Schule neu denken: Mathe-Youtuber Daniel Jung und Semantha bauen Plattform AIEDN

Der in Deutschland bekannte Mathe-Youtuber hat mit einem Karlsruher KI-Start-up und der Hochschule für Medien semantische KI für den Bildungsbereich entwickelt.

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Mathe-Youtuber Daniel Jung vor dem E-Board

(Bild: AIEDN – in Education)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Silke Hahn
Inhaltsverzeichnis

"Danke, dass du mich durchs Abi gebracht hast!", lautet die wohl häufigste Reaktion, wenn Menschen Daniel Jung auf der Straße begegnen. Der Bildungsunternehmer (New Learning) ist vielen von YouTube her ein Begriff. Sein neuestes Projekt ist eine Bildungsplattform mit semantischer KI, kostenfrei zugänglich für Schüler und alle Wissbegierigen: Der Prototyp ist nun fertig und durchläuft gerade die letzten Schritte in der Pilotphase. Heise Developer hat ein ausführliches Hintergrundgespräch mit Jung geführt und Auszüge daraus als Artikel veröffentlicht ("Interview: Let's rock education").

AIEDN: Ein erster Prototyp der Bildungsplattform mit kuratierten Wissensinhalten und semantischer KI ist veröffentlicht.

(Bild: AIEDN – AI in Education)

AIEDN ist zunächst ein Verbundforschungsprojekt des Karlsruher KI-Start-ups thingsTHINKING GmbH und des Instituts für Angewandte KI an der Hochschule der Medien (HDM) Stuttgart. Vor allem ist es eine Initiative des Mathe-Youtubers aus Nordrhein-Westfalen, der seine über 3.000 Mathe-Erklärvideos zum Training des semantischen KI-Systems zur Verfügung stellte und den die Idee zu der Plattform schon länger umtreibt.

Die KI Semantha liefert auf Mathefragen gezielt passende Lernvideos mit der relevanten Videosequenz sowie ergänzende Skripten, wie eine Kurzdemo zeigt. Laut Projektverantwortlichen "[ist] Mathe nur der Anfang": Grundsätzlich funktioniere das System auch für andere Fächer und nicht nur für Formal- und Naturwissenschaften. Anhand von Matheaufgaben lasse sich der Nutzen bloß besonders klar messen und auswerten. Das Land Baden-Württemberg fördert das Verbundforschungsprojekt, dessen Untersuchung voraussichtlich im November 2023 abgeschlossen sein soll.

Jungs neues EdTech-Projekt ist in Zusammenarbeit mit KI- und Hirnforschern entstanden, und es könnte den Bildungsbereich umkrempeln. EdTech steht für Education Technology, und bei AIEDN (AI in Education) geht es um den unterstützenden Einsatz von KI im Bildungsbereich. Die Developerredaktion hat die App der Plattform direkt ausprobiert und zu Mathefragen im Bereich Algebra, Differenzialgleichungen und dem Berechnen atomarer Molmasse überzeugende Hilfestellung erhalten (siehe Bilderstrecke):

AI in Education (AIEDN): Blick in die App mit Mathefragen (11 Bilder)

AI in Education: AIEDN

AIEDN: Ein erster Prototyp der Bildungsplattform mit kuratierten Wissensinhalten und semantischer KI ist veröffentlicht. Mit eigenen Mathefragen testen: app.aiedn.eu (mit Google-Konto).
(Bild: AIEDN.com )

Die KI generiert keine Ergebnisse, sondern führt durch semantische Suche zu passenden Stellen in den kuratierten Videos sowie zu Skripten. Das Verstehen selbst und den eigenen Weg zur Lösung nimmt sie den Schülern nicht ab. Im Schulversuch durften etwa Oberstufenschüler an einem baden-württembergischen Gymnasium die App mit in die Prüfung nehmen. "Es kommt nicht die Lösung, sondern der Lösungsweg", erklärt Dr. Sven J. Körner, KI-Forscher und Geschäftsführer von thingsTHINKING, der "als Tech Guy" Daniel Jungs Projekt unterstützt.

Der Mathe-Youtuber hatte schon vor Jahren eine Methode entwickelt, um komplizierte Mathefragen in wenigen Minuten sachgerecht am Whiteboard zu erklären, in Form von "Wissens-Nuggets". Als erfahrener Nachhilfelehrer weiß er, dass es oft nur um das Schließen von Wissenslücken geht, damit der Groschen fällt. Doch Jung ist weit mehr als "der Mathefuzzi", wie er im Gespräch gegenüber Heise betont: Er kämpft für Bildungsgerechtigkeit in Deutschland. Mit seinen Formaten und Ideen war er der Zeit in Deutschland oft um einige Jahre voraus.

Wie bei Jungs Erklärvideos auf YouTube und TikTok soll die Plattform AIEDN (AI in Education) "kostenloses, individuelles Lernen überall und jederzeit" ermöglichen, versprechen die Projektverantwortlichen. Anders als bei YouTube ist die Bildungsplattform frei von Ablenkung und Unterbrechungen. Eine unabhängige wissenschaftliche Studie begleitet das Projekt und erforscht, inwieweit das KI-gestützte, passgenaue Auffinden von Lernstoff zum Füllen von Wissenslücken das Lernen beschleunigt und ob das Gelernte nachhaltig hängenbleibt.

