KI und Machtkonzentration: Wie ChatGPT & Co. die Macht von Big Tech verfestigen

Das AI Now Institute untersucht im Jahresbericht 2023 die Machtkonzentration in der Techbranche – Anregungen, wie KMU und Staaten darauf reagieren können.

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Jahresbericht des AI Now Institute aus New York zur Machtkonzentration in der Technikbranche, Deckblatt als Aufmacherbild (Screenshot)

AI Now 2023 Landscape: Confronting Tech Power

(Bild: AI Now Institute)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Silke Hahn
Inhaltsverzeichnis

Keine KI ohne Big Tech: Die Entwicklung der KI-Grundlagentechnologie hängt vom Zugang zu großen Datenmengen und zu erheblichen Geld- und Hardwareressourcen ab. Aus dieser Abhängigkeit ergebe sich eine der schwierigsten Herausforderungen unserer Zeit, mahnt ein aktueller Überblick über die KI-Landschaft. "Confronting Tech Power" heißt die aktuelle Ausgabe des AI-Now-Berichts. Die Konzentration wirtschaftlicher und politischer Macht in den Händen der Tech-Industrie und insbesondere bei Großkonzernen nimmt der seit 2018 jährlich erscheinende Bericht kritisch unter die Lupe. Konfrontation mit der Tech-Macht, oder frei übersetzt: "Der Machtkonzentration in der Tech-Branche etwas entgegensetzen" ist das titelgebende Motto – AI Now 2023 befasst sich mit den gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen von KI.

Es gibt keine Künstliche Intelligenz ohne Big Tech, lautet die Bestandsaufnahme durch das AI Now Institute mit Sitz in New York. Mit "Big Tech" ist eine Handvoll in den US verankerter Konzernriesen gemeint. Der Begriff ist seit 2013 gebräuchlich als Kürzel für Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft (GAFAM), mitunter werden auch Unternehmen wie Uber und Twitter hinzugezählt. Durch seine Marktmacht und die enge Anbindung an den Hauptsponsor Microsoft dürfte OpenAI ebenfalls unter den Begriff fallen. Eine differenzierte Erklärung, was es mit Big Tech auf sich hat, steht im Executive Summary des Berichts.

Big Tech: Konzerne am längeren Hebel

"Big Tech" als Begriff lenkt die Aufmerksamkeit auf die Größenordnung, in der die damit bezeichneten Unternehmen operieren. Die sich selbst verstärkenden Netzwerkeffekte, Daten und Infrastrukturvorteile, die sie angehäuft haben, ermöglichen es ihnen, Konkurrenten auszubooten. Die finanzielle Hebelwirkung von Big Tech hat es diesen Firmen ermöglicht, ihren Vorteil in verschiedenen Sektoren zu konsolidieren, von den Sozialen Medien über das Gesundheitswesen bis zum Bildungswesen, oft untermauert durch strategische Übernahmen. Diese Firmen versuchen, ihren Vorteil durch Lobbyarbeit und ähnliche Strategien, die "ihre tiefen Taschen nutzen", vor Regulierung zu schützen.

Konzerne sind schwer zu greifen – Lehren aus Big Oil und Big Pharma

In Anlehnung an die Erzählungen über "Big Tobacco", "Big Pharma" und "Big Oil" stützt sich dieses Framing auf Lehren aus anderen Bereichen, in denen die industrielle Konsolidierung von Macht und missbräuchlichen Praktiken zu Bewegungen geführt hat, die öffentliche Rechenschaftspflicht fordern. Jüngste Namensänderungen wie Google zu Alphabet oder Facebook zu Meta machen den Begriff Big Tech ebenfalls hilfreich, um die Ausdehnung dieser Unternehmen und ihre sich ständig verändernden Konturen zu erfassen.

