Nach Gerichtsverbot: Portugal nimmt neuen Anlauf zur Vorratsdatenspeicherung

Nach 476 Tagen Debatte haben sich die großen Parteien Portugals auf einen Entwurf geeinigt, der das sechsmonatige Protokollieren von Nutzerspuren vorsieht.

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Futuristische Datenmatrix

(Bild: Color4260/Shutterstock.com)

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Für Datenschützer ist die Vorratsdatenspeicherung seit Langem ein "Zombie", der immer wieder sein Haupt erhebt. Dies bestätigt sich aktuell erneut in Portugal. Dort haben sich die zwei großen Volksparteien, die sozialdemokratische PS und die konservativ-liberale PSD, mit Unterstützung weiterer parlamentarischer Kräfte und der Regierung auf einen weiteren Gesetzentwurf zum anlasslosen Protokollieren von Nutzerspuren verständigt. Dies berichtet die portugiesische Wochenzeitung Diário de Notícias. Im Kern soll damit eine sechsmonatige Speicherung von Standort- und Verbindungsdaten eingeführt werden.

Die Initiative überrascht, da das portugiesische Verfassungsgericht im April 2022 die entscheidenden Klauseln zur Vorratsdatenspeicherung in einem nationalen Gesetz von 2008 für verfassungswidrig erklärte. Die für nichtig befundenen Artikel sahen vor, dass die Anbieter von Telekommunikations- und Internetdiensten Nutzerspuren selbst bei vergeblichen Anrufversuchen für einen Zeitraum von einem Jahr vorhalten und zur Verhütung sowie Verfolgung schwerer Straftaten herausgeben mussten. Das Tribunal Constitucional (TC) kam im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Schluss, dass "eine undifferenzierte und verallgemeinerte Verpflichtung zur Speicherung" sämtlicher Verkehrsdaten aller Personen "das Recht auf Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung in unverhältnismäßiger Weise einschränkt".

Nach der TC-Ansage erwogen Regierung und Parlament in Portugal zunächst, auf eine "freiwillige" Vorratsdatenspeicherung durch die Telekommunikationsfirmen zu setzen. Diese Idee gaben sie aber rasch wieder auf. Stattdessen richteten die zuständigen Politiker eine Arbeitsgruppe ein, die das Streitthema 476 Tage lang in 13 Sitzungen und sieben Expertenanhörungen beackerte. Dabei befragten sie neben der nationalen Kriminalpolizei etwa auch die Datenschutzbehörde und die Bürgerrechtsorganisation Defesa dos Direitos Digitais (D3), die das frühere Gesetz zu Fall gebracht hatte.

Das Ergebnis, das die großen Parteien nun übernommen haben, sieht ähnlich aus wie die gekippte einstige Vorlage. Demnach sollen Verbindungs- und Standortdaten der Zeitung zufolge ohne Verdacht für "drei Monate ab dem Datum des Abschlusses der Kommunikation" gespeichert werden. Dieser Zeitraum wird automatisch auf bis zu sechs Monate verlängert, wenn der betroffene Nutzer nicht ausdrücklich widerspricht. In Fällen mit "begründeter richterlicher Genehmigung" kann diese Frist bis zu einem Jahr betragen. Der neue Entwurf sieht zudem vor, dass bei Zugriff auf Daten die Inhaber "innerhalb von maximal zehn Tagen" benachrichtigt werden, sofern die Staatsanwaltschaft keine Einwände erhebt. Weitere Voraussetzung ist, dass die Nutzerspuren in Portugal oder einem EU-Staat vorgehalten werden.

Unter anderem der Datenschützer Francisco Pereira Coutinho und die Verfassungsrechtlerin Teresa Violante zeigten sich laut dem Bericht überzeugt, dass dem neuen Vorstoß das gleiche Schicksal drohe wie dem Vorläufer. Andere Rechtswissenschaftler verwiesen darauf, dass laut neueren EuGH-Urteilen allenfalls ein allgemeines und unterschiedsloses Aufbewahren von IP-Adressen für "die Bekämpfung schwerer Kriminalität und die Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit" zulässig sein könnte. Hierzulande urteilte das Bundesverwaltungsgericht jüngst, dass die von der einstigen großen Koalition ins Telekommunikationsgesetz eingefügte Pflicht für Diensteanbieter zum verdachtsunabhängigen monatelangen Speichern von Nutzerspuren "in vollem Umfang unvereinbar" ist mit dem EU-Recht.

(bme)