Nicht nur beim E-Rezept: Software lässt Ärzte und Praxispersonal verzweifeln

Ärzte sind zum Ausstellen des E-Rezepts verpflichtet und dafür auf funktionierende Software angewiesen. Was technische Probleme für Ärzte bedeuten.

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Arzt stützt Kopf in die Hände und sitzt vor einem Kartenlesegerät und Kabeln

(Bild: Tero Vesalainen/Shutterstock.com)

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Seit Jahresbeginn berichten Ärzte immer wieder über Probleme mit ihrer Praxis-IT und der Anbindung an die Telematikinfrastruktur (TI). Grund dafür sind unter anderem Probleme zwischen Konnektoren – spezielle Router für die TI-Anbindung – und Praxisverwaltungssystemen, mit denen Ärzte E-Rezepte und elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (eAU) in die TI übermitteln. Der dafür nötige Konnektor kann sich in der Arztpraxis oder im Rechenzentrum befinden.

Besonders stark betroffen waren nach Angaben verschiedener IT-Systemhäuser Anwender des Praxisverwaltungssystems Medistar von Compugroup Medical (CGM) – ebenfalls Hersteller des Konnektors "KoCoBox".

"Mit Beginn des neuen Jahres kam es plötzlich zu sehr starken Verzögerungen bei allen Anwendungen der Telematikinfrastruktur. Nicht nur, dass das Ausstellen eines E-Rezepts über vier Minuten dauerte, auch das Einlesen der Versichertenkarte oder die Versendung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dauert mehrere Minuten", sagt eine der betroffenen Ärztinnen, Dr. Elke Tolksdorff aus Berlin. Dadurch kam es zu "massiven Störungen im Praxisablauf – von der Anmeldung bis zum Sprechzimmer".

Damit werde Zeit verschwendet, die bei Ärzten ohnehin schon ein knappes Gut ist – auch aufgrund von meist selbstständig und auf eigene Kosten organisierte Fortbildungen, um die Praxis-IT, beziehungsweise deren Störungen, zu verstehen.

Tolksdorff hatte sich vor 20 Jahren für das Praxisverwaltungssystem Medistar entschieden, hauptsächlich aufgrund der Nutzeroberfläche und der Möglichkeit, eigene Praxisabläufe und Systemabfragen zu erzeugen. Inzwischen hat die Ärztin den Konnektor in das Rechenzentrum des Konnektor-as-a-Service-Anbieters RED Medical verlagert. Ärzte seien auf Firmen wie CGM angewiesen, aktuell verursache die Telematikinfrastruktur Frust und Ohnmacht bei den Ärzten, da vieles nicht funktioniert, erhebliche Kosten verursacht und die Patientenversorgung nicht erleichtert. "Auch der Postverkehr über KIM (Anm. d. Red.: Kommunikation im Medizinwesen) ist spärlich, vielleicht drei Briefe die Woche, der Briefkasten an der Tür ist immer noch proppenvoll", so Tolksdorff. Auch nach der elektronischen Patientenakte frage kein Patient.

Nach den Anfang des Jahres auftretenden Verzögerungen hatte sich die Allgemeinmedizinerin bei RED Medical beschwert. Demnach dauerte es nicht nur sehr lange, bis TI-Anwendungen reagierten, "sondern die gesamte Medistarfunktionalität" war nicht benutzbar war, da "jede Aktion (Patientenaufruf, Überweisung, Warteliste und weitere) zur Fehlermeldung 'Programm reagiert nicht' führte. Die nicht TI-verbundenen Tasks funktionierten jedoch normal".

Inzwischen hat RED reagiert und die Arztpraxis auf einen anderen Konnektor der Firma Secunet umgezogen. Nach einer Analyse durch die CGM und betroffenen Praxen konnte laut Raphael de Rose, Geschäftsführer des IT-Systemhauses MdeRS Datentechnik GmbH, eine Einstellung identifiziert werden, die eigentlich den Versand der E-Rezepte für den Anwender optimieren sollte. Demnach läuft es nach Abschaltung der Optimierung in der Praxis nun wieder rund.

Auch die Praxis von Dr. Marius Martin aus Emstek brachten die technischen Probleme rund um die Telematikinfrastruktur in der Vergangenheit dazu, ein externes Unternehmen für den Support zu beauftragen und einen Mitarbeiter eigens für Fragen zur Praxis-IT, speziell zur Telematikinfrastruktur, einzustellen. Die Störungen in den Griff zu bekommen, war häufig nur mithilfe der Medistar-Supportforen möglich. "Das Praxisverwaltungssystem soll einfach funktionieren, anstatt Mehrarbeit und Frustration bei allen Mitarbeitern der Praxis zu erzeugen", so Martin.

Auf eine von heise online erstellte Umfrage in einer Facebook-Gruppe mit mehr als 3.000 Mitgliedern, die sich zu Problemen bei dem Praxisverwaltungssystem Medistar von CGM austauschen, meldeten sich zahlreiche weitere Betroffene.