Die Konzentration auf Big Tech ist für technologiepolitische Interventionen sinnvoll:

  • Probleme: Ein Fokus auf Big-Tech-Unternehmen hilft, grundlegende Probleme zu identifizieren. Datensammlung und Massenüberwachung, die Manipulation individueller und kollektiver Autonomie, die Konsolidierung wirtschaftlicher Macht und die Verschärfung von Mustern der Ungleichheit und Diskriminierung führen zu Schäden, die erst im Gesamtbild verständlich werden.
  • Folgen: Das Geschäfts- und Regulierungskonzept von Big Tech hat Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem, indem es andere Unternehmen dazu anregt oder zwingt, sich ihm anzuschließen. Das Geschäftsmodell verhaltensorientierter Werbung durch Google und Facebook machte die kommerzielle Überwachung zum Geschäftsmodell des Internets – um ein Beispiel zu nennen.
  • Gatekeeping: Die wachsende Abhängigkeit der gesamten Technologiebranche und der Regierungen von Big Tech macht diese Unternehmen zu "Single Points of Failure". Eine zentrale Geschäftsstrategie besteht darin, sich selbst zur Infrastruktur zu machen, und ein Großteil des breiteren Tech-Ökosystems hängt auf die eine oder andere Weise von ihnen ab, vom Cloud Computing über das Werbe-Ökosystem bis hin zu den Finanzdienstleistungen. Das macht die Unternehmen zu einem Engpass und zu einem "Single Point of Failure".

    Ein Übergreifen auf den öffentlichen Sektor ist zu beobachten. Zahlreiche Anbieter verkaufen eigene KI- und Technologieprodukte an Regierungsbehörden. Während der Pandemie trat die Abhängigkeit von Regierungen von den Angeboten großer Tech-Konzerne deutlich zutage. Viele Staaten nutzten Infrastrukturen, Netzwerke und Plattformen von Big Tech für grundlegende Regierungsfunktionen.

Der vollständige Bericht steht auf der Website des AI Now Institute bereit.

Machine Learning und KI sind grundlegend auf Ressourcen angewiesen, die sich im Besitz und unter der Kontrolle einer Handvoll großer Technologieunternehmen befinden. Big Tech dominiere die KI-Wirtschaft durch den Zugriff auf Daten und Rechenleistung. Zudem sind KI-Systeme mehr als nur rein kommerzielle Produkte, ihnen kommt auch geopolitisch eine erhebliche strategische Bedeutung zu. Der Bericht ist laut seinen Herausgebern eine strategische Anleitung, um die künftige Entwicklung der KI und der hinter ihr stehenden Technologiebranche so zu gestalten, dass sie dem öffentlichen Interesse dient.

Auswirkungen von ChatGPT sind bereits in den Bericht eingegangen, da die Markteinführung noch im Untersuchungszeitraum stattfand. Firmen üben Kontrolle über die für Machine Learning notwendigen Ressourcen aktiv aus, um den Wettbewerb zu drosseln. So hat offenbar Microsoft im Frühjahr 2023 damit begonnen, Kunden für die Entwicklung potenzieller Konkurrenzprodukte zu GPT-4 abzustrafen, indem es ihnen droht, den Zugang zu den Bing-Suchdaten einzuschränken, besagt der Report. In acht Kapiteln erschließt AI Now die KI-Landschaft 2023 – Die AI Now 2023 AI Landscape bereitet für jeden Bereich Fallbeispiele auf:

  • ChatGPT und große KI-Modelle verfestigen die Macht von Big Tech
  • Toxischer Wettbewerb: Regulierung als Vorteil von Big Tech
  • Algorithmische Verantwortlichkeit
  • Algorithmen handhaben: Regeln, um die Überwachung am Arbeitsplatz einzudämmen
  • Antitrust: Zeit für Strukturreformen bei Big Tech
  • Biometrische Überwachung breitet sich aus
  • Digitale Handelsabkommen
  • USA und China im Wettlauf: KI-Regulierung als Regelwerk für die Industrie

Drei Themenkomplexe werden in "Spotlights" vertieft:

  • Datenminimierung für verantwortlichen Umgang mit KI
  • Tech- und Finanzkapital
  • Klimakosten durch Big Tech

