Vorstellung Mercedes E-Klasse 2023: Keine Experimente

Mercedes stellt die nächste Generation der E-Klasse vor. Im Antriebsbereich gerät sie intern unter Druck, denn der Fortschritt bleibt hier weitgehend aus.​

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Mercedes E-Klasse 2023

Überraschende Designveränderungen verkneift sich Mercedes nahezu komplett.

(Bild: Mercedes)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Konrad Adenauer, einer der ersten prominenten Mercedes-Nutzer der Nachkriegszeit, warb im Wahlkampf einst mit dem Slogan: "Keine Experimente". In der aufstrebenden Bundesrepublik verband man den schwarzen W 186 rasch mit dem ersten Bundeskanzler – im Volksmund die Adenauer-Limousine genannt. Heute würde mit dem alleinigen Versprechen auf Verlässlichkeit wohl niemand mehr werben, wenngleich die nächste Generation der E-Klasse im Kern auf bewährte Werte setzt. Das ist gerade im Antriebsbereich mit einem gewissen Risiko verbunden.

Optisch vollzieht sich mit dem Modellwechsel bestenfalls eine sanfte Evolution. Das Design bricht nicht radikal mit dem Vorgänger, vielmehr ist es eine Weiterführung dessen, was Mercedes mit C- und S-Klasse schon auf dem Markt hat. Man darf diesen Konservativismus durchaus mutlos bis langweilig finden, sollte aber bedenken, dass die meisten Käufer in diesem Segment keine aufregenden Formen suchen. Zudem altert ein wohlwollend zeitlos zu nennendes Design nicht ganz so zügig. Mercedes geht hier gewissermaßen in die entgegengesetzte Richtung von BMW. Dort ist offenkundig Provokation das gewählte Mittel zur Kundenbindung, wie beispielsweise der aktuelle 7er eindrücklich zeigt.

Auch im Innenraum vermeidet Mercedes einen drastischen Umbruch. Die ersten Bilder zeigen das Armaturenbrett mit optionalem "Superscreen", der aus drei Bildschirmen besteht. Das Kombiinstrument wurde etwas vergrößert, was angesichts des Wachstums vom Monitor in der Mitte schon mal übersehen werden kann. Ganz neu ist der Bildschirm vor dem Beifahrer. In den elektrischen Modellen kostet all das reichlich Aufpreis, und in der E-Klasse wird das kaum anders sein. Sollte der Zuschlag hier ähnlich hoch sein, wird die Display-Landschaft wohl nur eine sehr begrenzte Verbreitung finden.

Mercedes E-Klasse 2023 Innenraum (9 Bilder)

Wie gewohnt zeigen die ersten Pressebilder eine vollausgestattete Version. Die hier gezeigte, große Display-Landschaft wird aufpreispflichtig.
(Bild: Mercedes)

Intern hat die E-Klasse vor allem im Antriebsbereich durch den ähnlich großen EQE eine harte Konkurrenz. Denn keine E-Klasse wird ohne Verbrennungsmotor ausgeliefert. Mittelfristig rechnen wir auf dem deutschen Markt mit mindestens zwei Benzinern (E 200 und E 300) und drei Dieselmotoren (E 220 d, E 300 d und E 400 d), die allesamt einen Mildhybrid-Anhang bekommen. Ein Startergenerator mit 48 Volt soll den Verbrennungsmotor unterstützen. Dazu kommen zwei Plug-in-Hybride (E 300 e und E 400 e) und später noch mindestens ein AMG-Ableger.

Bei den Plug-in-Hybriden hebt Mercedes nun auch die E-Klasse auf jenes Niveau, das in PHEV-Modellen von C- und S-Klasse schon länger geboten wird. Gegenüber dem Antrieb in der bisherigen E-Klasse bedeutet das einen großen Fortschritt in zwei Bereichen. Die Batterie hat 25,4 kWh, die bis zu 115 km E-Reichweite ermöglichen sollen. Das ist deutlich mehr als bisher. Ein Anfang 2021 von uns gefahrener E 300 e hatte nur 13,5 kWh. Vor allem aber steigt die Ladeleistung deutlich an. In der E-Klasse war bislang bei 7,2 kW an Wechselstrom das Maximum erreicht. Künftig sind AC-seitig 11 kW an drei Phasen und bis zu 60 kW an Gleichstrom (DC) möglich. Die Batterie ist damit ungleich schneller geladen als bisher.

Mercedes E-Klasse 2023 außen (8 Bilder)

Mercedes stellt eine neue E-Klasse vor. Einen stilistischen Bruch mit dem Vorgänger wagt die neue Generation nicht.
(Bild: Mercedes )

Die Systemleistung liegt bei 230 kW (E 300 e) bzw. 280 kW (E 400 e). Wer den Plug-in-Hybrid in der E-Klasse ohnehin meistens elektrisch bewegen möchte, kann sich den Aufpreis zum stärkeren Modell sparen, denn der E-Motor leistet in beiden 95 kW. Die Systemleistung wird über den Zweiliter-Vierzylinder skaliert. Etwas später könnte noch ein Plug-in-Hybrid mit Dieselmotor folgen. Leben muss der PHEV-Kunde weiterhin mit einer drastischen Beschneidung des Kofferraums: Statt 540 wie bei den Verbrennern können hier nur 370 Liter eingeladen werden.

Mercedes selbst sieht in der E-Klasse das Herz der Marke vereint, und tatsächlich stand diese Modellreihe lange für das, was man als Bild nach außen vermitteln wollte. Die Zeiten werden für die E-Klasse nicht einfacher, denn der optionale Luxus, mit dem sie sich anreichern lässt, ist zum Teil schon für das aktuelle Modell zu haben gewesen und bieten gegenüber dem EQE keine Abgrenzung. Massage-Sitze, Kameras für Videokonferenzen oder eine herausragende Sprachsteuerung sind nichts, was erst mit der E-Klasse auf den Markt kommen würde. Verarbeitung und Materialauswahl dürften erstklassig sein, jeglicher Anflug von Kostenoptimierung im sichtbaren Bereich würde die Chancen der E-Klasse weiter schmälern. Erstaunlich ist höchstens, dass die E-Klasse nicht schon zum Start hochautomatisiert auf Level 3 fahren kann. Ziemlich sicher wird das rasch nachgereicht, denn die enormen Entwicklungskosten wird Mercedes so breit wie möglich verteilen wollen. In Deutschland sind seit Januar 2023 immerhin bis zu 130 km/h in Teilautonomie erlaubt.

Sie bleibt am Ende die konservative Antwort, gewissermaßen ein "Sie kennen mich", das vor zehn Jahren auf der politischen Bühne nur knapp an einer absoluten Mehrheit vorbeigeschrammt ist. Spannend wird, wie oft die Frage danach noch gestellt wird. Mercedes hofft, auf den bisherigen Hauptabsatzmärkten der E-Klasse weiterhin zu reüssieren. Dazu zählen China und Korea. Der für den Markt in West-Europa so wichtige Kombi folgt spätestens im Herbst. Hinzu kommt der CLE, der die bisherigen Kunden von CLS, C- und E-Klasse-Coupé einsammeln soll. Offen ist derzeit, was Mercedes künftig für die E-Klasse verlangt. Der Basispreis für die Limousine lag zuletzt bei 51.319 Euro. Mit einem kräftigen Zuschlag darf gerechnet werden. Auch in dieser Hinsicht bleibt sich die Marke treu.

(mfz)