Probefahrt im Audi Q6 e-tron: Potenziell schnell geladen

Audi wird im Herbst das E-SUV E6 e-tron vorstellen. Es ist nur etwas größer als der Q4, technisch aber unterscheidet es sich deutlich von diesem.

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Audi Q6 e-tron

(Bild: Audi)

Lesezeit: 8 Min.
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Die Behauptung, all die Probleme, die Audi aktuell mit sich herumschleppt, würden im Q6 e-tron kumuliert, ist sicherlich übertrieben. Das E-SUV zeigt aber exemplarisch, dass die Marke sich dringend sortieren muss. Die Vorbereitung dazu ist fast abgeschlossen und soll mit zahlreichen Neuerscheinungen auch für die Kunden sichtbar werden. Eine erste Ausfahrt mit dem Q6 e-tron zeigt, dass die grundsätzliche Richtung stimmt.

Der Q6 e-tron ist rund 4,75 m lang und ähnelt dabei direkten Konkurrenten wie Tesla Model Y, Genesis GV70 Electrified oder BMW iX3. Ein Radstand von 2,9 m ermöglicht ein in diesem Segment durchaus übliches, großzügiges Platzangebot. Audi macht noch keine Angaben zum Kofferraumvolumen, doch auch hier ist mit rund 600 Litern zu rechnen. Unter der vorderen Haube gibt es ein Ablagefach, beispielsweise für Ladekabel. Das hat der Q4 e-tron bis heute nicht. Die Sitze wirken bequem, alles andere wäre auch eine Überraschung. Auch bei der Verarbeitung rechnen wir nicht mit Nachlässigkeiten. Solche Dinge handelt Audi mit langer Erfahrung lässig ab und muss das auch. Die Marke darf sich zudem keine Pannen bei der Software leisten.

Routine reicht in diesem Segment allerdings nicht mehr, schon gar nicht, wenn man mit einiger Verspätung ins Rennen einsteigt. Audi muss mehr liefern, wenn der alte Slogan "Vorsprung durch Technik" nicht endgültig zur Farce werden soll. Technische Highlights wie die OLED-Matrix-Scheinwerfer und vor allem der Antriebsstrang sollen jene Glanzpunkte setzen, die Audi ganz bewusst bei Design nicht gewählt hat. Denn der Q6 e-tron mag technisch hier und da für einen Neuanfang stehen, optisch aber bleibt in gewohnten Bahnen. Eine umwerfende gestalterische Revolution zeichnet sich da nicht ab. In Zeiten ständiger Überzeichnungen muss das nicht zwangsläufig ein Fehler sein.

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Mit einer maximalen Ladeleistung von 270 kW gehört Audi aktuell zu absoluten Spitze. Diese Aussage muss freilich eingeordnet werden, denn sie gilt nur für den Audi e-tron GT und dort auch lediglich in einem schmalen Ladefenster unter optimalen Bedingungen. Die Limousine ist das derzeit einzige Modell der Marke, das auf eine Spannungsebene von 800 Volt setzt. Von der zusammen mit Porsche entwickelten Premium Plattform Electric (PPE) sollen künftig weitere Autos beider Marken profitieren. Der nächste Porsche Macan teilt sich die technische Basis mit dem Audi Q6 e-tron. Beide sollen wie der e-tron GT in der Spitze ebenfalls 270 kW Ladeleistung liefern.

Höchstwahrscheinlich wird Audi die Bedingungen, unter denen die volle Ladeleistung abgerufen werden kann, ausweiten. Denn die Erwartungshaltung der Kunden wächst. Die Werksangabe für die maximale Ladeleistung im Datenblatt mag Technikaffine begeistern, die Mehrzahl der Kunden dürfte aber vielmehr interessieren, wie kurz der Stopp an der Ladestation in der Praxis ausfällt. Dafür ist wichtig, dass die Ladekurve lange in einem möglichst hohen Bereich verbleibt. Hier hat der Hyundai-Konzern die Latte ziemlich hoch gehängt. Der GV 70 lud im Test zwischen 10 und 55 Prozent Ladestand mit mehr als 220 kW. Sollte Audi auch nur in die Nähe solcher Werte kommen, wäre es einerseits für die Marke ein riesiger Schritt. Andererseits wäre es intern eine klare Abgrenzung zu Modellen wie dem Q4 e-tron auf Basis des modularen Elektrobaukastens, die mit einer Spannungsebene von 400 Volt und fehlender Vorkonditionierung der Batterie in dieser Hinsicht nicht einmal ansatzweise mithalten können. Technisch ergibt sich damit ein Klassenunterschied, der deutlicher ist als die rund 15 cm Längendifferenz es ausdrücken. Zwei Batterien mit 87 und 100 kWh sind vorgesehen. In Verbindung mit dem großen Speicher soll die Reichweite unter den Bedingungen des WLTP bei bis zu 600 km liegen.

