Menschenrechtsgerichtshof: Staaten dürfen Ausländer nicht digital ausspähen

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat gegenüber Großbritannien geurteilt, dass Personen außerhalb der Landesgrenzen kein Überwachungsfreiwild sind.

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(Bild: Wit Olszewski/shutterstock.com)

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Mit einem am Dienstag veröffentlichten Urteil hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Großbritannien für seine berühmt-berüchtigte digitale Massenüberwachung zur Verantwortung gezogen, auch wenn diese Personen außerhalb der Grenzen des Vereinigten Königreichs betrifft. In dem Fall beklagten die IT-Sicherheitsforscher Claudio Guarnieri vom Security Lab von Amnesty International in Berlin und Joshua Wieder den fehlenden Zugang zu Rechtsbehelfsmechanismen für potenzielle Verletzungen ihrer Rechte auf Privatsphäre und Meinungsfreiheit durch britische Geheimdienste vor dem Straßburger Gericht.

Die Kläger monierten konkret, dass ihre Kommunikation von den britischen Geheimdiensten wie dem GCHQ abgefangen und abgerufen wurde. Davon sei entweder aufgrund des britischen Systems zur Massenüberwachung inklusive breiter Befugnis zum staatlichen Hacking oder im Rahmen von Vereinbarungen zum Informationsaustausch mit US-Geheimdiensten wie der NSA auszugehen. Der britische High Court hatte bereits 2021 die GCHQ-Spionageaktivitäten beleuchtet und teils eingeschränkt. Da Guarnieri und Wieder außerhalb Großbritanniens leben, weigerte sich das für die Kontrolle der britischen Sicherheitsbehörden zuständige Investigatory Powers Tribunal (IPT) aber, ihre Beschwerden zu untersuchen. Damit blieb ihnen ein angemessener Rechtsbehelf verwehrt und der weitere Klageweg in Großbritannien verschlossen.

Die Straßburger Richter heben in dem Beschluss (Az.: 64371/16 und 64407/16) nun hervor, dass "ein Eingriff in die Privatsphäre der Kommunikation eindeutig dort erfolgt", wo diese "abgefangen, durchsucht, untersucht und verwendet wird". Dort fänden auch die daraus resultierenden Grundrechtseingriffe in Bezug auf den Sender beziehungsweise den Empfänger statt. Weiter folgerte der EMGR: Da das Vereinigte Königreich die Kommunikation der Beschwerdeführer auf seinem Hoheitsgebiet ausspähte, sei es auch für die Einschnitte insbesondere in das Recht auf Privatsphäre territorial zuständig.

Das Gericht unterstrich zudem, dass bei der massenhaften Überwachung von Kommunikationsdiensten der Aufwand für die Kläger, ihre eigene Betroffenheit nachzuweisen, "nicht unangemessen hoch sein darf". Hierzulande scheitern viele Beschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht an diesem Punkt. Der EMGR kam im Lichte seiner früheren Rechtsprechung letztlich zu dem Schluss, dass ein Verstoß gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorliegt, der den Schutz der Privatsphäre verbrieft.

Ilia Siatitsa, Rechtsexpertin der britischen Bürgerrechtsorganisation Privacy International, wertet das Urteil als "wichtigen Meilenstein für den Schutz der Privatsphäre und die Wahrnehmung der Menschenrechte im digitalen Zeitalter". Die sich ständig erweiternden technischen Möglichkeiten hätten die Staaten in die Lage versetzt, "weit über ihre traditionellen Grenzen hinaus zu spionieren und ihnen einen beispiellosen Zugang zu den Informationen und dem Leben der Menschen zu gewähren". Regierungen dürften nun aber nicht mehr davon ausgehen, "dass die digitale Überwachung ohne Konsequenzen bleibt oder dass sie sich der Rechenschaftspflicht entziehen können, indem sie Menschen außerhalb ihrer Grenzen ins Visier nehmen". Der EGMR betone nachdrücklich, dass Sicherheitsbehörden "für die Auswirkungen ihrer Handlungen verantwortlich gemacht werden müssen, egal wo sie stattfinden".

(axk)