Zeitgenössische Fotokunst bei Made in Germany Zwei

Täuschung, Verwirrung, das Spiel mit Erwartungen – viele Fotografien der Ausstellung "Made in Germany Zwei" verführen ihre Betrachter zum Detektiv spielen. Heise Foto stellt die spannendsten Ausstellungsstücke vor.

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Inhaltsverzeichnis

Made in Germany Zwei ist noch bis zum 19.8.2012 geöffnet.

(Bild: Made in Germany Zwei)

Made in Germany Zwei – das sind 45 Künstler aus 14 Nationen, handverlesen von acht Kuratoren, ausgestellt in drei Häusern für zeitgenössische Kunst in Hannover: dem Sprengel Museum, dem Kunstverein und der Kestnergesellschaft.

Die zweite Auflage der Ausstellung zeitgenössischer junger Kunst räumt auch der Fotografie einen hohen Stellenwert ein. Allerdings war es nicht das erklärte Ziel der Kuratoren, Kunst strikt nach einzelnen Mediengattungen zu ordnen und zu sammeln. Bedeutender war ihnen die Botschaft der Werke und die Frage: Was beschäftigt die gezeigte Künstlergeneration? Eine eindeutige Antwort darauf liefert die Ausstellung nicht – das will sie auch nicht, zu verschiedenen sind die Ansätze der einzelnen Künstler.

Doch es gibt Themen, die dem Besucher immer wieder begegnen: Das Spiel mit Wahrnehmung, Glauben, Erwartung, Referenzen, die Herausstellung des Alltäglichen als Kunst und die Vermischung der Kunstformen. Gesellschaftskritik ist bei Made in Germany Zwei eher subtil, fast nicht da. Vielmehr setzt sich die Kunst hier oft mit sich selbst auseinander.

Fotografie können Besucher bei Made in Germany auf zwei verschiedene Arten erleben – als Mittel für Kunst und als Kunstwerk selbst. Häufig drängt sie sich nicht in den Vordergrund, sondern ist Mittel zum Zweck. So nutzt Julia Schmidt beispielsweise alte Fotos als Vorlagen und Ausgangspunkte für ihre Ölarbeiten, in denen sie sich mit Werten von Waren und Produkten auseinandersetzt.

Besonders subtil ist Susanne Winterlings Installation im Foyer des Sprengel Museums. Sie hat der Wand hinter einer 70er-Jahre-Uhr mit Klappziffern eine zweite Haut aus Fotopapier übergezogen. Für den Betrachter ist das nahezu unsichtbar – noch. Winterlings Idee dahinter ist, dass sich im Laufe der Zeit Sonnenlicht darauf einbrennt und so ein neues Kunstwerk erschafft. Dass Winterling den Umgang mit Fotopapier perfekt beherrscht, zeigt sie auch in der Kestnergesellschaft. Dort arrangiert sie Parfümfläschchen oder Geschenkpapier auf das lichtempfindliche Material, dem sie die verschiedendsten Farben wie rosa oder grün entlockt. Wie genau sie das macht, will die Künstlerin aber nicht verraten.

Leipzig aus der 59-teiligen Serie Following the Circus, 2011

(Bild: Sven Johne; © VG Bild-Kunst, Bonn 2012)

Doch Fotografie dient nicht nur der Inspiration. Zur Fotokunst im klassischeren Sinne zählt Sven Johnes Fotoserie "Following the Circus" von 2011 – ein Spiel mit Erwartungen. Der Künstler zeigt nicht etwa wuselige, bunte Zirkusbilder, sondern die kargen, gerade verlassenen Spielflächen in Industrie- und Wohngebieten von ostdeutschen Städten wie Jena, Leipzig oder Erfurt. Die Bilder sind farblos, trist, fast langweilig. Johne gibt dem Betrachter nicht, was der erwartet will und nimmt damit unsere medial geprägten Sehgewohnheiten aufs Korn. Seine Fotos sind ein Auslöser für die eigene Fantasie, sie lassen alles offen und zwingen den Betrachter zum Weiterdenken.

Crystal Display, 2010: Magejska verwandelt mit ihren Aufnahmen Vertrautes in Fremdes.

