iX 1/2018
S. 90
Report
Philosophie
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Ethik des Softwareengineerings

Nicht alles, was möglich ist

Wegen des zunehmenden Einflusses von Software auf alle Lebensbereiche werden ethische Frage in der Softwareentwicklung immer wichtiger.

Bedeutung und Einsatzhäufigkeit von Software steigen unaufhörlich. In unzähligen Bereichen des Lebens findet die digitale Revolution statt. Wo früher keine Technik weit und breit zu sehen war, agieren Menschen heute mit Smartphone und Tablet. Daten aus zahlreichen Quellen werden zusammengetragen, verdichtet und helfen, Aufgaben ganz anders zu lösen als noch vor Kurzem.

Ein typisches Beispiel aus dem Alltag mag als Einstieg dienen. Die Szene spielt auf einer Urlaubsinsel, wo Teilnehmer einer Pauschalreise am Tisch des Hotelrestaurants sitzen. Als Legitimation für die Halbpension genügte in der Vergangenheit, die Identität beim Zutritt zum Restaurant zu bestätigen. Heute nehmen die Gäste ohne Check-in Platz. Wie erfolgt die Kontrolle, ob es sich um Zechpreller handelt? Nachdem der Kellner die Getränkewünsche aufgenommen hat, tippt er die Bestellung in sein Tablet und fragt nach der Zimmernummer. Damit kann er die Gästenamen prüfen. Außerdem erfährt er, wie viele Personen an der Reise teilnehmen und wie lange sie im Hotel bleiben werden. Diese Informationen waren bisher nur den Mitarbeitern der Rezeption zugänglich.

Positiv betrachtet, vermeidet die neue Technik Rückfragen, ermöglicht einen persönlicheren Service („Herr Zimmermann, darf es noch ein Glas Burgunder sein?“) und vereinfacht die Prozesse. Ist es jedoch sinnvoll, dass alle Mitarbeiter des Hotels Zugang zu diesen Informationen haben? Bleibt es bei diesen Daten oder kann man noch weitere einsehen, vielleicht die Heimatadresse oder das Geburtsdatum? All diese persönlichen Informationen braucht der Reiseveranstalter für den kompletten Service von der Flugbuchung bis zur Hotelreservierung. Benötigt sie auch der Kellner im Hotel?

Statistisch korrekt, im Einzelfall falsch

Man könnte weitere Beispiele aufführen. Immer geht es darum, mit Algorithmen und Daten Entscheidungen zu treffen, die Betroffene unmittelbar beeinflussen. Sind die Entscheidungen plausibel, ist die Welt in Ordnung. Probleme treten jedoch auf, wenn Versicherungen Verträge verweigern oder Banken Kredite nicht gewähren. Die Algorithmen und Daten haben ein vielleicht statistisch korrektes Bild des Antragstellers gezeichnet. Es muss jedoch nichts mit der Wahrheit im Einzelfall zu tun haben.

Ein Zwischenergebnis lautet daher: Der verstärkte Einsatz von IT öffnet vielen einen Zugang zu zahlreichen, teils sehr persönlichen Daten. Dabei kommt dem Softwareentwickler eine Schlüsselrolle zu: Er hat die Funktionen in die Anwendung eingebaut. Kann er sich damit rausreden, nur im Auftrag gehandelt zu haben, oder trägt er eine Mitverantwortung?

Diese und ähnliche Fragen untersucht die junge Disziplin der Ethik der Softwareentwicklung. Sie sind jedoch keine Erfindung der IT.

Glaubwürdigkeit als Leitmotiv der Ethik

Verantwortliches, kommunikatives und innovatives Handeln bestimmen die Glaubwürdigkeit.

Ethik ist die Theorie vom Handeln gemäß der Unterscheidung von „Gut“ und „Böse“ (siehe ix.de/1801090, [a]). Dabei ist „Ethik […] sowohl Fundament als auch Erweiterung und Korrektiv des Rechts“ [1]. Leitmotiv ethischen Handelns ist die Glaubwürdigkeit. Man unterscheidet zwischen drei Strängen der Glaubwürdigkeitsstrategie (siehe Abbildung): verantwortliches, kommunikatives und innovatives Handeln. Sie sind eng miteinander verbunden und führen im Wechselspiel zur Glaubwürdigkeit.

Verantwortliches Handeln bedeutet, dass jeder Verantwortung für die Konsequenzen seines Handelns tragen und dadurch entstandene Schäden beheben muss. Idealerweise lassen sich negative Auswirkungen antizipieren und rechtzeitig verhindern. Kommunikatives Handeln bezeichnet eine faire, vorurteilsfreie und ergebnisoffene Kommunikation zwischen allen Partnern. Der Handelnde muss sicherstellen, dass alle Kommunikationspartner eingebunden sind. Innovatives Handeln stellt Innovationen stets in den Vordergrund. Es betrifft Produkt-, Verfahrens- sowie Sozialinnovation.

Goldene Gebote der Computertechnik