Künstliche Intelligenz ist ein datengetriebenes Unterfangen und benötigt starke Rechenleistung durch geeignete Hardware zum Trainieren, Feinjustieren und Betrieb großer Modelle. Da das teuer ist, stoßen insbesondere kleinere Projekte aus der akademischen Forschung, aber auch Start-ups und gemeinnützige Initiativen rasch an Grenzen, um mit den kommerziellen Produkten mitzuhalten. Prozessoren und entsprechende Rechenzentren (sowie deren Betrieb) sowie das Einstellen qualifizierter Fachkräfte und Skalieren der Modelle in den Multi-Milliarden-Parameter-Bereich bedingen materielle Notwendigkeiten, die etwa gemeinnützige Projekte, aber auch Universitäten ohne die Unterstützung finanzkräftiger Sponsoren in der Regel nicht stemmen können.

Eine eigene Infrastruktur mit Hochleistungsrechenclustern betreiben nicht viele Unternehmen. So gibt es zwar zahlreiche Start-ups, die jedoch ihre Serverinfrastruktur oftmals mieten und miteinander darum konkurrieren, später von einem der Big-Tech-Konzerne aufgekauft zu werden, heißt es im Bericht. In den letzten Jahrzehnten habe eine Handvoll privater Akteure so viel Macht und Ressourcen angehäuft, dass sie mit Nationalstaaten konkurrieren könnten. Unterdessen entwickeln sie KI als wichtige soziale Infrastruktur weiter und Ansätze einer Monopolbildung finden bereits statt, woraus sich für Staaten und Gemeinschaften ungünstige Abhängigkeiten bei der Versorgung mit grundlegender Technologie ergeben könnten. Zudem hätten demokratisch verfasste Gemeinschaften zunehmend weniger Möglichkeiten, auf die Gestaltung der Technologie Einfluss zu nehmen.

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SILICON DOCKS: Satire über Big Tech
SILICON DOCKS: Satire auf Big Tech und die Sozialen Medien vom irischen Regisseur Graham Jones, erschienen bei YouTube

SILICON DOCKS

(Bild: Graham Jones / YouTube)

Der irische Regisseur Graham Jones hat sich in künstlerisch-kritischer Form mit dem Thema Big Tech auseinandergesetzt. Sein neuer Animationsfilm SILICON DOCKS porträtiert eine Gruppe amerikanischer Tech-Größen, die sich an einem verregneten Nachmittag in Dublin verirrt haben. In dem Film geht es in satirisch-bissiger Form um Soziale Medien, Desinformation und die Realität im heutigen Internet – einschließlich der "Zickenkriege" zwischen etwa Elon Musk, Jack Dorsey, Jeff Bezos und Mark Zuckerberg. Der Film nimmt neben Big Tech besonders die Sozialen Medien selbst aufs Korn: An einer Stelle findet sich einer der Tech-Giganten auf seiner eigenen Plattform gefangen, über die der Film gerade gestreamt wird.

"Let's see how these doctors of the internet react to a taste of their own medicine", erklärte der Regisseur gegenüber Heise mit einem Augenzwinkern (Mal sehen, wie diesen Internetmachern eine Kostprobe ihrer eigenen Medizin schmeckt).

Für Graham Jones ist es bereits der zehnte Film als Regisseur. Einige seiner früheren Filme sind in Kinos gelaufen und auf DVD erschienen. Der Film entstand während der Pandemie mit begrenzten Mitteln. Für SILICON DOCKS haben Graham und sein Team passend zum Thema eine nicht-kommerzielle Vertriebsform gewählt und stellen die Satire über die Sozialen Medien in ebendiesen Medien bereit. SILICON DOCKS ist daher frei auf YouTube verfügbar.

Eine Filmbesprechung liefert das Animation Magazine. Der Film ist in voller Länge auf YouTube zu sehen. Einen zweiminütigen Kurzclip (eine Szene mit Jeff Bezos und einem typischen Iren) finden Neugierige dort auch. Weitere Hinweise sind im Twitterprofil des Regisseurs zu finden.