(Bild: Courtesy Agata Madejska)

Den Bruch mit Erwartungen beherrscht auch Ricarda Roggen. Ihre Fotos von Spielautomaten im Ferrari-Design entpuppen ihre wahre Natur erst auf den zweiten Blick. Entfernt erinnern sie an Malerei. Die Künstlerin, die ausschließlich analog arbeitet, löst ihre Motive völlig von ihrer natürlichen Umgebung. Sie verteilt Staub auf ihnen und Kratzer und schottet sie mit Folie von jeglichem Kontext ab. So erschafft sie Stillleben, die befreit sind von Zeit und Ort.

Ähnliches gelingt auch Agata Madejska mit ihren Fotografien. Sie zeigen uns eigentlich vertraute Motive wie Statuen oder Wasserfontänen. Doch die kontrastreichen Schwarzweiß-Bilder, die auf MDF-Platten aufgezogen sind, wirken dreidimensional, skulpturenhaft und äußerst abstrakt. Diese tausendfach gesehenen öffentlichen Objekte sind so kaum wiederzuerkennen – nichts Vertrautes bleibt im Vertrauten.

Cyprien Gaillard und Kathrin Sonntag erheben Alltägliches zur Kunst – als gesellschaftskritische Metapher und als Referenz zur Kunstgeschichte. Der Franzose Gaillard verschafft seinen Fotografien von Rissen in Betonböden in riesigen, weißen Passepartouts sehr viel Aufmerksamkeit: Im Alltag würden wir sie wohl übersehen. So präsentiert, werden sie zu einem Sinnbild für Spannung in der Gesellschaft und in uns selbst.

"Blame it on Morandi", Kathrin Sonntags Dia-Serie im Kunstverein Hannover, die den Betrachter als Gesamtkunstwerk zum Detektivspielen verleitet. .

(Bild: Kathrin Sonntag)

Eine der wohl außergewöhnlichsten Positionen von Made in Germany Zwei ist Kathrin Sonntags Dia-Serie "Blame it on Morandi", in der sie dem Betrachter einen 360-Grad-Blick durch ihr Atelier gewährt. Wie Gaillard stellt sie scheinbar, unscheinbar Alltägliches wie Vasen, Würfel oder ein Ei in den Vordergrund und schickt so ihr Publikum auf eine detektivische Reise durch die Kunstgeschichte. Die Aufnahmen sind gespickt mit einer unüberschaubaren Fülle an Referenzen auf Künstler wie Giorgio Morandi oder M.C. Escher, die es vortrefflich verstanden haben, ihr Publikum zu täuschen und zu verwirren. Und auch Sonntag selbst weiß hinters Licht zu führen. So sieht der Betrachter nicht nur ein Bild von Eschers unmöglichem Körper an der Wand ihres Ateliers hängen, sondern auch ein scheinbar reales Exemplar davon daneben stehen. Die Künstlerin verführt ihr Publikum so zur spielerischen Spurensuche musikalisch begleitet von einer Melodie, die an das Paul-Panther-Thema erinnert.

Damit ist ihre Dia-Serie auch symbolisch für die gesamte Ausstellung, die viele Künstler unter einem Dach versammelt, aber nicht in ein Thema zwing, die mit kunsthistorischen Referenzen spielt und gespickt ist mit verblüffenden Brüchen. Darauf müssen sich die Besucher einlassen. Oft entpuppen die Werke ihr Besonderes erst auf den zweiten Blick. Heise Foto empfiehlt daher eine Führung, zumindest aber den Griff zum im Eintrittspreis enthaltenen Audioguide.

Made in Germany Zwei ist täglich und an den Feiertagen von 12 bis 18 Uhr geöffnet, montags geschlossen und läuft bis 19. August. Zu beachten sind auch die Öffnungszeiten der einzelnen Häuser. Das Kombiticket für alle drei Häuser kostet regulär 12 Euro, ermäßigt 7. Ein Ticket für nur eine der Ausstellungsstätte kostet 7 Euro. Ein Veranstaltungsprogramm finden Sie außerdem hier. (ssi)