dokument zu den Zielen des Standards. Danach soll dieser die Integration von OOXML-Formaten in möglichst viele Werkzeuge und Plattformen erlauben, Interoperabilität zwischen Anwendungen in Bürosoftwarepaketen fördern und die Archivierung von Dateien unterstützen. Daneben steht der Zusatz, dass all dies in "voller Kompatibilität mit dem bestehenden Korpus an Microsoft-Office-Dokumenten" erfolgen solle.

Zudem danken die Verfasser der Spezifikation unter anderem Apple, BP, der British Library und der US-Kongressbibliothek, Intel, Microsoft, Novell, Statoil sowie Toshiba für ihre Unterstützung des Normierungsprozesses. Dieser Hinweis kann den OOXML-Gegnern zufolge für kartellrechtliche Beschwerden genutzt werden.

Alex Brown, der Zeremonienmeister der ISO bei der Normierung von Office Open XML, hat die Veröffentlichung des Texts in seinem Weblog in einer ersten Reaktion aus Genf als krassen Akt einer Urheberrechtsverletzung bezeichnet. Es sei noch nicht einmal klar gewesen, ob die offizielle OOXML-Norm überhaupt kostenfrei zur Verfügung gestellt werden sollte. Nun hätten die "Tölpel" schon einmal Fakten geschaffen – auch wenn sich die Genfer Anwälte die Finger nach ihnen lecken dürften. Die widerrechtliche Publizierung des Standardwerks könne in Ländern wie Großbritannien strafrechtlich verfolgt werden.

Das Fachblog Groklaw verweist derweil auf einen weiteren möglichen Schachzug von Microsoft-Anhängern im Wettstreit der Dokumentenformate. Demnach hat das für diesen Bereich zuständige Arbeitskomitee der ISO, das Gremium JTC 1/SC 34, auf seiner jüngsten Sitzung Anfang Oktober in Korea die Einführung eines aufeinander abgestimmten Mechanismus zur Pflege auch der bereits 2006 von der Genfer Einrichtung zertifizierten offenen Dokumentennorm Open Document Format (ODF) mit der Standardisierungseinrichtung OASIS gefordert. Die Organization for the Advancement of Structured Information Standards hatte die ODF-Zertifizierung bei der ISO vorangetrieben und kümmert sich nach wie vor hauptsächlich um die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der Norm.

Angesichts der Tatsache, dass zehn von 19 Mitgliedern des ISO-Komitees SC 34 "direkt" von Microsoft oder der von den Redmondern vorgeschalteten Normierungseinrichtung ECMA (European Computer Manufacturers Association) kontrolliert würden, fürchten die Blogger von Groklaw eine Art feindlicher Umarmung und Übernahme von ODF. Dazu passen Brüsseler Gerüchte aus dem OASIS-Umfeld, wonach die von Microsoft angekündigte Implementierung von ODF im nächsten Office-Paket aus Redmond bislang nicht als kompatibel zu OpenOffice angesehen werden könne. Im ODF-Format Microsofts abgespeicherte Dateien sollen danach unter der freien Software-Suite nicht zu öffnen sein. (Stefan Krempl) / (pmz)