Kritik an "offenen" IT-Standards der großen Koalition

Der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur spricht von einer geplanten "Umdefinition" der Kernbestimmung im Antrag von Schwarz-Rot zu offenen Dokumentenstandards in Wirtschaft und Verwaltung.

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Der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) hat den Entwurf eines Antrags der Regierungskoalition zur Förderung offener Dokumentenstandards in Wirtschaft und Verwaltung scharf kritisiert. Die Mittelstandsvereinigung spricht von einer geplanten "Umdefinition" der Kernbestimmung in dem Papier, das am morgigen Mittwoch vom federführenden Bundestagsausschuss für Wirtschaft und Technologie beraten werden soll. Die im Prinzip begrüßenswerte Sache habe leider einen Haken, heißt es beim FFII. Der Antrag definiere "offene Standards" derart weit, dass auch gebührenpflichtige patentierte Standards gemeint sein können. Dies stehe im Widerspruch zu "freien" Standards, wie sie in der Open-Source-Welt gang und gebe seien, und sei zudem mit europäischen Standardvorgaben nicht vereinbar.

Standards sollen gemäß dem Antrag als "offen" betrachtet werden, wenn sie den Austausch zwischen verschiedenen Plattformen und Applikationen ermöglichen und ausreichend dokumentiert sind. "Die Schnittstellen müssen offen gelegt, die technischen Spezifikationen auch umsetzbar sein, und ihre Nutzung muss zu fairen und diskriminierungsfreien Konditionen lizenziert werden", heißt es in dem Papier. Der letzte Satz war auf Drängen von Konzernen wie Microsoft in den Antrag aufgenommen worden. Er umschreibt die so genannte "RAND"-Lizenzierung (Reasonable And Non-Discriminatory), wonach Nutzer eines Standards üblicherweise dafür Geld bezahlen oder sonstige Leistungen erbringen müssen. Diese Konditionen sind dem FFII zufolge mit freier Software, wie sie der Bundestag etwa für seine Server einsetzt, nicht vereinbar: "Letztlich sind sie weder fair noch diskriminierungsfrei."

Organisationen und Verbände der Computerindustrie wie die CompTIA oder die Business Software Alliance (BSA), die Branchengrößen wie Microsoft oder Intel zu ihren Mitgliedern zählen, machen sich auf EU-Ebene seit längerem für eine Festschreibung von RAND-Konditionen stark. Sie sehen in Open Source eine Bedrohung des Software-Ökosystems, wobei es ihnen vor allem um die Durchsetzung von Patentrechten geht. Nichtsdestoweniger machen die Empfehlungen der EU-Kommission für den öffentlichen Behördenverkehr im European Interoperability Framework for panEuropean eGovernment Services zur Bedingung offener Standards, dass die Spezifikation entweder frei oder gegen eine genannte Schutzgebühr verfügbar ist. Sollten der Standard oder Teile davon von gewerblichen Schutzrechten betroffen sein, müssten diese "unwiderruflich gebührenfrei" für die Nutzung zur Verfügung gestellt werden.

Das EU-Parlament hat bei seiner jüngsten Forderung nach offenen Standards im so genannten Gierek-Report zur Innovationspolitik ebenfalls keine RAND-Bedingungen ins Spiel gebracht. Zuvor stemmte sich 2002 auch das World Wide Web Consortium (W3C) gegen Versuche, "zu fairen und diskriminierungsfreien Konditionen lizenzierte Standards" im Web-Bereich zu verankern. Doch was auf internationaler Ebene nicht gelungen sei, versuchen "Microsoft-treue Lobby-Verbände" dem FFII zufolge nun über den Bundestag. Da der Antrag selbst die Regierung ansonsten nicht wirklich zum Handeln verpflichte, größtenteils unverbindlich sei und daher vermutlich rasch in den Akten verschwinden werde, würden die großen Interessensvereinigungen der Software-Industrie so letztlich die Standard-Definition zitieren können, "um ihren Feldzug zur Aussperrung von freier Software aus dem öffentlichen Bereich besser zu führen". Der FFII macht sich daher für eine Begriffsbestimmung stark, womit die Nutzung offener Standards "für jedermann ohne Gebühren oder sonstige belastende Lizenzbedingungen erlaubt sein muss".

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(Stefan Krempl) / (jk)