Umfrage in einer Facebook-Gruppe zu Medistar-Schwierigkeiten nach dem letzten Update

Gefragt wurde, in welcher Konstellation, also mit welchem Konnektor, die Probleme auftraten. Ein Großteil der Befragten gab an, Probleme mit CGMs KoCoBoxen zu haben.

Laut RED Medical-Chef Jochen Brüggemann und de Rose besteht die Vermutung, dass seit dem Pflichtupdate zum neuen Quartal (Update 100 und 101) ein Problem der Software bei der Ansteuerung der TI-Konnektoren existiert. Die Schwierigkeiten treten bei allen Konnektortypen auf und auch unabhängig davon, ob lokale oder Rechenzentrumskonnektoren verwendet werden. Aktuell unternehmen RED und MdeRS verschiedene Maßnahmen, um zumindest ihre Kunden bei den massiven Performanceproblemen der Software zu unterstützen.

Dabei haben auch schon vergangene Updates von CGM Ärzte verärgert. Oft sei es auch schwer, die Ursachen der Störungen zu identifizieren. Vor allem sei problematisch, dass seit dem Update KIM-Adressen sich nicht mehr neu registrieren oder de-registrieren lassen. "Ein neuerlicher Fehler führt offenbar dazu, dass die Registrierung beziehungsweise De-Registrierung der CGM-KIM-Adressen bei Medistar-Kunden gestört ist", sagt de Rose. Demnach sei ein inoffizieller Workaround, die zwingend vorgeschriebene Verschlüsselung zwischen Konnektor und Medistar kurzzeitig für die (De-)Registrierung zu deaktivieren. Während des laufenden Praxisbetriebs, aber auch bei Konnektoren in Rechenzentren, ist das jedoch nicht ohne Weiteres möglich und auch rechtlich fragwürdig.

Zu aktuellen Problemen von Medistar befragt, verwies die Gematik mit dem Hinweis, dass keine Störung der Telematikinfrastruktur vorliege, direkt an den Medistar-Hersteller. CGM antwortete auf eine Anfrage: "Wir arbeiten unter Hochdruck gemeinsam mit allen Beteiligten an der Analyse und schnellstmöglichen Lösung. Unseren bisherigen Erkenntnissen nach sind spezifische Kunden mit besonderen technischen Konstellationen betroffen." Angaben zur Zahl der Betroffenen machte CGM nicht.

Ein Teil der Software-Hersteller scheint mit den Anforderungen der für die Digitalisierung zuständigen Gematik überfordert, die Gematik hingegen mit den Software-Herstellern, die Fristen nicht einhalten, wie auch schon Beispiele aus der Vergangenheit gezeigt haben. Um diesem Missstand zu begegnen, soll die Gematik in Zukunft zur Digitalagentur des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) umgebaut werden.

Die Ärzte hingegen müssen ihre IT aktuell halten, ansonsten drohen Kürzungen bei der TI-Pauschale, mit der Ärzte die IT finanzieren sollen, oder im schlimmsten Fall sogar Honorarkürzungen – beispielsweise 1 Prozent, wenn das E-Rezept nicht in der Software implementiert ist. Die Problematik mit dem durchwachsenen Zustand der Praxisverwaltungssysteme hat auch der Gesetzgeber erkannt und will mit mehr Interoperabilität einen einfacheren Wechsel der Systeme ermöglichen.

Laut Ärztenachrichtendienst sprach Gesundheitsminister Karl Lauterbach kürzlich davon, dass ein Wechsel der Praxisverwaltungssysteme für eine funktionierende elektronische Patientenakte notwendig sei. Zudem hat das Bundesgesundheitsministerium geplante Sanktionen für Ärzte vorerst ausgesetzt, die nicht über eine aktuelle Version der ePA verfügen, wie auch aus einer Ankündigung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung hervorgeht.

Außerdem hat das Bundesgesundheitsministerium die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) damit beauftragt, eine Rahmenvereinbarung zu erstellen, "die bislang offene Punkte abdeckt", denn "jede Praxis muss sich auf ihre Software verlassen können. Funktioniert sie nicht einwandfrei, erschwert das den Praxisablauf und gefährdet schlimmstenfalls die Versorgung der Patientinnen und Patienten", schreibt die KBV.

Die für Software-Hersteller freiwillige Rahmenvereinbarung soll zudem für eine bessere Nutzerfreundlichkeit bei den Praxisverwaltungssystemen und damit Entlastung der Ärzte sorgen. Zu weiteren Punkten zählt auch die Preistransparenz. Ebenso sollen Praxen künftig "auf einen Blick erkennen, dass ihre Systeme wichtige Standards und hohe Qualitätsvorgaben einhalten", steht in den Informationen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.

(mack)