Das AIEDN-Team: Mathias Landhäußer, Daniel Jung, Georg Müller, Abdelmalik El-Guesaoui, Sven Körner (v. l. n. r.), außer Jung alle Mitarbeiter von semantha/ thingsTHINKING

(Bild: Sven Körner)

Der Remscheider und seine Mitstreiter sind optimistisch in die Pilotphase gegangen. Das Feedback der Testnutzer war teils euphorisch, wie etwa die Lokalpresse berichtete ("Mit KI gehört das Spicken plötzlich dazu", Heilbronner Stimme im Februar 2023). Jung beschäftigt sich schon seit Langem mit maschinellem Lernen und KI. So hatte er bereits vor vier Jahren in seinem Sachbuch "Let's rock education" dazu aufgerufen, sich auf die Transformation des Bildungswesens durch KI vorzubereiten. Die KI ist dabei eher ein Mittel zum Zweck, denn für Jung stehen die Menschen im Vordergrund – die, die sich Wissen aneignen wollen, und die, die es vermitteln. "Kuratierte Inhalte schaffen Vertrauen", so Jung, der das Konzept "Trusted Lehrkraft" nennt.

Jung ist es ein Anliegen, nicht die nächste geschlossene Schulsoftware zu bauen "für einen Zehner im Monat", was sich dann viele Schülerinnen und Studenten wiederum nicht leisten könnten. Sein Projekt hat sich Bildungsgerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben und wie bereits seine Mathe-Videos auf YouTube sollen alle Inhalte für die Nutzer kostenlos sein. AIEDN soll langfristig auch die Videos anderer Lehrkräfte bündeln und darüber hinaus Content etwa im Steuer- und Finanzbereich versammeln, was nicht nur jungen Menschen durch erprobte Erklärvideos von Profis eine Orientierung bietet.

In der nächsten Ausbaustufe sollen Daniel Jungs Fachforen angebunden werden, neben der bisherigen Hauptplattform Mathefragen.de auch die entsprechenden Foren für Informatik-, Physik-, Chemie- und Biologie-Fragen, bei denen die Lernenden Führung beim Selbstlernen, aber im Zweifel auch Unterstützung durch menschliche Tutoren erhalten. Kooperationen mit verschiedenen universitären Einrichtungen seien geplant, so habe etwa die Pädagogik-Forschung der LMU München ihre Teilnahme bereits zugesagt. Ob die Plattform AIEDN zu einem besseren Verständnis führt als das reine Lernen aus Büchern und Videos, ist Gegenstand der Forschung zur Lernwirkung. Der Hirnforscher Henning Beck, Autor des Sachbuches "Das neue Lernen heißt Verstehen", betreut die Studie seitens HDM.

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Alles hängt dabei zusammen, und es könnte wichtiger nicht sein: Eine erfolgreiche Wissensreise, Schul- und Studienabschlüsse sowie Bildung selbst sind das kostbarste Gut, das wir am Standort Deutschland auf lange Sicht haben, betonte Jung im Gespräch. Mit Blick auf eine sich abzeichnende Deindustrialisierung wachse die Bedeutung von Bildung weiter. Das Schulsystem wolle er nicht umstürzen, dafür den Lehrern und Schülern ein neues Werkzeug an die Hand geben, das im Unterricht, zur Prüfungsvorbereitung, zum vertiefenden Verständnis und zum Wecken von Wissensdurst geeignet sei. Verstehen solle dabei unabhängig sein vom Geldbeutel oder sozialen Hintergrund, und mit KI lasse sich der Weg zum Verständnis beschleunigen.

Jungs Vision ist eine deutschlandweite Plattform, mit der Deutschland im KI-Bildungsbereich Akzente und vielleicht sogar neue Standards setzen könne. Eine Wertschöpfung in Deutschland sowie Transparenz der Inhalte stehen im Zentrum. Das Projekt wird als gemeinnützige GmbH aus dem Forschungsprojekt ausgegründet. Monetarisieren beziehungsweise finanzieren wolle er die werbefreie Plattform etwa durch Angebote für Firmen und Unternehmen im Bereich Lifelong Learning und interne Weiterbildung für Mitarbeiter. Zurzeit befinden sich Jung und seine Projektpartner im Gespräch mit Stiftungen und potenziellen Investoren – auf der Suche nach Unterstützern, die eine frei zugängliche nationale Bildungsplattform mit kuratierten, hochwertigen Wissensinhalten unterstützen möchten.

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In einem Hintergrundgespräch mit Technikredakteurin Silke Hahn erklärt Jung ausführlich, was ihn umtreibt, weshalb er eine eigene KI-Plattform hat trainieren lassen und welche Chancen, aber auch Handlungsnotwendigkeiten er im Bildungsbereich mit Blick auf KI in Deutschland sieht:

Beim KI-Festival in Heilbronn werden Jung und Körner die Version 1.0 von AIEDN präsentieren. Das KI-Festival findet am 1. und 2. Juli statt – das Programm bietet Wissen, Sport, Musik, eine Expo und leibliches Wohl, der Eintritt ist kostenlos. Wer neugierig geworden ist, kann sich vor Ort einen Eindruck verschaffen und mit Daniel Jung direkt in den Austausch gehen. Mehr zu AIEDN steht auf der Projekt-Website. Auch die App zum Prototyp von AIEDN ist frei zugänglich und lässt sich mit Mathefragen testen.

Hinweis: Zurzeit befindet sich die Software noch in der Alphaversion, laut eigenen Angaben freut sich das Team von AIEDN über Feedback.

Update

Heise-Interview "Let's rock education" mit Daniel Jung ist erschienen, Verlinkung eingepflegt.

(sih)