Vier strategische Maßnahmen schlagen die Autorinnen und Autoren von AI Now 2023 Gesetzgebern, Staaten und Organisationen im Umgang mit Big Tech vor, um das Implementieren von KI im Sinne der Öffentlichkeit zu gestalten:

  • Beweislast umkehren
  • Silos aufbrechen
  • Aushöhlen politischer Ansätze verhindern
  • Konzept für den Wandel durch KI möglichst breit anlegen

Die Öffentlichkeit und Behörden seien überfordert damit, ständig zu ermitteln und Lösungen für Schäden nach deren Eintreten zu finden. AI Now schlägt daher vor, die Pflicht zum Nachweisen von Unschädlichkeit den Unternehmen aufzubürden, die KI-Systeme anbieten und kommerziell in den Markt einführen. Über alle Politikbereiche hinweg gelte es, Silos aufzubrechen. So könnten Gesetzgeber, Politiker und Fachgremien sich besser abstimmen und vorbereiten, wenn das Vorantreiben einer Agenda Auswirkungen auf andere Fachbereiche hat. Bislang nutzen Unternehmen und ihre Lobbyisten die Isolation der einzelnen Politikbereiche zu ihren Gunsten aus.

Wichtig sei es, rechtzeitig zu erkennen, wenn politische Ansätze von der Industrie vereinnahmt und ausgehöhlt würden: Hier gelte es, zu handeln und Gegenstrategien zu entwickeln. Staaten und Organisationen rät AI Now, den engen Fokus auf einzelne gesetzgeberische und politische Hebel zu verlassen und stattdessen breiter angelegte Konzepte für Veränderungen zu entwerfen, die nicht an einzelnen Maßnahmen hängen.

An der aktuellen Ausgabe haben zahlreiche Mitglieder der KI-Community mitgewirkt und Beiträge verfasst. Das Forschungsteam des Instituts verfügt über Fachwissen in Soziologie, Jura und Geschichte sowie in technischen Gebieten. Der vollständige Bericht "AI Now 2023 Landscape: Confronting Tech Power" steht im Internet als HTML-Text und im PDF-Format zum Download bereit. Wer sich genauer informieren will, kann direkt in den Bericht eintauchen oder zum Einstieg zunächst die Schlaglichter im Executive Summary lesen.

Das AI Now Institute ist eine US-amerikanische Forschungseinrichtung an der New York University (NYU), die die sozialen Auswirkungen künstlicher Intelligenz untersucht. Es wurde 2017 von Kate Crawford und Meredith Whittaker, der Vorständin von Signal, gegründet, im Anschluss an ein 2016 vom Weißen Haus (damals unter Präsident Barrack Obama) veranstaltetes Symposium. Seit 2018 veröffentlicht AI Now jährlich einen Bericht zu den sozialen Auswirkungen der KI-Entwicklung. Arbeit und Automatisierung, Ethik, Bildung, Justiz (sowie Fairness bei Strafverfahren), Gesundheit, soziale (Un-)Gleichheit, Rechte und Freiheiten, Vorurteile und Inklusion, Sicherheit und zivile Infrastruktur sind Schwerpunkte. Die NYU war seit der Gründung des Instituts dessen Partner. Das AI Now Institute gibt an, als erste akademische Forschungseinrichtung die sozialen Auswirkungen von KI zu untersuchen, und es gilt als das erste KI-Institut, das von Frauen gegründet wurde und geleitet wird.

Die Instituts-Mitgründerin Kate Crawford gilt als eine der weltweit führenden Forscherinnen zu den gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen von KI, ihr Atlas of AI (Power, Politics, and the Planetary Costs of Artificial Intelligence) ist ein einschlägiges Werk zum Thema. Crawford ist Professorin an der USC Annenberg, zudem berät sie Microsoft in Ethikfragen. Sie berät Gesetzgeber und Gremien, etwa die Vereinten Nationen, die Federal Trade Commission (die Verbraucherschutzbehörde der USA), das Europäische Parlament, die Australische Menschenrechtskommission und das Weiße Haus.

(sih)