iX 4/2018
S. 96
Report
Digitalisierung
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Kundenzentriert digital

Nützt ja nix

Die Ausrichtung einer Firma auf den Kunden ist keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Und doch bekommt das Thema durch digitale Veränderungen eine andere Qualität und mehr Nachdruck.

Ein Erfolgsfaktor vieler Digitalunternehmen ist, dass sie den Kundennutzen radikal in den Vordergrund stellen. Das sagt der Bitkom in seinem Leitfaden zur Digitalisierung [1]. Wie in dieser Serie üblich, versucht der vorliegende Artikel, diese Aussage zu hinterfragen. Außerdem soll die Frage beantwortet werden, wie man das denn macht, den Nutzen des Anwenders in den Vordergrund stellen.

Kann eine Firma den Kundennutzen nicht in den Vordergrund stellen? Letztlich kauft ein Anwender ein Produkt oder eine Dienstleistung, weil er sich einen Nutzen davon verspricht. Ohne einen erwarteten Kundennutzen findet kein Kauf statt. Diese idealisierte Sichtweise wird in der Praxis zweifelsohne durch viele Faktoren verzerrt. Dazu zählen Abhängigkeiten etwa durch Monopole, Kaufgewohnheiten und -gelegenheiten. Doch im Prinzip bleibt die Aussage korrekt: Kein Nutzen, kein Kunde.

Dass ein Produkt einen Nutzen besitzt, sagt jedoch noch nichts darüber aus, ob der Anbieter bei seinem strategischen Handeln den Kunden in den Mittelpunkt stellt. Vielleicht ist er durch Betrachtung der eigenen Fähigkeiten auf die Produktidee gekommen. Man bietet an, was man hat oder kann. In diesem Zusammenhang ist oft von der Kernkompetenz eines Unternehmens die Rede.

Kernkompetenz und strategische Orientierung

Der Begriff ist seit einigen Jahrzehnten im Umlauf und dabei ist seine Bedeutung oft verwässert worden. Wenn eine Firma die Vermarktung eines Produkts einstellt, lautet eine beliebte Erklärung, man wolle sich „auf seine Kernkompetenzen konzentrieren“. Überhaupt wird unter „Kernkompetenz“ oft ein Produkt oder ein Produktbereich verstanden.

Die Fachliteratur sieht das durchaus anders: Da sind Kernkompetenzen keine Waren oder Dienstleistungen, sondern produktübergreifende Voraussetzungen für die Entwicklung verschiedener Produkte. Dazu ein Beispiel: Ein Unternehmen besitzt die Kompetenz, Verbrennungsmotoren zu entwickeln. Unter Einsatz dieser Fähigkeit kann die Firma Autos produzieren. Aber auch Motorräder, Rasenmäher oder Modellflugzeuge. Von außen betrachtet sprechen diese Angebote sehr unterschiedliche Zielgruppen und Bedürfnisse an.

Widerspricht dieses Verständnis von Kernkompetenz einer Berücksichtigung des Kundennutzens? Nein! Die Autoren Prahalad und Hamel, die den Begriff geprägt haben, betonen ausdrücklich den Nutzen: „Die entscheidende Aufgabe des Managements besteht darin, eine Organisation zu entwickeln, die in der Lage ist […], Produkte zu erzeugen, die Kunden brauchen, sich aber noch nicht einmal vorstellen können“ [2]. Des Weiteren komme es darauf an, Kompetenzen zu entwickeln, um schnell auf sich verändernde Gelegenheiten reagieren zu können. Man kann hier festhalten, dass der Blick auf die eigenen Fähigkeiten nicht davon ablenken darf, dass es immer um den Kundennutzen geht.

Eine Gefahr besteht dann, wenn die Redewendung „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ als Leitgedanke herangezogen wird. Mit dieser Denkweise findet keine Weiterentwicklung statt, was angesichts sich verändernder Märkte ins Aus führt. Wie man sich dreht und wendet, ohne den Kundennutzen geht es nicht.

Hat man den Käufer so weit als Kompass akzeptiert, bleibt ein fundamentales Problem bestehen: Orientierung! Das Ausgehen von den eigenen Fähigkeiten ist ziemlich einfach: Man macht, was man kann. Wirft man diese Orientierung über Bord, steht man erst mal ziemlich orientierungslos da. Denn Kunden wollen alles Mögliche: wohnen, essen, ins Kino gehen, ein Auto kaufen, Maschinen produzieren, Bücher drucken und Flaschenabfüllanlagen herstellen. All das hilft nicht bei der Orientierung.

Dialog mit dem Kunden: mehr als reden

Glücklicherweise haben die meisten Unternehmen bereits Kunden. Mit denen kann man in einen Dialog treten, um festzustellen, welchen Nutzen die eigenen Produkte bisher liefern, und um herauszufinden, welche neuen Produkte oder Dienstleistungen die Kunden vielleicht haben möchten.