Drei Antriebe umfasst das Angebot. Für das Basismodell mit Heckantrieb nennt Audi noch keine Daten, für die Allradler schon. Der Q6 e-tron 55 quattro bietet 280 kW, kurzfristig können bis zu 295 kW abgerufen werden, wenn die Batterie mindestens fast voll ist. Schon damit ist das E-SUV zu Fahrleistungen imstande, die sich im Alltag praktisch kaum gänzlich nutzen lassen. Noch eins drauf setzt das vorläufige Topmodell SQ6 mit 360 kW, aus denen im Overboost maximal 380 werden. Damit beschleunigt das Auto in 4,5 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 km/h. Wie immer beschreibt das den Fahreindruck nur unvollständig: Jederzeit liegt viel mehr Kraft bereit, als sich in den meisten Fahrprofilen nutzen lassen wird. Der spontan abrufbare Schub macht den Unterschied, weniger die möglichen Fahrleistungen.

Eines lässt sich schon vor der offiziellen Premiere festhalten: Eine gestalterische Revolution tritt der Audi Q6 e-tron nicht los.

(Bild: Audi)

Nicht ausgeschlossen ist, dass Audi nach oben nochmals nachlegt, denn das Wettrüsten hat noch immer nicht aufgehört. Ganz im Gegenteil: Hyundai beispielsweise hat gerade einen Ioniq 5 N vorgestellt, der in der Spitze mit 478 kW nochmals deutlich mehr Leistung bereitstellt. Die selbsternannten Premiumhersteller werden sich genötigt sehen, darauf zu reagieren – jede Wette. Das Topmodell erreicht 230 km/h, alle anderen 210 km/h.

Die beiden Allradversionen setzen technisch auf das gleiche Konzept. Hinten ist ein Permanenten-Synchronmotor (PSM) verbaut, vorn ein Asynchronmotor (ASM). Letzterer kann nahezu verlustfrei mitgeschleppt werden, wenn er nicht gebraucht wird. Das dürfte häufig der Fall sein, denn die Maschine im Heck ist so kräftig dimensioniert, dass der vordere Motor nur selten hinzugezogen wird. Je nach gewähltem Fahrprogramm ist das mal später (Comfort), oder eben früher (Sport). Unterschiedlich ist dabei die Kennlinie des Fahrpedals, nicht aber die abrufbare Gesamtleistung. Das Drehmoment wird in der Regel 30 zu 70 Prozent zwischen vorn und hinten verteilt.

Zwischen 20, 60 und 100 Prozent lässt sich die regenerative Bremskraft regeln. In der höchsten Stufe ist das recht gewöhnungsbedürftig, denn gefühlt macht der Q6 e-tron jedes Mal eine Vollbremsung, denn der Fahrer den Fuß vom Pedal nimmt. Wünschen würden wir uns auch einen Gleit-Modus ohne automatische Rekuperation, vielleicht ergänzt Audi die paar Zeilen Programmcode ja noch.

Auffallend bei dem von uns gefahrenen Prototypen war die präzise, sehr leichtgängige Lenkung, die sich je nach angewähltem Fahrmodus anpasst, wobei das Programm "Balanced" den überzeugendsten Eindruck hinterließ. Das angewählte Fahrprogramm passt nicht nur Lenkung und Kennlinie des Fahrpedals, sondern auch Federung und Dämpfung an. Die Grundausrichtung ist eher straff. Das Luftfahrwerk ist nur im SQ6 serienmäßig, in allen anderen muss der Kunde das extra bezahlen. Das bringt mehr Komfort, allerdings erschienen bei einer ersten Proberunde die Unterschiede zwischen den Fahrmodi nicht sehr groß. Mit dem optionalen Fahrwerk kann die Bodenfreiheit, die normalerweise bei 480 mm liegt, um 45 mm angehoben werden.

Wenn der Q6 e-tron im nächsten Jahr auf den Markt kommt, trifft er auf reichlich Konkurrenz. Ein Tesla Model Y gehört ebenso dazu wie ein BMW iX3.

(Bild: Audi)

Vorgestellt werden sollte der Audi Q6 e-tron eigentlich auf der IAA im September in München, doch aller Voraussicht nach wird daraus nichts. Stattdessen schafft Audi ihm ein paar Wochen später eine eigene Bühne. Ausgeliefert wird das E-SUV dann ab dem kommenden Jahr. Bei Audi hofft man, dass die Mischung aus schnellem Laden, sauberer Verarbeitung, feinem Innenraum und konservativem Design so überzeugend ist, dass die Kunden das zu erwartende, gehobene Preisgefüge mitgehen. Das gilt natürlich erst recht für den technisch baugleichen, batterieelektrischen Porsche Macan, dessen Premiere spätestens im Frühjahr 2024 ansteht.

(mfz)